Boris Palmer ist wohl einer der berühmtesten deutschen Oberbürgermeister. Eine Reizfigur aus dem schwäbischen Tübingen. Seine Partei, die Grünen, wollte ihn loswerden. Zu einem Ausschluss hat es nicht gereicht, aber die Mitgliedschaft ruht aktuell. Am Sonntag möchte er sich erneut zum Tübinger Stadtoberhaupt wählen lassen.
Eine Gegenkandidatin stammt aus Palmers eigener Partei: Ulrike Baumgärtner. Daneben gibt es noch vier weitere Herausforder:innen. Sofie Geisel von der SPD, die auch von der FDP und der Tübinger Liste unterstützt wird, Markus Vogt (Die Partei), Sandro Vidotto (unabhängig) und Frank Walz (unabhängig).
Das Rennen wird sich aber wohl zwischen Palmer, Baumgärtner und Geisel entscheiden.
Doch warum ist Palmer eigentlich so eine Reizfigur? Und warum tritt eine Kandidatin aus seiner eigenen Partei bei dieser Wahl gegen ihn an?
Seit 2007 ist Palmer Oberbürgermeister von Tübingen, seit 1996 Mitglied der Grünen. Bei dieser Wahl allerdings wird er als Unabhängiger antreten. Seine Parteimitgliedschaft ruht seit diesem Jahr.
Palmer fällt immer wieder durch Äußerungen auf, die in konservativen und rechten Kreisen für Applaus sorgen. Häufig geht es darin um die Hautfarbe von Menschen. Bei einer Äußerung über den ehemaligen Profifußballer Dennis Aogo hat Palmer 2021 das N-Wort verwendet. 2017 veröffentlichte der Oberbürgermeister ein Buch über die Flüchtenden, die nach Deutschland kamen. Es heißt: "Wir können nicht allen helfen."
Im Gespräch mit watson erklärte Palmer im Februar dieses Jahres, dass er nicht verstünde, dass seine Partei ihn loswerden möchte. Palmer selbst betont stets, kein Rassist zu sein. Er sieht sich als das Opfer politischer Überkorrektheit.
Seine Partei sieht das anders.
Im watson-Interview sagte Palmer damals:
Palmer tritt nun also als unabhängiger Kandidat an, die Grünen haben ihm ihre Unterstützung entzogen. Stattdessen kandidiert eine seiner ehemaligen Parteifreundinnen für die Öko-Partei an. Auch aus der Bevölkerung gibt es Gegenwind.
Es hat sich sogar eine Initiative gegründet, um eine weitere Amtszeit des Reiz-OBs zu verhindern. "Für Tübingen. Für Alle" heißt dieser Zusammenschluss. Warum die Initiative keine dritte Palmer-Amtszeit will? Auf der Homepage schreibt sie, dass sie sich ein tolerantes, antirassistisches und modernes Tübingen wünscht.
Und weiter heißt es dort:
Palmer, so schreiben die Initiator:innen, hat sich von diesen Maximen entfernt. Deshalb sammeln sie Unterschriften gegen den amtierenden Stadtvater. Eine andere Bürger:innen-Bewegung hingegen setzt sich für das Gegenteil ein. Die "Wahlinitiative" und die "Alternative und grüne Liste" werben für den Provokateur.
Palmer selbst stellt bereits vor der Wahl klar: Sollte er im ersten Wahlgang keine Mehrheit haben, ist er raus.
"Wenn ich diese Wahl nicht für mich entscheiden kann, ist die politische Figur Boris Palmer am Ende", sagt der 50-Jährige der "Pforzheimer Zeitung". Dann sei er Privatmensch und werde sich auch in der Partei mit Wortmeldungen zurückhalten. Er wolle aber Parteimitglied der Grünen bleiben. Wenn er eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich habe, würde er gerne weitermachen, sagt Palmer weiter.
Sei das aber nicht der Fall, wolle er schon nach dem ersten Wahlgang aufhören.
Palmer führt aus:
Mit watson spricht Palmer im Vorfeld der Wahl nicht. Er hat sich, wie er auf Facebook mitteilt, kurz vor der Wahl mit dem Coronavirus infiziert. Für ihn sei der aktive Wahlkampf damit vorbei, meint er. Statt auf der Straße führt der amtierende OB deshalb seinen Wahlkampf auf der Social-Media-Plattform fort. Stellt aber auch klar: Er hätte sich gerne noch am Wahlkampfstand zu der Initiative "Für Tübingen. Für alle" geäußert.
Seine grüne Konkurrentin Ulrike Baumgärtner unterdessen spricht gegenüber watson von langen Wahlkampftagen. Aktuell gelte ihre ganze Aufmerksamkeit den letzten Aktionen, mit denen sie Menschen aktivieren möchte. Sie verteilt Brezeln und spricht abends auf Podien und in inhaltlichen Gesprächsrunden.
Warum sie sich um den Posten bewirbt, erklärt Baumgärtner folgendermaßen:
Was sie nach der Wahl machen werde, will sie nach dem Ergebnis entscheiden. Mit Blick auf die Bürger:innen ihrer Stadt sagt Baumgärtner: "Die Menschen in Tübingen überlegen sehr genau, wen sie zum nächsten Stadtoberhaupt wählen." Die Gesprächsrunden und Podien seien sehr gut besucht. Insgesamt, so hat Baumgärtner den Eindruck, ist die Stadt sehr politisiert. "Das finde ich grandios", sagt sie. Es zeige ihr, wie spannend Kommunalpolitik ist.
Aktuell sei alles möglich. Baumgärtner gehe nun mit Rückenwind ihrer Unterstützenden in den Schlussspurt, und möchte in den letzten Tagen vor der Wahl um jede Stimme kämpfen. Um die, wie sie sagt, von vielen Bewohner:innen Tübingens herbeigesehnte politische Erneuerung herbeizuführen.