Sollte Lebensmittel mehr kosten? Kaum hatten Millionen Deutsche ihre Weihnachtsbraten vertilgt, hat wieder einmal eine Debatte darüber begonnen, ob Schnitzel und Wurst hierzulande viel zu billig sind. Genauer gesagt geht es nicht nur um Fleisch und Tierprodukte, sondern um Lebensmittel im Allgemeinen.
Cem Özdemir, seit Dezember Landwirtschaftsminister, hat der "Bild am Sonntag" gesagt, es dürfe "keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben". Özdemir weiter: "Sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima. Das will ich ändern."
Das Thema ist alles andere als neu: Sich über Supermarktkataloge mit Schweinekoteletts zum Schleuderpreis aufzuregen, das gehört für viele umweltbewusste Menschen in Deutschland (oder für die, die sich dafür halten) seit Jahren zum guten Ton.
In Deutschland sind Lebensmittel vergleichsweise günstig
Die wichtigsten Argumente für höhere Preise sind seit Langem ähnlich wie die von Özdemir genannten: Niedrige Preise könnten Verbraucherinnen und Verbraucher nur bekommen, weil die Supermarktketten gegenüber Landwirten und Tierzüchtern auf niedrigen Lieferpreisen bestünden. Und das führe dazu, dass diese weniger Geld verdienten und wenig Augenmerk darauf richten könnten, Tiere artgerecht zu halten oder ihre Felder zu bestellen, ohne die Umwelt übermäßig zu belasten.
Auch das ist seit Jahren bekannt: In Deutschland sind Lebensmittel im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern billiger, Menschen in Deutschland wenden einen niedrigeren Anteil ihrer Konsumausgaben für Lebensmittel auf als Menschen etwa in Spanien, Frankreich oder Italien.
Doppelt schwierig: Preisanstieg auch durch Inflation
Özdemirs Aussagen fallen aber in eine Zeit, in der die Preise für viele Produkte und Dienstleistungen ohnehin so stark steigen wie lange nicht mehr: Die Inflationsrate, die die Teuerung für die Verbraucher im Land misst, lag im November bei 5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat – und damit so hoch wie seit 1992 nicht mehr. Die Entwicklung belastet Menschen mit geringem Einkommen besonders stark – was Özdemir den Vorwurf eingebracht hat, überheblich gegenüber bedürftigen Menschen zu sein.
Was plant Özdemir eigentlich genau in Sachen Lebensmittelpreise? Und wie lässt sich verhindern, dass höhere Preise Menschen mit niedrigerem Einkommen besonders stark treffen? watson hat nachgefragt.
Landwirtschaftsministerium: "Der Preis muss die ökologische Wahrheit zum Ausdruck bringen"
Auf die Frage nach Minister Özdemirs Plänen will eine Sprecherin seines Hauses gegenüber watson zunächst einen "klarstellenden Hinweis" loswerden, wie sie es ausdrückt.
Sie schreibt:
"Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, hat nicht gefordert, Fleischpreise (bzw. generell Lebensmittelpreise) zu erhöhen. Um es ganz klar zu sagen: Es geht nicht darum, den Kilopreis von Fleisch oder für andere Lebensmittel staatlich festzusetzen."
Özdemir habe stattdessen im Interview mit der "Bild am Sonntag" betont, es gehe um "Wertschätzung" für Lebensmittel und darum, eine Landwirtschaft zu haben, die Bäuerinnen und Bauern ein gutes Einkommen biete, für gesundes Essen für alle sorge und für "mehr Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz" stehe.
Cem Özdemir, seit Dezember Bundeslandwirtschaftsminister. Bild: www.imago-images.de / bXander Heinl/photothek.de
Die Sprecherin schreibt weiter: "Der Preis eines Lebensmittels muss die ökologische Wahrheit zum Ausdruck bringen – auch das hat Bundesminister Özdemir klargemacht." Sie zitiert Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP: die Tierhaltung an der verfügbaren Fläche auszurichten, die Nutztierhaltung artgerecht umzubauen, eine transparente Tierhaltungskennzeichnung für Lebensmittel zu schaffen. Bis zum Jahr 2030 sollen 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche mit Ökolandbau bewirtschaftet werden.
Wie sich all das konkret etwa auf den Kilopreis von Fleisch auswirken werde, dazu könne man zum jetzigen Zeitpunkt "noch keine Aussagen treffen".
