In Nigeria lebt der reichste Mann Afrikas. Zement und Zucker haben Aliko Dangote zum Multimilliardär gemacht. Mit rund 206 Millionen Einwohner:innen ist sein Land das bevölkerungsreichste Afrikas. Zudem ist es die größte Volkswirtschaft des Kontinents – dank der Erdölproduktion.
Das klingt vielversprechend, doch es verschont das Land nicht vor Armut. Im aktuellen Index der menschlichen Entwicklung (HDI) belegt Nigeria Platz 163 von insgesamt 191 Staaten. Vor allem die jungen Menschen haben bisher nicht von dem Rohstoffreichtum ihres Landes profitiert. Bei den Wahlen im Februar setzten sie auf den wirtschaftsliberalen Kandidaten Peter Obi. Doch ihre Hoffnung auf einen Wandel wurde mit dem Sieg des 70-jährigen Bola Tinubu offenbar zerstört.
Denn Obi gilt als Held der Jugend. Um seine Person bildete sich die Bewegung "Obidients". Marija Peran nennt im Gespräch mit watson die Gründe dafür. Sie arbeitet für die CDU-nahestehende Konrad-Adenauer-Stiftung im Auslandsbüro Nigeria.
Peran sagt:
Im Wahlkampf stand er Peran zufolge für Ehrlichkeit und gute Regierungsführung. Damit habe Obi einen Nerv getroffen. Denn laut der Expertin wünschen sich die junge Bevölkerung und geistige Elite des Landes eine echte Veränderung für Nigeria.
"Diese Wählergruppe hatte zum ersten Mal das Potenzial, mit wahlentscheidend zu sein", meint die Expertin. So formte sich die Bewegung der "Obidients", die in ganz Nigeria zu Massenkundgebungen aufriefen und damit Obi unterstützten. Bemerkenswert ist laut Peran: Obi schaffte es, sich als Reformkandidat zu etablieren und das bisher faktisch bestehende Zweiparteiensystem in Nigeria aufzubrechen. Sie sagt:
Der 70-jährige Wahlsieger Tinubu steht Peran zufolge hingegen für die Fortsetzung zwei typischer Merkmale nigerianischer Politik: einer Geld- und Elitenpolitik sowie der Gerontokratie. Sprich, der "Herrschaft der Alten" – der Generationswechsel ist nicht geglückt.
Dennoch sei in diesem Wahlkampf etwas aufgebrochen: Die Jugend hat sich nach langer Apathie zumindest teilweise wieder politisiert und sie ist sichtbar geworden. Laut Peran wünschen sich die jungen Menschen:
Wünsche, die unter Tinubu wohl nicht in Erfüllung gehen werden. "Trotz einiger Hoffnungsschimmer, die im Zuge dieser Wahlen geweckt wurden, wird sich die nigerianische Elitenpolitik nicht so schnell aufbrechen lassen", meint Peran. Doch Tinubu wisse, wie wichtig die junge Wählergruppe geworden ist. Er könne sich nicht mehr auf deren Rückhalt oder politisches Desinteresse verlassen. Die Expertin sagt:
Die neue Regierung stehe vor einer gewaltigen Reihe von Herausforderungen: Nigeria ist so instabil wie noch nie in seiner Geschichte zuvor.
Neben der prekären Sicherheitslage in fast allen Teilen des Landes befindet sich Nigeria in einer schweren Wirtschaftskrise und steuert laut Prognosen auf die dritte Rezession innerhalb von acht Jahren zu.
Wie Peran erklärt, bleibt Nigeria nicht von den Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verschont. "Es herrschen eine Ernährungs- und Erdölkrise und Rekordinflation von über 21 Prozent sowie dem damit zusammenhängenden Verfall der Landeswährung", sagt sie. Nigeria könne seine Bevölkerung nicht selbst ernähren und sei auf Nahrungsmittelimporte angewiesen.
Laut offiziellen Angaben sollen 2022 fast zwei Drittel der Bevölkerung in großer oder extremer Armut gelebt haben, sprich, von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Die Expertin sagt dazu:
Obwohl Nigeria einer der größten Erdölexporteure Afrikas ist, verfüge zufolge derzeit über keine einzige Raffinerie. Daher müsse Nigeria veredeltes Öl importieren, was es wiederum auf Kosten von dringend nötigen Investitionen subventioniert. Laut Peran hat Nigeria in den vergangenen Jahrzehnten versäumt, seine Gewinne aus Öl- und Gasexporten zu reinvestieren. Dazu erschweren eine "endemische Korruption, Elitenpolitik und Vetternwirtschaft" die Entwicklung des Landes.
Welche Perspektiven bleiben da noch für die jungen Menschen im Land?
Viele junge Nigerianer:innen versuchen sich eine vielversprechende Zukunft aufzubauen – trotz der schwierigen Lage im Land. "Einige gehören zur Innovations- oder kulturellen Elite und bauen sich eine prosperierende Existenz im Land, meist in urbanen Räumen auf", erklärt Peran. Nigeria ist international etwa für seine Filmindustrie "Nollywood", seine Musik, preisgekrönte und Rekorde brechende Afrobeats, und ungewöhnliche Mode bekannt.
Laut Peran ist die Finanzmetropole Lagos Innovationsführer in den Bereichen Banking und Finanzdienstleistungen. Diese Märkte eröffnen ihr zufolge allerdings nur für einen Bruchteil der Jugend nachhaltige Chancen. "Viele derjenigen, die es sich leisten können, verlassen das Land", sagt sie.
In der Folge leide auch Nigeria unter einem "Brain Drain" und viele gut ausgebildete Kräfte verlassen aufgrund von steigender Unzufriedenheit mit der schlechten wirtschaftlichen Situation ihre Heimat. "Im Land gibt es sogar einen eigenen nigerianischen Ausdruck dafür: 'japa'", sagt Peran. Der Großteil der jungen Bevölkerung jedoch bleibe ohne nennenswerte Perspektive und bisher unbeachtet von der Politik seiner Frustration ausgeliefert. Peran sagt:
Der scheidende Präsident Buhari habe in acht Jahren keine tragfähigen Antworten auf diese Herausforderungen gefunden. Peran zufolge kann man für Nigeria derzeit nur hoffen, dass Tinubu es besser macht.