Es war ein chaotisches TV-Duell, mit Unterbrechungen und persönlichen Tiefschlägen.
Die ersten anderthalb Stunden zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden haben gezeigt, wie sehr die beiden Kandidaten einander verabscheuen. Sie haben gezeigt, dass Biden sich mit Schulhof-Sprache verteidigen kann, wenn Trump ihn attackiert. Und dieses Duell in der Case Western Reserve University and Cleveland Clinic in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio lässt nichts Gutes erahnen für den Wahltag am 3. November – und die Wochen danach.
Eine Analyse in drei Punkten.
Joe Bidens Taktik während der Debatte war vorhersehbar. Der demokratische Präsidentschaftskandidat attackierte Trump für die Bilanz seiner knapp vier Jahre im Amt. Biden sprach über Trumps Steuersenkungen, von denen nur Milliardäre wirklich profitiert hätten. Er sprach über Trumps Umgang mit Rassismus und Polizeigewalt. Und Biden attackierte Trump für dessen Umgang mit der Corona-Pandemie.
Als Trump Biden antwortet, warum er, Biden, denn nicht Steuern gesenkt und mehr investiert habe, antwortete Biden: "Weil Sie der Präsident waren." Biden weiter:
Trump schaute während der Debatte vor allem in Richtung seines Kontrahenten und in Richtung des Moderators. Trump spielte, auch das erwartbar, vor allem die Law-and-Order-Karte. Er warf demokratischen Gouverneuren und Bürgermeistern vor, Unruhen wie in Portland nicht begegnen zu wollen. Er warf Biden vor, er wolle der Polizei ihre Finanzierung entziehen (was Biden verneinte).
Trumps Absicht: Zu warnen vor den angeblich verheerenden Ideen, die Biden für die USA hat. Als es um Schließungen von Geschäften wegen Corona geht, sagt Trump über Biden:
Trump hat auch eine Botschaft an die afroamerikanischen Wähler. Er spricht davon, dass Biden in den 1990er Jahren in der Debatte um Gewalt in US-Städten gesagt habe, Afroamerikaner seien "Super-Plünderer". Trump wörtlich:
Laut dem Nachrichtensender NBC News stimmt das nicht. Die damalige First Lady Hillary Clinton habe das Wort "Superplünderer" benutzt, um den Gesetzentwurf zu verteidigen.
Biden hingegen blickte bei seinen Aussagen immer wieder direkt in die Kamera. Er wollte damit offensichtlich zeigen, dass er direkt mit den Wählerinnen und Wählern spricht. Ein Beispiel: Als es um Corona geht, sagt Biden:
Der Moderator, Fox-Journalist Chris Wallace, hatte sichtlich Mühe, das TV-Duell unter Kontrolle zu halten. Vor allem Trump unterbrach Biden regelmäßig. Er versuchte seinen demokratischen Konkurrenten offensichtlich, aus dem Konzept zu bringen. Das führte dazu, dass das Duell teilweise fast nicht verständlich war.
Das Team der Late-Night-Show "The Daily Show" hat sogar errechnet, dass Trump durch seine Unterbrechungen über 30 Minuten länger geredet hat als Trump.
Biden zeigte dabei, dass er Trumps Attacken auf einem ähnlichen sprachlichen Niveau zurückweisen kann. Er sagte Trump: "Wollen Sie mal die Klappe halten", er nannte den Präsidenten einen "Clown".
Besonders hässlich waren die persönlichen Attacken Trumps auf Biden. Als Biden über seinen verstorbenen Sohn Beau sprach, warf Trump ihm vor, sein anderer Sohn Hunter habe Geld von der Witwe des Moskauer Bürgermeisters bekommen.
Biden sagte daraufhin: "Wir wollen nicht über Familien sprechen, es geht hier nicht um meine oder seine Familie. Es geht um Sie, das amerikanische Volk."
Der Gesamteindruck bleibt: Das Duell war teilweise schwer zu ertragen.
Zu Ende der Debatte ging es um die Wahl selbst - vor allem um die Frage, wie sicher die Abstimmung im Jahr der Corona-Pandemie ist. So viele Amerikaner wie nie werden voraussichtlich per Briefwahl abstimmen. Trump versucht seit Wochen, die Briefwahl zu delegitimieren.
Auch beim Duell sprach er über angeblichen Wahlbetrug, sprach von Wahlzetteln, die angeblich in Papiermüllcontainern gefunden und in Flüsse geworfen worden seien. Trump wörtlich:
Trumps Taktik dahinter: Jetzt schon Zweifel am Wahlergebnis säen.
Beobachter befürchten seit Wochen Unruhen nach der Wahl - besonders, wenn das Ergebnis knapp wird und wenn es sich durch später ausgezählte Briefwahlstimmen nach dem Wahltag noch ändern sollte.
Besonders erschreckend: Auf die Frage von Moderator Wallace, ob die Kandidaten ihren Unterstützern sagen möchten, sie sollen in den Tagen nach der Wahl ruhig bleiben, sagte Trump in Richtung der rechtsradikalen Miliz "Proud Boys":
Ein kaum verhüllter Aufruf zur Gewalt, anders kann man das kaum verstehen.
Biden wählte eine völlig andere Taktik: Er rief die Wähler, wieder mit direktem Blick in die Kamera, auf, wählen zu gehen. Trump könne die Wahl nicht delegitimieren, wenn so viele Menschen wie möglich abstimmten.
Und anders als Trump sagte Biden auf die Frage Wallaces, ob er mit seiner Siegeserklärung warten würde, bis das Ergebnis offiziell verkündet ist: "Ja." Und Biden sagte, anders als Trump, zweimal, er werde das Ergebnis akzeptieren - egal, wie die Wahl ausgeht, auch falls er verliert.
Die nächste TV-Debatte zwischen Trump und Biden findet am 15. Oktober statt, wieder ab 3 Uhr deutscher Zeit.