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Warnung zu Gewalttat in Brandenburg durch Querdenker-Vater

Viele Anwohner der Familie im brandenburgischen Dorf Senzig, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen, drücken ihr Mitgefühl durch Kerzen und Stofftiere aus.
Viele Anwohner der Familie im brandenburgischen Dorf Senzig, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen, drücken ihr Mitgefühl durch Kerzen und Stofftiere aus.Bild: dpa / Fabian Sommer
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Experten warnen nach Tod von fünfköpfiger Familie durch mutmaßlichen Täter aus Querdenker-Milieu: "Zunehmende Radikalisierung in der Szene"

09.12.2021, 16:0709.12.2021, 16:08
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Der schreckliche Mordfall an einer fünfköpfigen Familie im brandenburgischen Stadtteil Königs Wusterhausen vom Wochenende sorgt weiterhin für Entsetzen. Laut aktuellen Erkenntnissen tötete der Vater seine Frau und drei Töchter und anschließend sich selbst. Vor allem der laut Abschiedsbrief angegebene Grund für diese Tat klingt fast schon zu absurd, um wahr zu sein: ein gefälschtes Impfzertifikat.

Die Mutter soll diesen, vom Vater gefälschten, Impfausweis auf ihrer Arbeitsstelle vorgezeigt haben. Die Arbeitgeberin der Frau habe von der Fälschung erfahren und um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Deshalb habe das Ehepaar Angst vor einer Festnahme und dem Verlust der Kinder gehabt, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus am Dienstag und berief sich auf den Abschiedsbrief.

Erste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass der Vater im Dunstfeld von Corona-Gegnern und Querdenkern agierte. Wie das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" am Mittwoch berichtete, war der Mann mindestens seit diesem Sommer in einschlägigen Telegram-Gruppen aktiv.

Am Samstagmittag hatten Zeugen in einem Einfamilienhaus in Königs Wusterhausen leblose Menschen gesehen und die Polizei alarmiert.

Droht unserer Gesellschaft nun eine neue Eskalation der Gewalt, verursacht durch Corona? "Am heutigen Mittwoch wurde bekannt, dass das LKA Sachsen wegen einem Mordaufruf einer Telegram-Chatgruppe an dem sächsischen Innenminister Michael Kretschmann ermittelt. Äußerungen einzelner Mitglieder zum angeblichen Besitz von scharfen Waffen und Armbrüsten fließen in die Bewertung ein", teilte das LKA mit.

Watson hat mit Experten für Gewalt, Sekten und Verschwörungserzählungen über die Tat selbst gesprochen und darüber, wie es zu einer so starken Radikalisierung kommen konnte.

Niklas Vögeding ist Berater und Projektentwickler des Vereins "Veritas", einer Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen in Berlin. Er beschäftigt sich täglich mit den Beweggründen von Menschen, die Verschwörungserzählungen anhängen. Vögeding zeigt sich persönlich tief betroffen von dem Vorfall in Königs Wusterhausen: "Bei so einer Tat muss ein hohes Maß an Verzweiflung vorherrschen", sagt er gegenüber watson.

Er will aus der Ferne keine Diagnose über den konkreten Fall anstellen, doch "wirklich überraschend kommt es nicht, dass so etwas passiert. Man erkennt eine zunehmende Radikalisierung in der Szene."

"Menschen in ideologischen Milieus wähnen sich in einer Diktatur, in einem Krieg und aus so einer Position heraus ist jedes Mittel recht, um sich zu wehren."
Niklas Vögeding, Berater bei Veritasgegenüber watson
Niklas Vögeding hilft Menschen, deren Angehörige Verschwörungserzählungen anhängen.
Niklas Vögeding hilft Menschen, deren Angehörige Verschwörungserzählungen anhängen.privat

Diese Radikalisierung habe verschiedenen Abstufungen: Sie müsse nicht zwangsläufig in Gewalt umschlagen, sondern könne sich stattdessen beispielsweise auch in Ausreiseplänen, Demonstrationen, Wahlergebnissen oder Hassbotschaften äußern.

Vögeding führt aus:

"Nicht jeder, der solche Einstellungen hat, schreitet zur Tat, in welcher Form auch immer. Man kann aber nie ausschließen, dass es passiert. Je drastischer demokratiefeindlich die Einstellungen, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich das im Verhalten äußert."

