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Verkürzte Öffnungszeiten, Personalmangel in Kitas: Wie Eltern und Erzieher leiden

Private Kita WICHTELAKADEMIE Zwei Betreuerinnen der privaten Kindertagesstaette WICHTELAKADEMIE gehen mit einer Gruppe Kinder durch Muenchen-sie tragen Signalwesten. Poolfoto SVEN SIMON - *** Private  ...
Durch Corona hat sich das Leben in Deutschland verändert – auch in den Kindertagesstätten.Bild: SVEN SIMON / imago images
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Personalmangel in Kitas – und dann kam Corona: Wie Eltern und Erzieher nun leiden

28.09.2020, 11:2128.09.2020, 12:13
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"Masken auf!", heißt es seit diesem Sommer für Eltern beim Betreten der Kindertagesstätten. War früher das Ausziehen der Schuhe am Eingang noch der aufwendigste Teil des Kita-Besuchs für Eltern, müssen sie jetzt eine ganze Checkliste durchgehen. An den obligatorischen Mundschutz haben sich viele inzwischen gewöhnt, ebenso an das Desinfizieren der Hände.

Aber die neue Situation durch die Corona-Maßnahmen erfordert mehr Zugeständnisse, als vielen lieb ist: in den engen Räumen die Abstände zu anderen Erwachsenen einhalten, die Gruppenräume nicht betreten und bei der Übergabe beeilen. Eltern-Cafés, vorher wichtige Begegnungsstätte, gerade wenn das Kind neu in der Kita ist, wurden gestrichen. Elternabende finden nur mit einem Elternteil, Abstand und Mundschutz statt. Nach Wochenenden und Urlauben muss ein mehrseitiges Formular ausgefüllt werden, in dem Eltern erklären, dass ihr Kind keine Corona-Symptome aufweist, keinen Kontakt zu Corona-Patienten hatte und sie nicht im Ausland waren.

"Die Kitas bemühen sich"

Für Anna (Name von der Redaktion geändert) sind die Veränderungen durch die Corona-Maßnahmen mehr als nur lästig. Sie und ihr Mann haben ein kompliziertes System ausgearbeitet, um die Betreuung ihrer Tochter zu gewährleisten und gleichzeitig noch arbeiten zu gehen. Anna ist nach der Elternzeit auf Teilzeit umgestiegen. Ihr Mann arbeitet Vollzeit im Schichtdienst. Keine ungewöhnliche Mischung: Viele Eltern teilen die Betreuungszeit so auf. Trotzdem kamen beide damit schon früher häufig an ihre Belastungsgrenze. Seit Corona sind sie im Dauerstress.

Nach dem Beginn der Corona-Krise im Frühjahr hieß es mehrere Wochen lang erst einmal Heimbetreuung für die zwei Jahre alte Tochter, während beide Eltern voll berufstätig waren. Ihre Jobs galten in Berlin zwar als systemrelevant, aber beide hatten Angst, sich mit dem Virus zu infizieren und wollten die Großeltern der Tochter schützen. Seitdem die Kitas im Juni nun wieder auf Regelbetrieb umgestellt haben, ist es leichter geworden, von Normalität kann trotzdem keine Rede sein. Denn die neuen Corona-Maßnahmen haben die Möglichkeiten zur Betreuung der Kinder stark eingeschränkt. Auch in Annas Kita hat sich einiges verändert.

Die Betreuungszeit wurde nachmittags um zweieinhalb und morgens um eine Stunde gekürzt. "Das liegt daran, dass Gruppen nicht mehr gemischt werden dürfen und für die Früh- und Spätbetreuung werden Kinder, deren Eltern noch länger arbeiten, normalerweise zusammengelegt", erzählt Anna. Sie habe Verständnis für die Kita-Mitarbeiter und weiß, dass es nicht an deren Engagement hängt:

"Die Kitas bemühen sich trotzdem, so gut wie möglich die Betreuung sicherzustellen."

Trotzdem ist es ein Balanceakt, mit so viel weniger Stunden auszukommen, wenn beide Elternteile berufstätig sind.

Auch die notwendige Flexibilität, die Annas Job eigentlich verlangt, kann durch die Betreuung nicht mehr gewährleistet werden: "Wenn ich spontan länger bleiben soll, weil etwas nicht fertig wird, ist das ein Problem." Früher konnte man zumindest eine halbe Stunde oder Stunde flexibel planen. Heute schließt die Kita bereits um 15 Uhr.

