"Das Weiße Haus war nie ein schöner Platz zum Arbeiten. Zu viele Egos, zu viele Konflikte, zu viel Zeitstress", so bewertet USA-Experte Thomas Jäger gegenüber watson die Situation in der Machtzentrale der Welt. Auch bei vorherigen Präsidenten herrschte dort kein Kuschelkurs, aber unter Donald Trump scheint es noch eine Ecke schlimmer geworden zu sein, als zuvor.
Die vielen gefeuerten oder freiwillig gegangenen Minister und Mitarbeiter, die teilweise im Nachhinein bitterböse mit dem Präsidenten und seinem direkten Umfeld abrechneten, zeugen von keinem besonders guten Betriebsklima.
Auch Ex-Sicherheitsberater John Bolton bekam das Chaos und Personalkarussell im Weißen Haus zu spüren. Sein kürzlich erschienenes Enthüllungsbuch "The Room Where It Happened" zeichnet ein katastrophales Bild der Verhältnisse um den US-Präsidenten. Und während seiner Amtszeit wurde es noch schlimmer. Laut Bolton hat das vor allem mit einer Personalie zu tun.
Dass es nicht leicht werden würde im engsten Zirkel von Donald Trump, wird in Boltons Buch sehr schnell klar. Gleich zu Beginn von Boltons Amtszeit als Sicherheitsberater des Präsidenten empfing der Stabschef John F. Kelly ihn mit den Worten: "Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich hier rauswill. Das ist ein schlechter Arbeitsplatz." Bis es so weit sein sollte, verging allerdings noch ein gutes Jahr, in dem Kelly anscheinend durch die Hölle ging.
In der Folgezeit zeichnet Bolton in seinem Buch ein Bild von Kelly als bemühtem, aber stets mit einer unmöglichen Aufgabe betrautem und überfordertem Mann, dem es einfach nicht gelingt, den Laden auf Linie zu bringen. Dachte Bolton zunächst noch, dass das Chaos im Weißen Haus an der Unfähigkeit der Mitarbeiter und Berater festzumachen sei, lernte er bald: Das Chaos hat System im Hause Trump.
Die Inkompetenz und "intellektuelle Unfähigkeit" des Präsidenten, komplexere Sachverhalte nachzuvollziehen oder überhaupt einfach einmal aufmerksam zuzuhören, wenn einer der Experten ihm etwas erklärte, sorgte laut Bolton für zahlreiche Fehlentscheidungen und sehr unangenehme Gespräche mit anderen Staatsoberhäuptern.
Außerdem brachte Trump seine Tochter Ivanka und dessen Mann Jared Kushner immer wieder mit zu wichtigen Treffen und Besprechungen, um auch deren Meinung zu hören. Die bestand laut Bolton oftmals aus Lobpreisungen von Trumps Leistungen und Ivankas Plänen, andere Mitarbeiter und Minister abzusägen.
Kein Wunder, dass Stabschef John F. Kelly versuchte, den Einfluss der beiden einzuschränken und Kushner schließlich den Zugang zu geheimen Akten verwehrte. Ohne echte Position im Kabinett, ist es schwer zu erklären, wie Kushner und Ivanka Trump derart viel Einfluss und Prominenz in der Öffentlichkeit zugesprochen wurde.
Doch auch Kelly musste sich irgendwann geschlagen geben. Als der Stabschef des Weißen Hauses Anfang 2019 nach zahlreichen Differenzen mit Trump seinen Hut nahm, war das ein Beweis der eigentlichen Macht von Ivanka Trump und Jared Kushner. Denn Kelly war eines der letzten Bollwerke gewesen, das Ivanka und Jared zuvor nicht hatten knacken können.
Kelly, ehemaliger General der respektierten und gefürchteten US-Marines – einer Eliteeinheit der US Navy, die für ihren harten Drill bekannt ist – hatte es nicht geschafft, Disziplin im Weißen Haus herzustellen. Ein Unterfangen, das zumindest unter Donald Trump offenbar unmöglich ist.
Laut neuesten Berichten hatte Kelly bei manchen Telefonaten mit anderen Regierungschefs Trumps Leitung stummgeschaltet, um den Präsidenten darauf hinzuweisen, doch bitte keine sensiblen Informationen an andere Staatschefs zu verraten. Bei Trumps empfindlichem Ego kein Wunder, dass es zu Konflikten mit Kelly kam.
Als Kellys Nachfolger bestimmt werden sollte, twitterte Trump eigenmächtig, dass Mick Mulvaney, der bisherige Office- und Budget-Manager, das Amt kommissarisch übernehmen sollte. Jared Kushner wiederum schmeichelte Mulvaney, begrüßte seine Ernennung und erklärte, dass der Titel "kommissarisch" nur eine "Farce" sei und er tatsächlich nun Stabschef sein würde. Bolton hatte den Eindruck, dass Kushner damit versuchte, Mulvaney von sich abhängig zu machen:
Und tatsächlich sollte Mulvaney von nun an Stabschef sein, ohne mit Trump vorher wirklich gesprochen zu haben, wie er das Amt ausfüllen wollte. Bolton sieht in dem Weggang Kellys einen Grund für das seiner Meinung nach "ansteckende Chaos" im Weißen Haus. Auch vorher war es kein einfacher Ort, um dort zu arbeiten. Aber mit dem Weggang Kellys veränderte sich Boltons Meinung nach die Situation gravierend:
Mulvaney ist laut Boltons Beschreibung ein eher schwacher Stabschef und kann den Strukturen von Ivanka, Jared Kushner und Donald Trump – der "Donald, Jared und Ivanka-Show", wie Außenminister Mike Pompeo es einmal genannt hat – wenig entgegensetzen. Im Kern sei Mulvaney ein Ja-Sager, schreibt Bolton. Einer, der sich nicht durchsetzen könne.
Keine gute Voraussetzung, um im Chaos des Oval Office Ordnung zu schaffen.
Und auch ein unheilvolles Omen für Trump: Mulvaneys Vorgänger Kelly hatte nach seinem Weggang in einem Interview gesagt, dass er Trump noch während seiner Zeit als Stabschef empfohlen hatte, sich keinen Ja-Sager als seinen Nachfolger auszusuchen: "Denn wenn Sie das tun, werden Sie ein Impeachment-Verfahren am Hals haben."
Trump hatte immer abgestritten, dass Kelly ihm so etwas gesagt haben soll, denn sonst hätte Trump ihn nach eigenem Bekunden persönlich rausgeschmissen. Bolton jedoch glaubt Kelly und stimmt dem ehemaligen Stabschef zu:
Denn tatsächlich: Heute wirkt das Weiße Haus eher noch chaotischer als zu Beginn von Trumps Amtszeit. Keiner scheint dem Präsidenten mehr Kontra zu geben und ihn von seinen wahnwitzigen Ideen abzuhalten: Donald Trump empfiehlt, sich Desinfektionsmittel gegen Corona zu spritzen und wegen steigender Covid-19-Fallzahlen will er weniger testen. Immer wenn man denkt, es kann nicht verrückter werden, setzt der US-Präsident noch einen drauf.