Typisch dabei ist auch, die Verantwortung für eine Tat von sich selbst wegzuschieben: "Menschen in ideologischen Milieus wähnen sich einer Diktatur, in einem Krieg und aus so einer Position heraus ist jedes Mittel recht, um sich zu wehren", so Vögeding. Dieses selbst gewählte Narrativ von Verschwörungsgläubigen sei ein wichtiger Punkt, denn "wenn man sich wehrt, dann ist man nicht Täter", so Vögeding.

Impfpflicht könnte Radikalisierung verstärken

Vögeding erwartet eine weitere Radikalisierung des harten Kerns an Verschwörungsideologen, da "der erhöhte gesellschaftliche Druck bezüglich Impfung zu so etwas beiträgt", so Vögeding im Gespräch mit watson. "Was explizit aber nicht heißt, dass es nicht trotzdem notwendig wäre, irgendwie den Druck zu erhöhen." Schließlich sei eine Impfpflicht für gewisse Menschen im Dunst der Verschwörungserzählenden eine Möglichkeit, gesichtswahrend aus der Nummer rauszukommen. Deshalb empfindet Vögeding die Impfpflicht als "zweischneidiges Schwert".

Ein selbst gemaltes Poster hängt am Gartenzaun vor dem Haus.
Ein selbst gemaltes Poster hängt am Gartenzaun vor dem Haus.Bild: dpa / Fabian Sommer

Matthias Pöhlmann ist Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Der Experte für Sekten und rechtsextreme Gewalt nennt die Gruppe der Querdenker und Verschwörungsideologen "radikalisierte Besserwisser".

Gegenüber watson äußert er vor allem seine Sorge darüber, wie radikalisierten Menschen wie der Vater in Königs Wusterhausen überhaupt an Waffen kommen. Er erinnert dabei auch an den Fall Idar-Oberstein, bei dem ein Maskengegner einen 20-jährigen Tankstellenangestellten mit einem Kopfschuss tötete.

Autor und Theologe Matthias Pöhlmann
Matthias Pöhlmann forscht seit Jahren zu Sekten und esoterischen Bewegungen.Bild: Herder / Pöhlmann

Pöhlmann spricht auch den Mordplan von bewaffneten Querdenkern am sächsischen Innenminister Michael Kretschmer an:

"Ich beobachte mit großer Sorge, dass die Hemmschwelle sinkt. Dass die Gewaltbereitschaft so stark wird, hängt offensichtlich auch mit solchen Verschwörungserzählungen zusammen, die gepaart sind mit einem ganz bestimmten Feindbild. Wenn der Feind so übermächtig und als Bedrohung erlebt wird, gehen manche davon aus, dass Gewalt und auch Waffen ein legitimes Mittel sind, um sich dagegen zur Wehr zu setzen."

Pöhlmann ist selbst Mitglied in einigen Telegram-Gruppen und beobachtete die ersten Reaktionen auf die Tat in Königs Wusterhausen.

Pöhlmann berichtet:

"Dort hieß es, der Staat sei sozusagen Schuld, dass er diesen Mann zu dieser Verzweiflungstat angetrieben hätte. Damit wird natürlich auch wieder neue Hetze betrieben und neuer Hass geschürt – gegen den Staat, die Demokratie und auch seine Repräsentanten."

Dennoch glaubt er daran, "dass unsere Demokratie stabil genug ist", um solche einzelne Gruppierungen auszuhalten.

Gewalttaten als logische Konsequenz von verschwörungsideologischem Denken

Der Buchautor Tobias Ginsburg kennt diese Gruppen wie kein anderer: Monatelang recherchierte er im rechtsextremen Milieu für sein Buch "Die Reise ins Reich" – eine Undercoverreportage über Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und Corona-Leugner.

Seine ernüchterte Einschätzung des fünffachen Mordes in Königs Wusterhausen:

"Es ist eine logische Konsequenz, von einer Art zu denken. Es ist die logische und brutale und widerwärtige Konsequenz von verschwörungsideologischen Ideen und Indoktrination: Aber neu daran ist nichts."

Auch toxische Männlichkeit spielt bei solchen Gewalttaten oft eine Rolle, die ersten Opfer sind dabei oft Frauen: "Viele Verschwörungsgläubige inszenieren sich ja als Märtyrer: Menschen in einer ohnmächtigen Situation, die nun versuchen, Held und Opfer zugleich sein um aus einer gefühlten Ohnmacht zu entkommen. Sie wollen Kämpfer sein, harte Kerle im Widerstand gegen einen imaginären Feind. In der katastrophal trostlosen Praxis bedeutet das dann aber sowas: Erst bringe ich meine Frau um, dann meine Kinder."

"Man wacht auf in einem Kriegszustand, man geht ins Bett in einem Kriegszustand und man will sich wehren."
Tobias Ginsburgzu watson

Die Denkweise von Querdenkern sei: Die Pandemie soll uns versklaven, die da oben wollen uns fertig machen", erklärt Ginsburg gegenüber watson. Wenn man das alles wirklich glaube, sei man in einer Situation der absoluten Verzweiflung. "Man wacht auf in einem Kriegszustand, man geht ins Bett in einem Kriegszustand und man will sich wehren." Deshalb seien solche furchtbaren Taten bei einigen Menschen die logische Folge. Denn diese "Narrative, die in letzter Konsequenz immer tödlich enden, reißen unglaublich viele Menschen mit – sei es aus Verzweiflung, Boshaftigkeit, Dummheit oder aus pathologischen Veranlagungen." Es gibt nicht den "einen" Querdenker, sondern viele unterschiedliche Mitglieder.

Deshalb bringe einen bei dem Problem die Suche nach dem Motiv des Täters, das Ginsburg strukturell nennt, nicht weiter:

"Natürlich wird jetzt etwas von Familientragödie zu lesen sein oder von geistiger Erkrankung. Und das ist einfach falsch. Ob Rechtsextremer, Verschwörungsideologe oder Geisteskranker: Das ist immer der klägliche Versuch, Grenzen zu ziehen. Hier sind wir, da sind die; hier sind die Gesunden, da sind die Kranken. Hier sind die Anständigen, da sind die Unanständigen. Diese Grenzen existieren nicht."

Denn die sogenannten Querdenker seien keine "komischen Leute vom Rand der Gesellschaft, die mit uns nichts zu tun haben". Es könne den Hochschul-Dozenten genauso treffen wie die Kindergärtnerin oder die Oberärztin. Denn alle sind von Corona betroffen: "Wir sind alle im gleichen Boot und wir machen uns Sorgen. Wir alle haben doch Angst und fühlen uns irgendwie ohnmächtig", erklärt Ginsburg.

Dadurch werden wir zu leichten Opfern von Verschwörungsideologien: "In Krisen und nach Katastrophen blüht der Glaube an große Verschwörungen. Das gibt dir einfache Antworten auf schwere Fragen und ein bisschen Selbstermächtigung. Um es zynisch zu sagen: Ein Virus ist kein guter Bösewicht, aber aus einer Regierung, Bill Gates und den Juden lassen sich fantastische Superschurken machen", sagt Ginsburg.

Mehr Aufklärung über die Methoden von Verschwörungsideologen

Statt sich über Querdenker lustig zu machen, plädiert Ginsburg dafür, die Gefahr ernst zu nehmen: "Wir leben in einem Land, wo Verschwörungsideologie mal Staatsraison war, wo der Glaube an die jüdische Weltverschwörung zu einem Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes führte. Und im gleichen Land gucken wir jetzt auf Verschwörungsideologen und sagen: 'Hihi, die sind aber drollig'. Wie kann das sein?" In erster Linie brauche es von Anfang an Aufklärung über die Methoden und Glaubensinhalte der Verschwörungsideologien, damit die Menschen verstehen, wie diese funktionieren und warum sie so attraktiv sind.

Der Berater Niklas Vögeding rät Menschen mit einem verschwörungsgläubigen Angehörigen, der radikale Absichten äußert, sich professionelle Hilfe zu suchen: Entweder bei Vereinen wie seinem, beim sozialpsychiatrischen Dienst oder – als letzte Möglichkeit – die Sicherheitsbehörden zu verständigen. "Das kann natürlich auch zu einem Abbruch oder zu einer enormen Erschütterung der Beziehung führen, was zu einer weiteren Isolation führen kann", warnt Vögeding. Doch letztendlich könne man "normalen Bürgern nicht zumuten, eine professionelle Gefährdungslage einzuschätzen." Nicht jede Ankündigung wird zur Tat und nicht jede Tat wird vorher angekündigt.

(mit Material der dpa)

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