Bremen liegt in Länder-Rankings oft an letzter Stelle: bei den Ergebnissen der PISA-Tests für Schülerinnen und Schüler, bei der Pro-Kopf-Verschuldung, beim Armutsrisiko. Bei der Quote der Covid-19-Impfungen aber steht das kleinste der 16 deutschen Bundesländer – laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts vom Ende der Woche – so gut da wie kein anderes. Über 69 Prozent der Einwohner in Bremen haben mindestens eine Dosis erhalten. Fast 55 Prozent sind vollständig geimpft – also mit einer Dosis des Stoffs von Johnson & Johnson oder mit einer doppelten Dosis von Astrazeneca, Biontech-Pfizer oder Moderna.
Besonders bemerkenswert sind die Bremer Zahlen im Vergleich zu denen in Sachsen: In dem ostdeutschen Bundesland haben nur 51,3 Prozent der Menschen mindestens eine Dosis erhalten. Das heißt: In Bremen ist der Anteil der vollständig Geimpften an der Gesamtbevölkerung größer als in Sachsen der Anteil derer, die überhaupt schon eine Spritze bekommen haben.
Wie kann das sein?
Watson ist der Frage nachgegangen – und hat mehrere Antworten darauf gefunden. Und wir haben Gesundheitspolitiker gefragt, was sich tun lässt, um die Impfquote zu steigern – gerade jetzt, da sich wieder deutlich mehr Menschen infizieren und sich die hochansteckende Delta-Variante des Coronavirus verbreitet.
Um die regionalen Unterschiede bei den Impfquoten zu verstehen, ist eine Erklärung wichtig: In Deutschland ist die Corona-Impfkampagne zu einem großen Teil Ländersache.
Der Bund ist im Wesentlichen für zwei Teile der Impfkampagne zuständig:
Um den Rest aber – also den Betrieb der Impfzentren und darum, wo und wann der Impfstoff vor Ort in Impfzentren und Arztpraxen kommt – kümmern sich die 16 Bundesländer.
Nicht alle deutschen Bundesländer bekommen gleich viel Impfstoff pro 100 Einwohner. Das ist grundsätzlich kein Missstand, sondern politisch so gewollt. Im Winter etwa bekamen die bayerischen und sächsischen Regionen an der Grenze zu Tschechien mehr Impfstoff als andere – weil die Fallzahlen dort erheblich höher waren als andernorts.
Andererseits beschwert sich Bayern seit Beginn der Impfkampagne im vergangenen Dezember immer wieder darüber, dass das Land zu wenig Impfstoff bekomme. "Wir brauchen mehr Impfstoff, auch in der Verteilung der Bundesländer", sagte Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder Ende Juni.
Die Staatsregierung in München sieht darin offenbar einen wichtigen Grund dafür, dass in Bayern die Quote sowohl der Erstgeimpften (58,4 Prozent) als auch der vollständig Geimpften (46,1 Prozent) unter dem Bundesdurchschnitt liegt (60,6 bzw. 48,5 Prozent). Eine Sprecherin des Landesgesundheitsministeriums erklärt dem Bayerischen Rundfunk mit Blick auf die Länder-Rangliste bei den Impfquoten: "Deutlich mehr als Platz sieben ist aufgrund der bisherigen Liefermenge kaum möglich."
Diese ungleiche Verteilung ist einer der möglichen Gründe dafür, weshalb die Impfquoten sich unterscheiden. Das kleine Saarland hat laut dem Impf-Dashboard des Bundesgesundheitsministeriums inzwischen 123,5 Impfdosen pro 100 Einwohner erhalten – und liegt bei der Quote der mindestens einmal Geimpften mit 65,9 Prozent knapp hinter Spitzenreiter Bremen. Nach Brandenburg sind dagegen nur 110,9 Dosen pro 100 Einwohner gegangen – und die Impfquote ist mit 55 Prozent um gut zehn Prozentpunkte niedriger als im Saarland. Andererseits: Bremen, das Land mit der höchsten Impfquote, hat nur 115,8 Dosen pro 100 Einwohner erhalten – nur 2,5 mehr als Sachsen, wo die Quote am niedrigsten ist.
Es gibt also weitere Gründe für die Unterschiede.
Die Organisation der Impfungen vor Ort ist, wie gesagt, Sache der 16 Bundesländer. Es gab, je nach Land, unterschiedliche Impfportale, Unterschiede, ab wann welche Gruppen Impftermine buchen konnten – und eine unterschiedlich gute Organisation. All das wirkt sich auf die Impfquote aus.
Aufschluss darüber, wie gut die Organisation im jeweiligen Bundesland funktioniert, gibt unter anderem die sogenannte "Verimpfungsquote". Das ist der Anteil an den gelieferten Impfdosen, die tatsächlich auch in die Arme der örtlichen Bevölkerung gespritzt worden sind.
Am höchsten ist dieser Anteil laut den Daten von Bundesgesundheitsministerium und Robert-Koch-Institut (RKI) in Bremen, wo auch die Impfquoten am höchsten sind. Sage und schreibe 101 Prozent der gelieferten Dosen wurden hier verimpft: Es wurden also mehr Impfungen durchgeführt, als an Dosen eigentlich zur Verfügung stünde. Das lässt sich durch Ungenauigkeiten in der Statistik erklären: unter anderem dadurch, dass manche Lieferungen nach Bremen noch nicht gemeldet worden sind, die verimpften Dosen aber schon. Es ist aber in jedem Fall eine enorm hohe Quote.
