Noch ist die große Reform des Gesundheitssystems Zukunftsmusik. Bisher haben Expert:innen Vorschläge gemacht, was verändert werden könnte. Dass sich etwas ändern muss, das ist klar. Der Winter hat gezeigt, wie es um die deutschen Kliniken steht: In Teilen so schlecht, dass nicht einmal mehr Kinder versorgt werden können.
Die Vorschläge des Sachverständigengremiums versprechen Veränderung: Zentralisierung, ambulante Versorgung, neue Finanzierung. Doch was bedeuten die Pläne für Patient:innen? Darüber hat watson mit dem Gesundheitsökonomen Andreas Beivers von der Hochschule Fresenius in München gesprochen.
Ein Punkt, den Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angehen soll – zumindest aus Sicht der Expert:innen – ist die Finanzierung der Kliniken. Das aktuelle System sind die sogenannten Fallpauschalen. Die Krankenkassen zahlen fixe Preise für festgelegte Krankenbilder und Behandlungen. Die Kritik daran: der:die blutig entlassene Patient:in. Denn nicht nur Behandlung und Bezahlung sind mit der Pauschale geregelt, sondern auch die Dauer des Klinikaufenthalts.
"Die Fallpauschale an sich kann nichts für die negativen Effekte", sagt Beivers. Sie werde einfach falsch angewandt. "In Deutschland ist der Ansatz, dass sich die Krankenhäuser allein durch die Fallpauschalen finanzieren sollen und so in einem Hamsterrad landen. Wer viel operiert, verdient viel Geld", fasst der Ökonom zusammen.
Lauterbach will daran etwas ändern. Die Expert:innenkommission hat sich für eine 40/60-Lösung ausgesprochen. 40 Prozent des Geldes sollen nach wie vor durch Fallpauschalen reinkommen, 60 Prozent durch sogenannte Vorhaltekosten. Also Geld, das ohne akute Behandlung in die Kliniken gesteckt wird. Der Gesundheitsminister sprach in diesem Zusammenhang von der Entökonomisierung der Kliniken.
Ein Ausdruck, der Beivers sauer aufstößt. Lieber wäre es dem Ökonomen, Lauterbach würde von einer Entkommerzialisierung sprechen. Er stellt klar: "Ökonomie ist die Wissenschaft der Bewirtschaftung knapper Ressourcen."
Konkret heißt das: Ressourcen dort einsetzen, wo sie den meisten Nutzen haben und keine Ressourcen verschwenden. "Ökonomie heißt: Wir haben knappe finanzielle und personelle Ressourcen, oder auch knappe Arzneimittel – und wir müssen schauen, dass wir das alles so gut wie möglich einsetzen", macht Beivers deutlich. Recht habe Lauterbach allerdings mit der Abkehr vom Zwang der Fallzahl- und somit Erlösmaximierung der Krankenhäuser, um ökonomisch überleben zu können.
Neben der Finanzierung durch die Kassen ist die Gesundheit Ländersache. Meint: Die Bundesländer müssen Budget für das Gesundheitssystem und die Kliniken lockermachen. Aus Sicht der Kliniken passiert hier aber zu wenig. So erklärte beispielsweise Burkhard Rodeck auf watson-Anfrage: "Seit Jahrzehnten werden den Krankenhäusern nur knapp die Hälfte der benötigten Mittel zugeführt." Er ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und fordert von den Ländern, daran etwas zu ändern.
Und das, obwohl die Gesundheitsausgaben jährlich steigen. "Es wird also nicht an den Krankenhäusern gespart", sagt Beivers. Trotzdem seien die Kliniken unterfinanziert. Wo also versickert das Geld? In ineffizienten Strukturen, ist der Gesundheitsökonom überzeugt. Zu viele Eingriffe werden stationär gemacht, obwohl eine ambulante Versorgung ausreichen würde.
Ein Missstand, den Lauterbach ebenfalls angehen will. Und mit der Aufwertung der ambulanten Versorgung soll auch ein alter Vorstoß wieder auf die Agenda kommen: die Zentralisierung.
