Zwei Monate ist es inzwischen her, dass die US-Präsidentschaftswahl zu Ende gegangen ist. Der Demokrat Joe Biden hat sie gegen den republikanischen Amtsinhaber Donald Trump gewonnen. Biden ist der designierte Präsident: Am 6. Januar soll der US-Kongress seinen Wahlsieg im Electoral College, dem Wahlleutegremium, bestätigen. Am 20. Januar dann wird Biden seinen Amtseid schwören. So weit, so scheinbar normal.
Das Problem: Trump denkt nach wie vor nicht daran, seine Niederlage zu akzeptieren. Er weigert sich, Biden zum Sieg zu gratulieren, spricht seit Monaten von angeblichem Wahlbetrug – und übt politischen und juristischen Druck aus, um das Ergebnis zu kippen. Jetzt hat die "Washington Post" einen besonders drastischen Versuch Trumps dokumentiert, sich an der Macht festzuklammern: ein Telefonat des noch amtierenden Präsidenten mit Brad Raffensperger, Staatssekretär des US-Bundesstaats Georgia. In dem Anruf fordert Trump Raffensperger unter anderem dazu auf, er solle für den Präsidenten "11.780 Stimmen finden... weil wir den Bundesstaat gewonnen haben".
Trump hatte Georgia bei der Wahl vom 3. November knapp verloren. Der Demokrat Joe Biden lag dort mit etwa 12.000 Stimmen vorne. Die Ergebnisse wurden seit der Wahl inzwischen zweimal nachgezählt – trotz Trumps Behauptungen fanden sich dabei aber keinerlei Hinweise auf Wahlbetrug.
Trump droht Raffensperger in dem Anruf, dieser gehe ein "großes Risiko" ein, wenn er seiner Bitte nicht entspreche. Er, Raffensperger, begehe außerdem womöglich einer Straftat, wenn er nicht gegen den "Wahlbetrug" vorgehe.
Raffensperger ist wie Trump Republikaner – und politisch verantwortlich für den korrekten Ablauf der Wahl und der Auszählung in Georgia. Raffensperger hat mehrfach öffentlich betont, dass das Wahlergebnis in Georgia nach all seinen Erkenntnissen korrekt zustande gekommen ist – und wiederholt das im mitgeschnittenen Telefonat auch gegenüber Trump.
Was bedeutet dieser Einschüchterungsversuch Trumps? Wie gefährlich ist er für die Demokratie?
Watson hat darüber mit zwei Experten zur US-Politik gesprochen: Zum einen mit Autorin, Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt. Sie schreibt regelmäßig über die US-amerikanische Politik, im kommenden Herbst erscheint ihr Buch "Amerikas Gotteskrieger" über den Einfluss der religiösen Rechten in den USA.
Zum anderen mit Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik – der in seinem Essay "Das Ende des amerikanischen Zeitalters" beleuchtet hat, wie die Trump-Präsidentschaft die Beziehungen der USA mit dem Rest der Welt beeinflusst hat.
Politikwissenschaftler Jäger sieht Trumps Drohtelefonat mit Raffensperger zum einen als "tragik-komischen Anruf aus einer Parallelwelt" und "eher zum Fremdschämen als zum Lachen". Man könne darüber "eigentlich nur den Kopf schütteln".
Andererseits dokumentiere Trumps Anruf, "wie weit Präsident Trump geht, um an der Macht zu bleiben". Aus Jägers Sicht werden die kommenden Wochen bei Trump-Anhängern drei "Wutschreie" auslösen.
Den ersten dieser symbolischen Schreie sieht Jäger nach den Stichwahlen um zwei entscheidende Senatssitze in Georgia kommen. Gewinnen die Demokraten diese Sitze, dann ist die bisherige republikanische Mehrheit in dieser Kongresskammer verloren – und damit der voraussichtlich wichtigste Teil ihrer politischen Macht für die kommenden zwei Jahre. Jäger dazu wörtlich:
Die Wut der Republikaner weiter anheizen wird nach Jägers Einschätzung die endgültige Bestätigung von Joe Bidens Wahlsieg am 6. Januar.
Den dritten Wutschrei dürften laut Jäger Demonstrationen von Trump-Anhängern auf den Straßen der US-Hauptstadt Washington verursachen.
Trump verursache mit seinem aggressiven Kampf gegen die eigene Abwahl einen großen Schaden an der US-amerikanischen Demokratie, sagt Jäger weiter.
Jäger bleibt aber optimistisch, was die Widerstandsfähigkeit der Demokratie angeht:
Autorin Annika Brockschmidt ist sich da nicht so sicher. Laut Brockschmidt ist Trumps Anruf bei Raffensperger "extrem gefährlich". Er müsse Trump in normalen Zeiten eigentlich ein Amtsenthebungsverfahren kosten.
Gegenüber watson erklärt sie:
Ist Trumps Anruf bei Raffensperger ein historischer Tiefpunkt? Der legendäre Journalist Carl Bernstein glaubt: Ja. Im Gespräch mit dem US-Nachrichtensender CNN sagte Bernstein, er glaube, es sei "viel schlimmer als Watergate", was Trump getan habe. Watergate, das ist der Skandal um Machtmissbrauch, Steuerbetrug und Schmutzkampagnen gegen politische Gegner, aufgrund dessen der damalige US-Präsident Richard Nixon 1974 zurücktrat – und zu dessen Enthüllung Journalist Bernstein und sein Kollege Bob Woodward entscheidend beitrugen.
Für Historikerin Brockschmidt ist der Vergleich passend. Mit dem Anruf versuche "ein abgewählter Präsident die Wahl zu stehlen und sich als autokratischer Herrscher installieren zu lassen" und bedrohe dabei einen Regierungsvertreter seiner eigenen Partei.
Es gebe allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Watergate-Skandal und Trumps Anruf: die Haltung der Republikanischen Partei, der Grand Old Party, kurz GOP.
Brockschmidt wörtlich:
Für Politikwissenschaftler Jäger ist der Vergleich mit Watergate hingegen schwierig. Das liege vor allem daran, dass Trump seine Methoden offen anwende, während Nixon sie zu verstecken versuchte. Jäger wörtlich:
Durch seine öffentlichen Drohungen, meint Jäger, wolle Trump sich eine politische Zukunft sichern.
Ähnlich seien der Watergate-Skandal und Trumps Festkrallen an der Macht aber in der Wirkung. Jäger sagt dazu gegenüber watson:
Trumps Nachfolger Joe Biden habe daher, wie Nixons Nachfolger, die Aufgabe, den Ruf der Demokratie bei den US-Amerikanern wieder zu verbessern. Das sei für Biden aber schwerer als Ende der 1970er und Anfang der 1980er-Jahre für Carter und Reagan. Jäger erklärt das so: