Am Sonntag stehen in Spanien die Wahlen an. Früher als geplant – denn anscheinend steht das spanische Volk nicht mehr hinter der aktuellen Minderheitsregierung von Pedro Sánchez.
Das zeigten die Regional- und Kommunalwahlen im Mai. Die sozialdemokratische PSOE um Regierungschef Sánchez und die linke Podemos-Partei holten eine schwere Wahlschlappe ein. Seit 2020 regieren sie gemeinsam das Land – doch damit könnte bald Schluss sein.
Hingegen triumphierte die oppositionelle konservative Volkspartei (PP) von Alberto Núñez Feijóo vielerorts überraschend deutlich. Aber auch die rechtsextreme Vox-Partei legte an Stimmen zu.
Was sich in der politischen Landschaft Spaniens bewegt und warum die Rechten auch junge Menschen anziehen, erklärt Spanien-Experte Ludger Gruber auf watson-Anfrage.
Ein rechtsgerichteter "Tsunami" sei "durch alle Regionen in Spanien" gefegt, sagt der sozialdemokratische Spitzenkandidat in der nördlichen Region Aragon, Javier Lamban, der eine Niederlage erlitt. Auch die Medien sprechen von einem "Rechtsruck" im Land.
Doch mit diesem Ausdruck wäre Gruber vorsichtig. In Madrid leitet er das Auslandsbüro für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung.
"Der Begriff 'Rechtsruck' ist das Narrativ aus linker Sicht", erklärt Gruber. Ihm zufolge bewegen sich Wahlprogramm und Politik der PP im gleichen programmatischen und weltanschaulichen Spektrum wie die deutschen Parteien, abgesehen von der AfD und der Linkspartei.
Allerdings wählen laut ihm viele ehemalige PP-Anhänger:innen die nationalkonservative, rechtspopulistische Vox-Partei.
Vox gehe radikaler "gegen die Aufweichung des klassischen Familienbildes oder gegen die Angriffe auf die Einheit Spaniens seitens der Separatisten vor", erklärt Gruber. Laut ihm steht für das spanische Volk die Wahrung der Nation mit einem konservativen Grundton im Vordergrund.
Sprich, die Politik für Minderheiten wird abgelehnt, das liberale Sexualstrafrecht stoße auf reichlich Kritik und die Migrationspolitik stehe ganz oben auf der politischen Agenda – obwohl dieses Thema landesweit derzeit kein herausgehobenes Problem darstellt.
So wollen Gruber zufolge etwa Vox-Wähler:innen am liebsten keine Einwanderung, und wenn doch, dann möglichst aus dem spanisch-sprechenden Raum, damit Integration gelingt. "Vox wollen demnach die illegale Einwanderung scharf bekämpfen und möglichst keinen Islam im Land", führt er aus.
Das Resultat: Die Partei verdoppelte ihren Stimmenanteil auf 7,2 Prozent und ist nun drittstärkste politische Kraft.
Währenddessen ist Gruber zufolge der PSOE flächendeckend der linkspopulistische Koalitionspartner Podemos weggebrochen, der massiv an Stimmen verloren hat. "Auch die übrigen Linksparteien Izquierda Unida oder Más Madrid mussten Federn lassen", sagt er.
Im Gegenzug habe die PP etwa 8,5 Prozent zugelegt und wurde fast überall die meist gewählte Partei. Wie kam es also zu dem politischen Erdbeben in Spanien im Mai? Gruber nennt einige von vielen Gründen:
Zusammenfassend: Der grundlegende Fortschritt (progresismo) der Linksregierung wurde von der Mehrheit der Wählerschaft nicht mehr als Fortschritt, sondern als Verschlechterung und Bevormundung empfunden, meint Gruber. Offenbar auch von der Jugend.
"Soziologisch sind konservative Werte in der Jugend Spaniens verbreiterter als gedacht", erklärt Gruber. Bei den jungen Vox-Wähler:innen dürfte ein Protest gegen Wokeness und Cancel- Culture eine Rolle spielen. Doch vor allem wisse Vox die Jugendarbeitslosigkeit zu adressieren, meint der Experte.
Er führt aus:
Vox vermenge diese Probleme mit Ressentiments gegen ausländische Arbeitskräfte. Das kommt offenbar vor allem gut bei jungen Spaniern an.
Laut Gruber hat es die Partei vor allem durch ihre professionelle Social-Media-Strategie geschafft, ihre vereinfachenden Botschaften bei jungen Menschen zu platzieren. Den traditionellen Parteien gelinge dagegen nur sehr beschränkt der Zugang zur jungen Wählerschaft, führt der Experte aus.
Er sagt:
Vieles spricht dafür, dass Spanien ein politischer Wandel bevorsteht – auch die jüngsten Wahltrends.
Im aktuellen "PolitPro"-Wahltrend zur Parlamentswahl in Spanien schneidet derzeit die PP am besten mit 33,5 Prozent ab, dicht gefolgt von der PSOE (27,7 Prozent). Vox erreicht 13,2 Prozent. Die linke Plattform Sumar, zu der auch Podemos gehört, kommt ebenfalls auf 13,2 Prozent.
Die guten Zahlen der Vox-Partei bringt die PP in ein Dilemma. Denn: Für die Regierungsbildung sind die Konservativen auf die Unterstützung der Rechtsextremen angewiesen. "Dabei betreibt die PP einen Wahlkampf gegen Vox, um eine eigene absolute Mehrheit zu ergattern", sagt Gruber.
Doch er geht davon aus, dass sich die PP für eine bestimmte Art der Zusammenarbeit mit Vox vor oder nach den Wahlen entscheiden wird. "Darauf weisen schon die jetzt vereinbarten Regierungskoalitionen im Nachgang zu den Regional- und Kommunalwahlen hin", erklärt er. Die PP versuche demnach einen "ziemlichen Spagat hinzulegen".
Währenddessen brauche die Linkspartei die Strategie der Warnung vor der "rechten Welle", um ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. Ob die Strategie von PSOE aufgehen wird, mit dem Verliererteam anzutreten und damit die Wähler:innen zu überzeugen, ist Gruber zufolge mehr als fraglich.
So werde Regierungschef Sánchez in Spanien zunehmend als Problemfigur gesehen: zu sprunghaft, prinzipienlos, autoritär. Im Gegensatz zum Ausland, das ihn sehr schätzt, meint Gruber.
Laut ihm ist mit einer Wechselstimmung im Land zu rechnen. Allerdings sei Spanien aber derzeit derart in Unruhe und soviel in Bewegung, dass sich das Stimmungsbild nahezu täglich ändern könne.
(Mit Material der AFP)