Bauernverband: "Unsere Lebensmittel haben einen höheren Preis verdient"
Beim Bauernverband kommen die Äußerungen Özdemirs zu höheren Lebensmittelpreisen gut an: "Für uns Bauern ist entscheidend, dass mehr Geld auf unseren Höfen ankommt", erklärt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands auf Nachfrage gegenüber watson. "Hier müssen alle in der Kette ihren Teil dazu beitragen – bis zum Verbraucher. Unsere hochwertigen Lebensmittel haben einen höheren Preis verdient."
Für die Bauern ist entscheidend, dass mehr Geld auf den Höfen ankommt (Symbolbild).Bild: dpa / Gregor Fischer
Aldi verteidigt niedrige Lebensmittelpreise
Dass niedrige Lebensmittelpreise wenig Wertschätzung bedeuten, entspricht nicht der Ansicht von Lebensmitteldiscounter Aldi. Wie hoch die Preise für Lebensmittel seien, hängt laut Axel vom Schemm, Sprecher von Aldi Nord, grundsätzlich mit dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage zusammen. "Unser Anspruch ist es, unseren Kundinnen und Kunden zu jedem Zeitpunkt hohe Qualität zum bestmöglichen Preis anzubieten", sagt er gegenüber watson. So seien "Angebotspreise" ein "wichtiges Instrument zum Abbau von Überkapazitäten am Markt".
Beispielhaft dafür nennt vom Schemm den "Schweinestau". Dieser erreichte seinen Peak im September 2020, als zwei Krisen aufeinander trafen: Erst Corona, dann die Afrikanische Schweinepest. Die Schlachthöfe kamen mit den Schlachtungen der Tiere nicht hinterher, Sauenbestände wurden abgebaut, Ferkelimporte und der Export von Fleisch ins Ausland gedrosselt. Die Folge: Die Preise sanken. Seit März 2021 normalisiert sich die Lage allmählich.
Fleischpreise sind auch bei vielen Discountern zuletzt gestiegen
Der Unterschied: Die Bauern halten weniger Tiere. Weil die Nachfrage wieder steigt, aber das Angebot niedrig ist, steigen auch die Preise für das Fleisch an. Laut der Schweine-Erzeugergemeinschaft Südbayern hänge das unter anderem auch damit zusammen, dass sich viele Schweinehalter bei der "Initiative Tierwohl" angemeldet hätten.
Auch bei dem Discounter Aldi findet in Bezug auf das Tierwohl ein Umdenken statt. Ab 2025 soll es keine Frischfleischprodukte der Haltungsform 1 mehr geben. In einer Pressemitteilung erklärte Aldi-Managing Director Tobias Heinbockel:
"Aldi tritt den Beweis an, dass ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und Nachhaltigkeit sich keineswegs ausschließen. Das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen und gehen nun noch einen entscheidenden Schritt weiter."
Tobias HeinbockelAldi-managing Director Category management
Im Preis bemerkbar macht sich diese Umstellung bereits seit Juni 2021 – laut der "Lebensmittelzeitung" je nach Tierart zwischen zehn und 30 Cent. Das berichtete der "Focus". Auf einer Pressekonferenz erklärte Lars Klein, Managing Director Buying bei Aldi Süd dazu:
"Wir sehen auch die Herausforderungen der Landwirte. Unsere Bauern müssen Futtermittel umstellen und Ställe ausbauen. Das geht bei allem guten Willen nicht von heute auf morgen."
Lars KleinManaging Director Buying bei Aldi Süd
Armutsforscher Butterwegge: "Es gibt in Deutschland echte Ernährungsarmut, bis hin zu Hunger"
Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher, stimmt Landwirtschaftsminister Özdemir immerhin grundsätzlich zu. Im Gespräch mit watson sagt er: "Ich teile Cem Özdemirs Zielvorstellungen. Ich bin auch der Meinung, dass Lebensmittel nicht verramscht werden sollen." Gleichzeitig seien Sonderangebote auf Lebensmittel gerade für Menschen mit geringem Einkommen wichtig, um überhaupt über die Runden zu kommen und die eigene Familie ernähren zu können.