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Seit September haben die Kitas in allen Bundesländern wieder auf Regelbetrieb umgestellt. Zuvor waren die Kitas bundesweit für einige Wochen geschlossen und seit Juni nach und nach wieder geöffnet.Bild: www.imago-images.de / Max Kovalenko

"Was Erzieherinnen und Erzieher derzeit leisten, verdient höchste Anerkennung"

Nicht nur die Eltern müssen sich umstellen, auch die Betreuer kommen durch die Corona-Maßnahmen an ihre Belastungsgrenze. Schon vor der Pandemie herrschten in den Kindertagesstätten teils desaströse Zustände: Laut einer Studie von März 2020 gab jede vierte Kita-Leitung an, in über 40 Prozent der Betreuungszeit mit zu wenig Personal gearbeitet zu haben. "Bundesweit fehlen über 100.000 Erzieher", sagt auch Waltraud Weegmann, Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands, gegenüber watson. Durch die Corona-Pandemie habe sich das Fachkräfte-Problem weiter zugespitzt:

"Schwangere und Erzieher, die zur Risikogruppe gehören, können derzeit nicht mit den Kindern arbeiten. Zwar sind es nicht so viele wie anfangs gedacht, dennoch sind die Auswirkungen für alle Beteiligten insgesamt deutlich spürbar: Träger können den Familien nicht ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung stellen."

Die vorhandenen Kita-Teams arbeiteten an der Belastungsgrenze, so Weegmann, und es kommt zu Beeinträchtigungen der Kita-Qualität. Denn: "Die Corona-Maßnahmen beschäftigen die Kita-Träger sehr. Die ohnehin schon große Bürokratie im Kita-Bereich hat noch einmal deutlich zugenommen." Die Träger suchten die besten Lösungen für die Kinder, Eltern und Mitarbeiter. Dabei müssten sie auch bedenken, welche Auswirkungen die Infektionsschutzmaßnahmen auf das jeweilige pädagogische Konzept hätten.

"Das Personal in den Kitas muss ebenso mehr Energie als sonst für die alltäglichen Arbeitsabläufe aufwenden. Die Teams müssen viel organisieren und die Abläufe an die sich häufig ändernde Situation anpassen. Sie müssen vor allem auf die Einhaltung der Hygiene-Maßnahmen achten. Das darf kein Dauerzustand werden, denn das Hauptaugenmerk sollte auf der Pädagogik und der Arbeit am Kind liegen."

"Was Erzieherinnen und Erzieher derzeit leisten, verdient höchste Anerkennung", sagt auch der Bundesvorsitzenden des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, gegenüber watson. Höchste Anerkennung hätten sie aber auch schon vor den Corona-bedingten Zusatzherausforderungen verdient, denen sie sich aktuell täglich stellen. Beckmann findet:

"Dass Erzieherinnen und Erzieher diese (Anerkennung) aber immer noch nicht erhalten, müsste den politisch Verantwortlichen die Schamesröte ins Gesicht treiben."

Die Politik müsse ihren, gerade in diesen Zeiten, oft gehörten Bekenntnissen der Wertschätzung Taten folgen lassen. "Mit allem Nachdruck, umfassend und beschleunigt."

Es dürfe zum Beispiel nicht sein, dass ungeklärte oder unzureichend beantwortete Fragen im Kontext der Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus in Form "unrealisierbarer Vorgaben" an die Kita weitergereicht werden. "Bei einer ohnehin angespannten Personalsituation und mit Blick auf den Schutz der Gesundheit, der immer höchste Priorität haben muss, ist dies nicht zu vertreten", sagt Beckmann. Weiterhin sagt er:

"Corona zeigt zudem unter dem Brennglas, was darüber hinaus von der Politik endlich umgesetzt werden muss: Angemessene Arbeitsbedingungen und eine gerechte, bessere Bezahlung, auch für Auszubildende."

In Hinblick auf dem gesundheitlichen Schutz fügt Weegmann hinzu, dass "ausreichend Testkapazitäten im Kita-Umfeld" helfen würden. Diese müssten rund um die Uhr zur Verfügung stehen und die Ergebnisse müssen binnen weniger Stunden aufrufbar sein. "Damit die Kitas bei Verdachtsfällen nicht vorsorglich geschlossen werden müssen."

Eltern wie Anna werden durch Weegmanns und Beckmanns Forderungen zumindest in naher Zukunft nicht entlastet. Sie kann nur hoffen, dass die zweite pandemische Welle das Land nicht genauso großer Heftigkeit überrollt, wie die erste es getan hat – und ihre Kita zumindest mit den verkürzten Betreuungszeiten offen bleibt.