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Bahn-Streik: Solidarität statt Gemecker – der Streik ist nicht das Problem

07.12.2023, Hamburg: Auf einer Anzeigentafel an einem S-Bahn-Gleis wird im Hauptbahnhof auf den Streik der GDL hingewiesen. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivf
Bislang hat die GDL meist nur 24 Stunden gestreikt, nun soll der Arbeiter:innen-Kampf verlängert werden.Bild: dpa / Bodo Marks
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GDL-Streik: Solidarität statt Gemecker – der Streik ist nicht das Problem

09.01.2024, 08:4109.01.2024, 08:42
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"Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will", die wohl bekannteste Liedzeile eines Kampfliedes der Arbeiter:innen hat auch 2024 nicht an Aktualität verloren – und das, obwohl sie bereits 1863 aufgeschrieben wurde. Der starke Arm der Arbeiterschaft, ohne ihn geht nichts. Ohne die Arbeitnehmer:innen stehen die Arbeitgeber:innen mit leeren Händen da.

"Auch im 21. Jahrhundert ist der Streik das Mittel, mit dem die Arbeiterschaft für ihre Rechte einstehen kann."

Eine Benennung der Rollen, über die diskutiert werden sollte. Schließlich sind es die Arbeitnehmer:innen, die ihre Arbeit geben. Ihre Lebenszeit. In vielen Fällen ihre Gesundheit, nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische.

Die Anzahl derer, die wegen Burnout arbeitsunfähig werden, ist im vergangenen Jahrzehnt um 50 Prozent gestiegen, das zeigt eine Statistik der AOK. Die Arbeitgeber:innen nehmen also all das und geben ihren Arbeitnehmer:innen im Austausch dafür Geld.

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Aber um Definitionen soll es an dieser Stelle nicht gehen, daher bleiben wir bei den herkömmlichen Begrifflichkeiten.

Auch im 21. Jahrhundert ist der Streik das Mittel, mit dem die Arbeiterschaft für ihre Rechte einstehen kann. Mit dem sie versucht, Forderungen durchzusetzen, Druck aufzubauen. Druck auf jene, die durch ihr Kapital, ihre Position, ihr Beschäftigungsangebot mehr Macht haben. Die Arbeitgeber:innen. Denn natürlich sitzen sie am längeren Hebel: ohne Arbeit kein Geld.

Und genau deswegen müssen jene, die ihre Arbeitskraft geben, zusammenstehen. Nur so lässt sich ein Machtgleichgewicht herstellen. Auch wenn das bedeutet, wegen eines Streiks nicht mit der Bahn zum Ziel zu kommen.

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Claus Weselsky ist der Bundesvorsitzende der GDL.Bild: dpa / Fabian Sommer

Am 10. Januar will die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) streiken. Und zwar – anders als bisher – richtig lange. Die Lokführer:innen wollen mehr Geld und vor allem weniger arbeiten, wenn sie im Schichtdienst sind.

Konkret geht es darum, die Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden zu senken. Eine Forderung, auf die die Bahn mit dem Vorschlag reagiert, jede:r solle sich die Arbeitszeit selbst aussuchen dürfen. Angesichts des Fachkräftemangels sei es aber nicht möglich, für alle zu reduzieren und bei vollem Lohnausgleich (wie gefordert) schon gar nicht. Übersetzt heißt das: Teilzeit-Arbeit. Die GDL und ihr prominenter Vorkämpfer Claus Weselsky haben hingegen angeboten, die Stunden-Reduktion für alle schrittweise umzusetzen – bislang erfolglos. Also braucht es Druck.

Streiks führen zu Druck auf Arbeitgeber

Jede:r ist genervt, wenn die Bahn nicht fährt. Pendler:innen sind abhängig davon, dass S-Bahnen, Regios und ICEs so fahren, wie es geplant ist. Aber mal ehrlich: Das tun sie doch eh nie. Wer also das Argument anbringt, die paar Tage im Jahr, die die GDL streikt, seien der Grund, warum die Verkehrswende nicht klappt, macht es sich zu einfach.

Denn zur Wahrheit gehört doch: Wenn ich vorher weiß, dass die Bahn in keinem Fall fahren wird, weil sie bestreikt wird, schaue ich nach einer Alternative. Wenn ich aber davon ausgehe, dass die Bahn fährt, weil ein ganz normaler Tag ist, stehe ich in knapp 50 Prozent der Fälle am Gleis und starre Löcher in die Luft. (Das zeigt die Pünktlichkeitsstatistik 2023).

Ich warte also eine halbe Stunde, eine Stunde, 129 Minuten, um dann im verspäteten, aber dafür überfüllten Zug, bei dem alle Sitzplatzreservierungen ausgefallen sind, auf dem Boden zu sitzen.

ARCHIV - 13.06.2023, Nordrhein-Westfalen, D�sseldorf: �Aufgrund eines erh�hten Krankenstandes� steht auf einer Bahnsteiganzeige am Hauptbahnhof D�sseldorf. Die Bahn-Branche in Nordrhein-Westfalen will ...
Auch wenn nicht gestreikt wird, ist auf die Bahn kein Verlass.Bild: dpa / Arne Meyer

Dass die Bahn ein (Image-)Problem hat, liegt nicht am Arbeiter:innenkampf. Vielmehr liegt es daran, dass dieses Trümmerfeld von öffentlicher Mobilitätsversorgung mehr und mehr auseinanderfällt. Ob, wann und wo Bahnfahrer:innen am Ende ankommen, ist immer wieder eine Wundertüte. Und an dieser Verstimmung und Unlust, die viele mittlerweile empfinden, wenn sie sich ein Zugticket buchen, ändern auch humoristische Durchsagen nichts.