Butterwegge sieht gerade Menschen, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, in großer Gefahr, weiter zu verarmen. Schon jetzt steigen die Preise für Strom, Gas und Lebensmittel deutlich stärker als die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger. Dass CDU, CSU und SPD kurz vor der Bundestagswahl eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze zum 1. Januar 2022 um weniger als ein Prozent beschlossen haben, hält Butterwegge für "rücksichtlos statt respektvoll"; es sei "ein Skandal, der viel stärker thematisiert werden müsste." Die Entwicklung fasst er so zusammen: "Auch die Ampel-Koalitionäre verhindern nicht, dass die Armen im nächsten Jahr wegen der höheren Preissteigerungsrate noch ein Stück ärmer werden."
Christoph Butterwegge forscht und veröffentlicht seit Jahren dazu, wie sich Armut in Deutschland entwickelt und auswirkt. Bild: Wolfgang Schmidt / Wolfgang Schmidt
Dabei sei, so Butterwegge, die Lage mit Blick auf Lebensmittel für arme Menschen schon jetzt dramatisch. Er sagt wörtlich:
"Es gibt in Deutschland echte Ernährungsarmut, bis hin zu Hunger. In der Pandemie hat die Verelendung im Obdachlosenmilieu zugenommen, und es sind auch viele Menschen zu den Tafeln gekommen, die darauf vorher nicht angewiesen waren."
Weiter steigende Lebensmittelpreise, meint der emeritierte Professor Butterwegge, bedeuteten für viele Familien die Gefahr, "nicht mehr über die Runde zu kommen."
Lorenz Gösta Beutin, bis Oktober Bundestagsabgeordneter der Linken und Mitglied des Parteivorstands, sieht die Diskussion über zu niedrige Lebensmittelpreise fehl am Platz. Er fordert stärkeren Druck auf Viehzüchter, Fleischverarbeiter und Supermarktketten:
"Wer sich bei Lebensmittelpreisen auf die Preisschraube konzentriert, verliert die soziale Frage aus dem Blick. Eine Diskussion über zu niedrige Lebensmittelpreise führt in die Irre, denn schon jetzt leiden vor allem einkommensschwache Haushalte unter steigenden Preisen. Richtig wäre es, bei der Produktion anzusetzen, Massentierhaltung und Fleischfabriken dichtzumachen, große Einzelhandelsketten gesetzlich in die Schranken zu weisen und Landwirte bei der Umstellung auf einen soziale und ökologisch nachhaltige Produktion zu unterstützen."
Was Menschen mit niedrigem Einkommen helfen könnte
Doch auch Gösta Beutins Forderungen dürften zu höheren Preisen Verbraucher führen: Wenn Massentierhaltung eingeschränkt wird und Lebensmittelhändler Bauern höhere Preise für deren Produkte zahlen, dann wird sich das auch in den Preisen an der Supermarktkasse widerspiegeln.
Aber wie kann Menschen mit niedrigerem Einkommen geholfen werden, um Preissteigerungen zu verkraften?
Armutsforscher Butterwegge, den die Linkspartei 2017 als Kandidat für die Wahl zum Bundespräsidenten aufstellte, sieht die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP in der Pflicht. Um die Belastung steigender Lebensmittelpreise auszugleichen, seien zwei Maßnahmen wichtig: Zum einen müsse die im Koalitionsvertrag versprochene Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro schnell umgesetzt werden – und die Kontrollen müssten verschärft werden, um diejenigen Arbeitgeber zu entdecken, die weniger als den Mindestlohn zahlten.
Andererseits müsse das von der Ampelkoalition geplante "Bürgergeld", das Hartz IV ersetzen soll, auch höher ausfallen als die bisherigen Regelsätze. Butterwege sagt dazu: "Das hat die Ampel bisher nicht geplant, das wäre aber nötig, damit Bezieher auch höhere Preise zahlen können."
Verbraucherzentrale fordert geringere Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse
Linken-Politiker Gösta Beutin fordert ein "unbürokratisches Energiegeld" für Niedrigverdiener – und eine komplette Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wie Gemüse.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), verweist gegenüber watson auf eine ähnliche Forderung von Vorstand Klaus Müller. Müller erklärt, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte müssten "mit einem noch geringeren Mehrwertsteuersatz belegt werden", also unter dem aktuell geltenden ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent.
Seit Donnerstagvormittag stehen die Menschen in Supermärkten auf Mallorca teils vor leeren Regalen. Vor allem frische Produkte wie Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch oder Eier fehlen.