Zentralisierung, stellt Beivers klar, ist nichts Schlechtes. Auch wenn viele Menschen im ländlichen Raum allein bei der Nennung des Wortes anfangen, sich um ihre medizinische Versorgung Gedanken zu machen.
Zentralisierung bedeutet aber nicht, dass alle Kreiskrankenhäuser schließen müssen, meint Beivers. Vielmehr gehe es dabei darum, Fachkräfte und Kompetenzen sinnvoll und fair zu verteilen. Stichwort Ökonomie.
Konkret heißt das: Personal wird in großen Kliniken gebündelt, die kleineren und mittleren Krankenhäuser hingegen könnten mit weniger Personal auskommen – aus dem einfachen Grund, dass dort eben nicht mehr so viele Behandlungen durchgeführt werden. Stattdessen könnten sie sich um die Nachsorge von Patient:innen kümmern.
Im praktischen Beispiel würde das bedeuten, dass die fiktive Patientin Monika Maier aus Höchst im Odenwald künftig in Aschaffenburg oder Darmstadt operiert wird, während ihre Nachsorge im Kreiskrankenhaus Erbach erfolgt. Ihre Familie kann sie also ohne große Anfahrt besuchen kommen.
Das klingt kompliziert, ist aber notwendig, meint Beivers. Die kleinen und mittleren Krankenhäuser würden sich nämlich kaum rentieren. Zu hoch seien die Kosten für die teuren Gerätschaften, die bereitgestellt werden müssten. Genauso wie die Kosten für das viele Fachpersonal, das eine 24-Stunden-Verfügbarkeit erfordert.
Beivers sagt:
Diese Einrichtungen bräuchten allerdings hochmoderne und komplexe Geräte – und die seien sehr teuer. Sparen würde Deutschland mit der Zentralisierung also nicht, aber die Qualität würde steigen.
Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, meint Beivers. Und zwar dann, wenn sich neben der ambulanten Versorgung in den Zentralkliniken keine Gedanken über die Nachsorge und das Case Management gemacht würden. Also die Koordination der individuellen Versorgung von Patient:innen.
Es wäre niemandem geholfen, wenn Patient:innen nach ihrer ambulanten Verhandlung einfach vor die Tür gesetzt würden, ohne zu wissen, wie die persönlichen Umstände der Person sind.
Zurück zum fiktiven Beispiel Monika Maier aus dem Odenwald: Wenn sie in Aschaffenburg oder Darmstadt ambulant behandelt worden ist, muss sie irgendwie zurück in den Odenwald. Hat sie Kinder, eine:n Partner:in? Kurz: Kann sich jemand um sie kümmern und nach der Behandlung abholen? Das sind Fragen, die Kliniken beantworten müssen.
"Wenn ich komplexe Versorgung bündle, brauche ich ein Netz, dass sich um die Nachsorge kümmert. Das gibt es heute noch nicht, wir müssen uns also überlegen: Wie viele alte Krankenhäuser können Teil dieses Netzes sein?", führt Beivers weiter aus. Was es also auch künftig braucht: medizinisch-pflegerische Versorgung in den Regionen.
Es gehe darum, viele der Kreiskrankenhäuser umzuwandeln, statt sie zu schließen. Sei es nun in kleine Fachkliniken oder Überwachungskliniken. Es darf nicht passieren, meint Beivers, dass das System so umgeformt wird, dass alle Menschen auf dem Land für jegliche Versorgung weit fahren müssen.
Die aktuellen Mängel, die an allen Ecken aufploppen, seien mehr als ein Frühwarnsystem. "Unser System ist nicht auf die zukünftigen Herausforderungen ausgelegt", sagt Beivers. Höchste Zeit also, die Probleme anzugehen.
Und die Reform wird kommen, davon ist der Ökonom überzeugt. Profitieren können davon am Ende sowohl das Klinikpersonal, als auch die Patient:innen.