Klar klingt es lustig, wenn "der Kollege mit den Worschdefingern", die Einfahrgenehmigungen versehentlich gelöscht hat. Wenn das aber bedeutet, dass der Zug zwischen Frankfurt und Fulda ausharren muss, bis neue erteilt werden, ist es vor allem nervig.

Fehler passieren, ganz klar. Das ist natürlich und normal. Wenn allerdings bei jeder zweiten Bahnfahrt Durchsagen gemacht werden müssen, dass sich der Zug aus diesen und jenen Gründen verspäten wird, ist das kein Fehler, sondern Missmanagement.

"Es tut weh, wenn weder Güter- noch Personenverkehr rollen. Und das gleich mehrere Tage am Stück. Aber seien wir ehrlich: Genau das ist die Absicht eines Streiks."

Dieses Missmanagement trifft nicht nur uns Kund:innen, sondern auch das Personal. So müssen natürlich Pausenzeiten eingehalten werden. Ist der Zug aber schon so sehr verspätet, dass das Personal mitten auf der Strecke diese Pause machen müsste, wird sie im nächsten Bahnhof nachgeholt – was zu noch mehr Verspätung führt. "Störung im Betriebsablauf" ist eine Durchsage, die die meisten wohl schon einmal gehört haben dürften.

Und nicht nur die Pausenzeiten verschieben sich, sondern auch der Feierabend der Lokführer:innen. Schließlich können sie den verspäteten Zug nicht einfach in der Pampa stehen lassen.

Diese Probleme gibt es im Übrigen nicht nur im Personen-, sondern auch im Güterverkehr. Zu den Überstunden und Pausenzeiten gesellen sich weitere Probleme. Durch den Schichtdienst können Lokführer:innen auch Schlafstörungen entwickeln.

In einem Text der "Zeit" aus dem Jahr 2016 beklagte ein Güterverkehr-Lokführer etwa, dass durch die wechselnden Schichten von Dienststart mitten in der Nacht hin zu Dienststart mitten am Tag Schlafstörungen zu einem riesigen Problem werden können. Dazu kommt der Druck: Denn sind wir ehrlich, niemand, der in einem Unternehmen arbeitet, will, dass alle Kund:innen genervt und unzufrieden mit der Leistung sind. Eine Pünktlichkeit von 52 Prozent ist demotivierend, nicht nur für Fahrgäste, sondern auch für das Personal. Der Frust, den sie abbekommen, kommt also noch obendrauf.

Osnabrück, Deutschland 02. Mai 2023: Eine Lok der Deutschen Bahn, DB, 187196, bei einem Einsatz im Güterverkehr. Der Güterzug fährt durch eine Landschaft welche vom Frühling geprägt ist. Die Bäume und ...
Auch viele Güterzüge stehen während des Streiks der GDL still.Bild: iMAGO/images/ Fotostand/ Reiss

Arbeitskampf muss unbequem sein

Und natürlich malt die Bahn Horrorszenarien wegen des geplanten Streiks der Lokführer. Beschwert sich, die ganze europäische Wirtschaft werde zusammenbrechen (überspitzt zusammengefasst).

Es tut weh, wenn weder Güter- noch Personenverkehr rollen. Und das gleich mehrere Tage am Stück. Das liegt in der Natur der Sache und ist der Sinn eines Streiks. Wäre der Arbeiter:innenkampf bequem, bräuchte man ihn nicht zu führen. Würden die Auswirkungen kaum bemerkbar sein, könnte sich die GDL den Stress sparen. Müsste sich mit den aktuellen Arbeitsbedingungen arrangieren, auch wenn sie nicht (mehr) passen.

"Wir müssen Streiks wahrnehmen, als das, was sie sind: Eine Störung im Betriebsablauf, ja, aber eben auch ein Kampf der Arbeiterschaft für bessere Bedingungen."

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wirkt es befremdlich, dass ein Unternehmen, das fette Boni an die Vorstandsetage auszahlen kann – für einen katastrophalen Job – nicht auf die Mitarbeiter:innen zugehen will. Und auch wenn es die Arbeiter:innen-Klasse kaum mehr gibt, viele Jobs sich aus den Fabriken an die Schreibtische verschoben haben, sollten jene, die sich Arbeitnehmer:innen nennen, zusammenstehen. Wir brauchen mehr Solidarität, mehr Zusammenhalt, mehr Verständnis. Wir brauchen den Druck, damit sich die Umstände verbessern.

Wir müssen Streiks wahrnehmen, als das, was sie sind: Eine Störung im Betriebsablauf, ja, aber eben auch ein Kampf der Arbeiterschaft für bessere Bedingungen. Und das ist in Zeiten, in denen die Verteilung von Vermögen in Deutschland immer weiter auseinandergeht, in vielen Bereichen angebracht.

Klar ist außerdem schon heute: Es wird 2024 wohl nicht beim Streik der Lokführer:innen bleiben. Und auch die anderen Branchen haben die Unterstützung der Arbeiter:innen des Landes verdient.