Die Wiederbelebung stillgelegter Bahnstrecken lohnt sich in vielen ländlichen Regionen Deutschlands. Wie ein Forscherteam im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) jetzt in einer Studie belegen konnte seien die Hürden etwa für eine Genehmigung für eine Reaktivierung hoch. Ergebnis der Studie war, dass häufig nur mit dem direkten finanziellen Nutzen argumentiert werde, während die Effekte auf Bevölkerungsentwicklung, Umwelt und Gesellschaft unberücksichtigt blieben.
Der Studie zufolge, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, könnten mehr als drei Millionen Menschen durch die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken eine bessere Verbindung ins nächstgelegene regionale Zentrum bekommen. Positive Effekte gäbe es auf Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Gesellschaft.
Unter anderem würden ländliche Orte zu attraktiven Wohn- und Arbeitsorten und damit angespannte Wohnungsmärkte in den Städten entlastet. Man hätte den Vorteil des Wohnens auf dem Land, könnte aber Arbeit und Freizeitangebote gut erreichen. Zudem könnten die Regionen von höheren Steuereinnahmen und mehr Tourismus profitieren. Die Wiederbelebung der Strecken wäre damit "eine Investition in die Zukunftsfähigkeit einer Region", sagte Institutsleiter Markus Eltges.
Seit 1994 wurden der Studie zufolge mehr als 5100 Kilometer Bahnstrecke in Deutschland stillgelegt – und nur etwas mehr als 1000 Kilometer reaktiviert. Im Jahr 2019 sei das Eisenbahnnetz so um 16 Prozent kleiner gewesen als im Jahr 1950. In den vergangenen Jahren aber habe ein Umdenken eingesetzt. Das ist auch am Koalitionsvertrag zu erkennen: SPD, Grüne und FDP versprechen darin, das Streckennetz zu erweitern, Strecken zu reaktivieren und Stilllegungen zu vermeiden.
Zu dieser Trendwende passt, dass die Deutsche Bahn im vergangenen Jahr 20 neue Reaktivierungsprojekte für die kommenden Jahre vorgestellt hat. Zusammen haben diese eine Länge von knapp 250 Kilometern. Doch Reaktivierungen sind oft teuer. Zudem gibt es auch bei diesen Bauvorhaben zahlreiche Genehmigungshürden zu überwinden. Auch hier gibt sich die Bundesregierung nun einsichtig.
"Die Autoren der Studie haben völlig recht, dass in der Vergangenheit die Hürden für die Umsetzung einer Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken viel zu hoch war", teilte der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer, am Mittwoch mit.
Künftig solle vor allem die Kosten-Nutzen-Rechnung als Voraussetzung für eine Bundesförderung "vom Kopf auf die Füße" gestellt werden. "Im Vergleich zur bisherigen Berechnungsmethode werden insbesondere Klima- und Umweltnutzen extrem viel stärker berücksichtigt." Auf diese Weise könnten künftig auch Projekte gefördert werden, die zuvor herausgefallen seien.
Der Interessenverband Allianz pro Schiene kritisiert schon seit Jahren ein mangelndes Tempo bei der Wiederinbetriebnahme stillgelegter Strecken. Für das laufende Jahr rechnet der Verband eigenen Angaben zufolge mit nur einer einstelligen Zahl an reaktivierten Strecken-Kilometern. "Allerdings sind verschiedene weitere Reaktivierungen für 2023 und die Folgejahre bereits absehbar", hieß es. "Gerade in ländlichen Regionen ist die Reaktivierung weit mehr als nur eine Klimaschutz- oder Verkehrsmaßnahme", teilte Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege weiter mit. "In der Regel profitiert die gesamte regionale Entwicklung."
Insbesondere das 9-Euro-Ticket habe den enormen Bedarf an einem Ausbau der Gleisinfrastruktur gezeigt, teilte der Linke-Parteichef Martin Schirdewan mit. "Dazu bietet die Reaktivierung von Bahnstrecken einen wichtigen Baustein."
(sb/dpa)