Im Iran sorgen mysteriöse Vergiftungsfälle von Schülerinnen und Studentinnen in den vergangenen Wochen für Angst und vereinzelt auch für neue Proteste. Kürzlich sind erneut Dutzende Mädchen und junge Frauen ins Krankenhaus gebracht worden, weil sie unter Vergiftungserscheinungen litten. Im jüngsten Fall sollen mindestens 26 Schulen in fünf verschiedenen Städten des Landes betroffen sein.
Insgesamt sind im Iran seit vergangenem November rund 1000 Studentinnen und Schülerinnen eingeliefert worden, wie BBC schreibt. Sie litten unter Symptomen wie Übelkeit, Schwindel, Atemschwierigkeiten oder Müdigkeit – typische Anzeichen, die bei einer Gasvergiftung auftreten. Auch die Hauptstadt Teheran ist betroffen. BBC Persian publizierte Videos, die zeigen, wie Krankenwagen an Schulen ankommen und Studentinnen behandeln.
Nach aktuellem Kenntnisstand verursachen die Vergiftungen offenbar aber keine bleibenden Schäden bei den betroffenen Schülerinnen. Dem stellvertretenden iranischen Gesundheitsminister Younes Panahi zufolge sind die Vergiftungen mild verlaufen und haben keine Komplikationen verursacht.
Die Häufigkeit vergleichbarer Vorfälle hat in der iranischen Bevölkerung einen dunklen Verdacht aufkommen lassen: Es könnte sich um vorsätzliche Angriffe religiöser Fanatiker handeln, die Mädchen daran hindern wollen, Schulen oder Universitäten zu besuchen.
Auch gibt es die These, dass die Gasangriffe auf Mädchenschulen eine Retourkutsche von islamistischen Gruppen für die großen Proteste im letzten Herbst sind, bei denen mehr Rechte und Freiheiten für Frauen gefordert wurden. Im vergangenen September gingen nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini, während sie sich in Polizeigewahrsam befand, insbesondere Frauen im Iran auf die Straße und forderten Gerechtigkeit und mehr Rechte. Amini war von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht richtig trug.
Ein weiteres Indiz, das für religiöse Fanatiker als Verursacher der Vergiftungen spricht, ist, dass die ersten dokumentierten Fälle in der Stadt Ghom auftraten und sich das Phänomen zu Beginn auf die Millionenstadt, die nicht weit südlich der Hauptstadt Teheran liegt, konzentrierte. Ghom gilt als eines der wichtigsten religiösen Zentren der Schiiten, denen im Iran die Mehrheit der Bevölkerung angehören. Verglichen mit anderen Teilen des Landes gibt es in Ghom, das auch ein Wallfahrtsort ist, überdurchschnittlich viele konservative islamische Strömungen.
Selbst die iranischen Behörden, die bei den Protesten im vergangenen Herbst mit beispielloser Brutalität gegen Demonstrierende vorgegangen waren, haben zumindest in Teilen eingeräumt, dass es sich um beabsichtigte Vergiftungen handeln könnte. So sagte der stellvertretende Gesundheitsminister Younes Panahi am Sonntag, dass es offensichtlich sei, "dass einige Leute um jeden Preis wollen, dass Mädchenschulen geschlossen werden". Später ruderte Panahi jedoch zurück und bezeichnete seine Aussage als missverständlich.
Auch der Abgeordnete Alireza Monadi, der in der Bildungskommission des iranischen Parlaments sitzt, sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA, dass die Vergiftungen wohl "vorsätzlich" passiert seien. Dass es Leute gebe, die Mädchen von Bildung abhalten wollen, bezeichnete er als "ernsthafte Gefahr" und eine "sehr schlechte Nachricht".
Die iranischen Strafverfolgungsbehörden haben erklärt, dass die Vorfälle untersucht werden. Der iranische Polizeichef Ahmad Reza Radan sagte gemäß NBC News gegenüber der iranischen Nachrichtenagentur ISNA: "Unsere Priorität ist es, den Ursprung der Vergiftungen der Schüler zu finden. Bis wir diesen gefunden haben, können wir nicht beurteilen, ob die Vergiftungen beabsichtigt oder unbeabsichtigt waren."
Für Kritiker der iranischen Regierung ist jedoch klar, dass diese selbst die Verantwortung für die Vorfälle trägt. Jasmin Ramsey, stellvertretende Direktorin des Zentrums für Menschenrechte im Iran, sagt gegenüber NBC News:
Auch die iranische Aktivistin und Journalistin Masih Alinejad macht direkt die iranische Regierung für die Vorfälle verantwortlich. Auf Twitter schreibt die in den USA lebende Frauenrechtlerin, dass es sich bei der Vergiftung der Schulmädchen um "Rache des terroristischen iranischen Regimes an mutigen Frauen" handle.