In Sachsen, wo die Impfquote am niedrigsten ist, ist auch die Verimpfungsquote besonders gering. Nur 80 Prozent der gelieferten Dosen wurden hier tatsächlich verabreicht.
Zuständig für die Impfungen ist im rot-rot-grün regierten Bremen Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard. Gegenüber watson erklärt eine Sprecherin Bernhards zu den guten Zahlen im Land, man sei "von Anfang an auf alle impfberechtigten Personen zugegangen". Sie nennt konkrete Maßnahmen, die zu Bremens Impferfolg beigetragen hätten:
Das Versprechen der Bremer Landesregierung fasst die Sprecherin der Gesundheitssenatorin so zusammen:
Deutschlandweit finden dieser Tage Impfaktionen statt, um die Verimpfungsquoten zu steigern. Zahlreiche Arbeitgeber bieten seit Wochen über ihre Betriebsärzte Impfungen an. In Berlin konnten sich Bürger ohne Termin vor mehreren Filialen des Möbelkonzerns Ikea impfen lassen. Die Berliner Verkehrsbetriebe BVG bieten ebenfalls Impfungen an. In Bremen, heißt es von der Gesundheitssenatorin, sei man "mit Impfmobilen in den verschiedenen Stadtteilen unterwegs." Das wichtigste Ziel dieser Aktionen: Menschen erreichen, die für Termine in Praxen oder Impfzentren bisher keine Zeit gefunden haben – oder diejenigen, bei denen es eine Sprachbarriere gibt, weil sie noch nicht besonders gut Deutsch sprechen.
Die Verimpfungsquote erhöhen können Regierende und Verwaltung in den Bundesländern aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Mindestens genauso wichtig ist ein anderer Faktor: Wer bereit ist, sich impfen zu lassen.
Die Daten zu den Vorteilen der Impfung sind bemerkenswert bis atemberaubend gut: Je nach Impfstoff liegt die Wirksamkeit gegen schwere Covid-19-Erkrankungen bei 77 bis 100 Prozent. Trotzdem gibt es einen Teil der Bevölkerung, der sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen will.
Laut den ersten Studien zur Impfbereitschaft gibt es erhebliche regionale Unterschiede bei der Impfbereitschaft. Eine Ende April veröffentlichte Erhebung des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (infas) aus Bonn ergibt, dass in Bremen nur knapp drei Prozent der Bevölkerung es ablehnen, gegen Covid-19 geimpft zu werden – während es im benachbarten Niedersachsen fast 20 Prozent sind. In Sachsen-Anhalt (18,2 Prozent), Hessen (16,8) ist die Zahl ebenfalls besonders hoch. In Sachsen sind demnach immerhin noch 12,7 Prozent nach eigenen Angaben Impfverweigerer.
Dazu kommt laut infas ein erheblicher Anteil von Menschen, die Ende April noch nicht sicher waren, ob sie sich impfen lassen sollten: In Sachsen waren das etwa 13,6 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Baden-Württemberg rund ein Viertel der Befragten.
Laut dem für die Impfungen zuständigen Sozialministerium in Sachsen – dem Land mit der bundesweit niedrigsten Impfquote – gibt es für die Skepsis oder Ablehnung der Menschen mehrere Gründe. Das von Petra Köpping (SPD) geführte Ministerium hebt gegenüber watson drei Faktoren hervor:
Innerhalb Sachsens gibt es laut dem Ministerium ebenfalls regionale Unterschiede. In den Großstädten Dresden und Leipzig seien die Impfzentren "am besten ausgelastet", während die Bereitschaft in ländlichen Gebieten "deutlich geringer" sei.
Eine Impfpflicht haben fast alle maßgeblichen Politiker in Deutschland ausgeschlossen – das heißt: Die Impfquoten werden nur steigen können, wenn bei den noch Ungeimpften die Bereitschaft steigt.
Nicht alle bisher gegen Covid-19 Ungeimpften sind Impfgegner. Die Bundestagsabgeordneten und Gesundheitspolitiker Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) und Achim Kessler (Linke) plädieren deshalb gegenüber watson dafür, weiteren Menschen eine Corona-Impfung zu erleichtern.
Aschenberg-Dugnus meint wörtlich:
Kessler bezieht sich vor allem auf Menschen in wirtschaftlich schwächeren Regionen – und kritisiert die Bundesregierung. Er erklärt:
In Sachsen verweist das Sozialministerium gegenüber watson auf Werbekampagnen der Landesregierung – und auf mehrere "möglichst flexible und niedrigschwellige Impfangebote". Es gebe 30 "mobile Teams" im Land, Impfaktionen im Stadion des Fußball-Zweitligisten Erzgebirge Aue und des Regionalligisten Chemnitzer FC. Aus dem Ministerium heißt es: "Wir gehen in Hochschulen, Obdachlosen-Einrichtungen und Quartiere/Stadtviertel. Auch beim Christopher Street Day in Leipzig war ein Impfbus vor Ort."
Und in Dresden kann sich am Samstag, zum Saisonauftakt des Fußball-Zweitligisten Dynamo, jede und jeder sich impfen lassen, ohne Voranmeldung. Wenn sie oder er das will.