Wenn ein prominenter Politiker eine Wahl verliert, dann muss sie oder er oft zurücktreten. Manchmal aber nicht.
Ob es so kommt oder nicht, das hängt in der deutschen Demokratie meistens davon ab, wie laut die Rufe nach Rücktritt werden. Und vor allem von wem sie kommen.
So gesehen kann sich Armin Laschet am Ende des Montags nach der Bundestagswahl sicher fühlen. Zumindest einigermaßen sicher. Noch.
Laschets Rücktritt vom CDU-Vorsitz hat bisher Ellen Demuth gefordert, CDU-Landtagsabgeordnete in Rheinland-Pfalz und im Januar Kandidatin für den Posten der Vize-Parteichefin neben Norbert Röttgen. Röttgen unterlag damals in der ersten Wahlrunde um den Vorsitz seinen Kontrahenten Laschet und Friedrich Merz. Bis heute sehen aber gerade die CDU-Mitglieder, die sich von der Union eine Modernisierung mit Blick auf Klimaschutz, Außenpolitik und Integration wünschen, Röttgen als Hoffnungsträger.
Norbert Röttgen selbst soll in der Sitzung des CDU-Präsidiums, der mächtigen Gruppe an der Spitze der Partei, am Montagabend "Aufarbeitung und Anerkennung der Niederlage" gefordert haben. So schreibt es unter anderem Michael Bröcker, Chefredakteur des Medienunternehmens "The Pioneer".
Abgesehen von der Schicksalsfrage des Kanzlerkandidaten: Die CDU ist am Montag kleinlaut geworden, Laschet auch.
Um halb sieben am Sonntagabend, als die Prognose zum schlechtesten Ergebnis der Geschichte von CDU und CSU frisch war, hatte Laschet noch gesagt, er werde "alles daran setzen, eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden." Er hatte fast schon geschwärmt von einer "Zukunftskoalition" mit Grünen und FDP. Am Tag danach sprechen führende CDU-Politiker davon, dass die Union keinen Anspruch darauf habe, die nächste Bundesregierung anzuführen.
Die Botschaft: Ja, Jamaika sollte es irgendwie schon werden. Aber zumindest Teile der Unionsspitze beginnen zu verstehen, dass sie in ein paar Wochen in der Opposition sein könnten.
Am Montagvormittag, nachdem das Unionsergebnis amtlich ist – 24,1 Prozent, 1,6 Punkte hinter der SPD – geht es in der erwähnten CDU-Präsidiumssitzung hoch her. Laut "Bild" platzt Karl-Josef Laumann, Landesminister für Gesundheit in der Regierung Armin Laschets in Nordrhein-Westfalen, der Kragen. Er soll gesagt haben: "Es reicht jetzt! Ich bin es endgültig leid! 1,5 Millionen Wähler sind direkt von CDU zur SPD gegangen." Zuvor hatte Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer in einem Interview mit dem MDR das Wahlergebnis ein "Erdbeben" genannt, das "eine ganz klare Wechselstimmung gegen die CDU gezeigt" habe.
In München, in der Vorstandssitzung der Schwesterpartei CSU, ist nach Teilnehmerangaben auch deutliche Kritik zu hören. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagt laut "Bayerischem Rundfunk", es habe bei der CDU "Schwächen bei Kurs, Kampagne und beim Kandidaten" gegeben. Bayerns Junge-Union-Chef Christian Doleschal meint demnach über Laschet, der habe "bis zum Wahltag jedes Fettnäpfchen mitgenommen, das es gegeben habe." Der CSU-Europapolitiker und Parteivize Manfred Weber wird mit einer Rede von einem "bitteren Ergebnis" für die Union zitiert. Weber soll gesagt haben, mit Markus Söder als Kanzlerkandidaten hätte die Union "viel, viel besser abgeschnitten".
CSU-Chef Markus Söder, so scheint es, will momentan aber nicht wirklich an Laschets Stuhl sägen. Aus gewöhnlich gut informierten CSU-Kreisen ist am Montag zu hören, Söder sei auch klug beraten, jetzt nicht offen zum Sturz Laschets aufzurufen. Streit in der Union würden die Wähler in Bayern nicht schätzen, das habe man nach dem Streit in der Flüchtlingsfrage zu spüren bekommen. Für Armin Laschet sind das trotzdem nur teilweise gute Nachrichten.
Denn die CSU, so hört man aus Bayern, ist nur bedingt scharf auf eine Jamaika-Koalition. Die Christsozialen schauen nämlich schon auf die Wahl, die für sie immer schon die wichtigste ist: die nächste Landtagswahl in Bayern. 2023 findet die planmäßig statt. Das Ziel: mit großem Abstand stärkste Partei werden – so ähnlich, wie das Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern mit ihren fast 40 Prozent für die SPD am Sonntag geschafft hat. Sollte die CSU daran scheitern, droht ihr das, wovor sich bayerische Konservative am meisten fürchten: Sie könnte eine ganz normale Partei werden – und nicht mehr die übermächtige Fürsprecherin für ganz Bayern in Berlin.
Für die CSU, so die Anti-Jamaika-Logik, dürfte es schwieriger sein, Wahlkampf zu machen, wenn man als schwacher Partner in einer Jamaika-Koalition regiert – als aus der Opposition gegen eine rot-grün-gelbe Ampelregierung.
Alles in allem: Für CDU-Chef Armin Laschet war es ein ernüchternder Montag. Nach all den unangenehmen Gesprächsrunden in Berlin und München, aus denen – wie so oft bei den Unionsparteien – jede Menge Zitate nach draußen an die Presse drangen, traten Laschet und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am Montag gegen 14 Uhr im Konrad-Adenauer-Haus vor die Presse.
Die beiden schlugen deutlich leisere Töne an als noch am Wahlabend. "Es gibt überhaupt keinen Grund, irgendetwas schönzureden", meinte Ziemiak. Und Laschet entgegnete auf die Frage einer Journalistin: "Ich beanspruche nicht Platz eins, wir sind Platz zwei." Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, Vizekanzler unter SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in einer erneuten großen Koalition zu sein, sagte Laschet: "Wir schließen überhaupt nichts aus unter Demokraten".
Damit es so weit überhaupt kommen könnte, müsste freilich einiges schieflaufen in den Verhandlungen der kommenden Wochen: FDP und Grüne wollen zunächst miteinander reden, dann sollen Gespräche mit SPD und Union folgen.
Und ob Armin Laschet in so einem Fall dann überhaupt noch einen wichtigen Posten besetzen kann, das wird sich noch zeigen, in den kommenden Tagen oder Wochen.
Mal sehen, wie lange er sich noch sicher fühlen kann an der Spitze der CDU.