Seit Freitag rollt eine massive Militärübung durch Belarus: Sapad 2025. Alle vier Jahre probt Russland dieses Großmanöver, das zuletzt 2021 die Invasion der Ukraine vorbereitete.
Schon vor der Verletzung polnischen Luftraums durch mehrere russische Drohnen war die Sorge vor dieser Übung groß. Nun sind die Nato-Staaten entsprechend umso angespannter.
Belarus hat Beobachter eingeladen, Deutschland aber verzichtet. Während Moskau von einem "rein defensiven" Szenario spricht, warnen westliche Militärexpert:innen: Sapad könnte nicht nur eine Machtdemonstration, sondern auch eine strategische Vorbereitung sein. Watson beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das russische Militärmanöver.
Sapad – russisch für "Westen" – ist das größte Militärmanöver im westlichen Bezirk Russlands und in Belarus. Seit 2009 wird es alle vier Jahre durchgeführt.
Offiziell dient es der Verteidigungsvorbereitung, in der Praxis nutzte Moskau die Übungen mehrfach als Deckmantel für reale Einsätze: 2008 wurden Truppen nach Georgien verlegt, 2013 auf die Krim und in die Ostukraine. 2021 brachte der Kreml über 200.000 Soldaten und schweres Gerät in Stellung, als Vorbereitung für den Angriff auf die Ukraine.
In diesem Jahr findet Sapad vor allem auf belarussischem Gebiet statt. Expert:innen sehen darin ein klares Signal: Die belarussischen Landstreitkräfte sind im Ernstfall vollständig dem russischen Kommando unterstellt, die Luftwaffe agiert längst eng mit Moskau. Für Belarus bedeutet das eine noch tiefere militärische Abhängigkeit.
Offiziell sprechen russische und belarussische Stellen von gut 13.000 Soldaten. Doch diese Zahl gilt als Schönfärberei. "Mit insgesamt vier parallel laufenden Manövern könnte die russische Truppenpräsenz in Belarus auf mehrere Zehntausend Soldaten anwachsen", schrieben die Sicherheitsexpert:innen Aylin Matlé und András Rácz in einem Beitrag für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Litauische Geheimdienste gehen von zusätzlich 30.000 Soldaten auf russischem Territorium aus. Neben Russland und Belarus beteiligen sich auch kleinere Kontingente aus afrikanischen und zentralasiatischen Staaten sowie Indien. Damit signalisiert Moskau: Selbst im Krieg gegen die Ukraine ist es noch in der Lage, große Formationen aufzustellen.
Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Donnerstag: "Ich wiederhole noch einmal: All diese Maßnahmen richten sich nicht gegen Drittländer." Doch die Realität spricht eine andere Sprache. Parallel testet Russland mit Drohnenflügen über Polen gezielt Reaktionen, betreibt Informationsbeeinflussung und hybride Angriffe.
"Die Übung Sapad 2025 und weitere angeschlossene Übungen tragen das Wort Westen im Namen. Russland macht kein Geheimnis daraus, wohin es sich militärisch orientiert", erklärte etwa der Sicherheitsexperte Nico Lange dem "Spiegel".
Für die Nato bedeutet das: Auch wenn Russland aktuell kaum Reserven für eine neue Front hat, bleibt die Gefahr, dass Material in Belarus zurückgelassen wird. "Als Vorpositionierung für später geplante Operationen", warnt Lange. Litauens und Polens Sicherheitsbehörden fürchten zudem, dass Moskau den Vorstoß aus Belarus nach Kaliningrad erprobt.
Die Nato antwortet mit eigenen Großübungen. In Polen läuft gerade "Iron Defender 25", das größte polnische Manöver der Geschichte mit 30.000 Soldaten. In Litauen trainieren unter dem Namen "Thunder Strike" weitere 17.000 Soldaten aus Nato-Staaten.
"Nato-Manöver sollten so konzipiert sein, dass sie im Ernstfall unmittelbar in reale Verteidigungsoperationen überführt werden können: inklusive Einsatzbereitschaft, Munition und Logistik", empfahlen Matlé und Rácz in ihrem DGAP-Beitrag. Russland dürfe keine Zweifel an der Verteidigungsbereitschaft des Westens haben.
Besonders brisant ist die mögliche Rolle der neuen Rakete "Oreschnik". Sie ist atomwaffenfähig, erreicht vermutlich zwischen 1000 und 3000 Kilometer Reichweite und fliegt zehnfache Schallgeschwindigkeit. Bei einem Test im November 2024 schlug sie in Dnipro ein, allerdings ohne Sprengkopf.
Belarus’ Verteidigungsminister Wiktor Chrenin sagte Mitte August, im Rahmen von Sapad solle auch der "Einsatz der Oreschnik-Rakete" geplant werden. Ob das nur Simulation bleibt oder reale Tests folgen, ist unklar. Für Westeuropa bedeutet die Rakete jedenfalls ein neues Bedrohungsszenario.
Normalerweise entsenden OSZE-Staaten Beobachtende zu Großmanövern, auch Belarus lud diesmal dazu ein. Doch Berlin lehnt ab. Das Verteidigungsministerium erklärte hierzu der "Tagesschau" wörtlich:
Damit verzichtet Deutschland bewusst auf direkte Einblicke. Der ehemalige Militärattaché Reiner Schwalb kritisiert das bei der "Tagesschau": Solche Beobachtungen seien wichtig, um russische Absichten zu erkennen. Zudem könne Transparenz selbst Teil von Abschreckung sein. Russland dagegen hat das Wiener Dokument faktisch ausgesetzt.
Für Machthaber Alexander Lukaschenko ist Sapad ein Balanceakt. Einerseits versucht er, Transparenz zu zeigen, lud Beobachter ein, sucht Nähe zu Washington. Andererseits bleibt sein Regime völlig abhängig von Moskau. "Aus Minsker Sicht besteht immer das Risiko, dass russische Streitkräfte ihr Territorium nicht verlassen", warnt der finnische Militärexperte Joel Linnainmäki im Interview mit der "Taz".
Belarus profitiert kurzfristig von der militärischen Zusammenarbeit. Langfristig jedoch verstärkt sich die Integration mit Russland, bis hin zur Gefahr, dass Belarus seine Eigenständigkeit verliert. Sapad ist damit auch ein Instrument, Lukaschenko politisch und militärisch enger an Putin zu fesseln.
Es ist ein doppeltes Signal: Nach innen demonstriert der Kreml Stärke, trotz hoher Verluste in der Ukraine. Nach außen zeigt er Entschlossenheit – gerade Richtung Nato. "Es geht dem Kreml darum, Entschlossenheit zu signalisieren und die Fähigkeit zu demonstrieren, sich nicht jederzeit mit der gesamten Streitmacht in der Ukraine engagieren zu müssen", sagte Linnainmäki.
Für die Ukraine bedeutet es Ablenkung. Kiew muss im Zweifel Truppen an andere Frontabschnitte verschieben. Für Europa ist die Botschaft klar: Russland bleibt militärisch handlungsfähig und nutzt jede Gelegenheit, um Unsicherheit zu verbreiten.