Junge Menschen zwischen 20 bis 35 trifft Corona hart. Die Jugendorganisationen mehrerer großer Parteien beklagen, dass ihre Stimme zu wenig gehört wird. Bild: www.imago-images.de / Rupert Oberhäuser
Analyse
"Junge Menschen werden kaum beachtet": Was Nachwuchspolitiker in der Corona-Krise fordern
In Deutschland werden die Corona-Beschränkungen weiter verschärft – und noch ist kein Ende der Pandemie in Sicht. Bei der Videokonferenz zwischen den Ministerpräsidenten der Bundesländer und Kanzlerin Angela Merkel haben sich die Regierungen darauf geeinigt, die Kontakte zwischen mehreren Haushalten weiter einzuschränken.
Jeder Haushalt darf künftig nur noch eine Person aus einem anderen Haushalt treffen. Zudem sollen sich Menschen in Gegenden mit hohen Infektionszahlen nur noch in einem Umkreis von 15 Kilometern bewegen – außer, wenn sie einen triftigen Grund haben. Der Präsenzunterricht in Schulen soll erst wieder Ende Januar beginnen.
Weitere Maßnahmen, die gerade junge Erwachsene stark treffen: Menschen, die aus ihrem Elternhaus ausgezogen sind, noch keine Familie gegründet haben und denen ihr Freundeskreis die wichtigste Heimat ist. Junge Mütter und Väter, die einen Alltag mit stark eingeschränkter Kita-Betreuung hinbekommen müssen. Auszubildende und Studierende, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten – und denen viele Freizeitmöglichkeiten genommen werden.
Diese Generation kommt in den Reden der prominentesten Politiker und in den Rettungsplänen der Regierenden aber eher selten vor. Was muss getan werden, um Menschen zwischen 20 und 35 besser zu helfen?
Watson hat mit den Vertretern der größten politischen Jugendorganisationen gesprochen – und sie gefragt, was Bund und Länder aus ihrer Sicht für junge Erwachsene tun sollten.
Junge Union: "Junge Generation wird zum dreifachen Pandemie-Verlierer"
Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union.Bild: www.imago-images.de / Stefan Boness/Ipon
Für Tilman Kuban, Bundesvorsitzender der Jungen Union, leiden junge Erwachsene gerade dreifach unter der Corona-Pandemie. Kuban erklärt gegenüber watson:
"Die junge Generation wird zum dreifachen Pandemie-Verlierer: Sie hat deutlich schlechtere Bedingungen bei der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt. Zweitens werden jetzt Rekordschulden gemacht, die die jüngere Generation über viele Jahrzehnte zusätzlich zurückzahlen muss. Und drittens können junge Menschen ihre Freiheiten nicht ausleben."
Kuban verweist darauf, welchen Verlust die Beschränkungen für junge Menschen mit sich bringen: "Auch wenn es angesichts der Lage banal klingt, kann man nur in der Jugend so reisen, Freunde treffen, neue Leute kennenlernen. Das sind alles Dinge, die enorm zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen – und jetzt fehlen." Für junge Menschen in Deutschland seien das "die schwersten Einschnitte der vergangenen Jahrzehnte."
Um die Folgen der Corona-Krise für junge Menschen abzumildern, fordert Kuban Änderungen in der Bildungspolitik – und bei der Unterstützung von Studierenden.
Kuban wörtlich: "Während manche Bundesländer Mitte Januar wieder öffnen wollen, bleiben Schulen und Kitas in anderen komplett geschlossen und in wieder anderen muss erst noch beraten werden. Hier würde ich mir mehr Einheitlichkeit und vor allem mehr Transparenz wünschen." Außerdem sei es ein "Armutszeugnis", dass wir in Deutschland "in Sachen Digitalisierung auch nach fast einem Jahr Pandemie kaum weitergekommen sind".
Studierende, von denen "ein Großteil" ihren Nebenjob verloren habe, würden bislang "zu wenig in den Blick genommen und nur halbherzig unterstützt". Kuban fordert mehr finanzielle Hilfe: "Auch die junge Generation hat Unterstützungszahlungen verdient und nicht nur bestenfalls zusätzliche Kredite."
Jusos fordern staatliche Garantie für Ausbildungsplätze
Die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, fordern eine Ausbildungsplatzgarantie für junge Menschen. Eine Juso-Sprecherin erklärte gegenüber watson, für diejenigen, die nach Beginn eines Ausbildungsjahres keinen Ausbildungsplatz haben, müsse eine "öffentlich organisierte Ausbildung" angeboten werden – solange, bis sich ein Betrieb finde, der die Ausbildung fortsetzt. Die Sprecherin wörtlich:
"Schon vor dem Beginn der Pandemie haben sich insbesondere einige große Unternehmen systematisch aus ihrer Verantwortung für die duale Ausbildung herausgezogen. Wir Jusos glauben, es ist der richtige Zeitpunkt, darüber zu diskutieren, wie wir solche Unternehmen über eine Umlagefinanzierung an den Kosten des Ausbildungsplatzmangels gerecht beteiligen können."
Junge Erwachsene bis 35 hätten in den vergangenen Monaten gezeigt, "dass sie solidarisch sind". Die Juso-Sprecherin ergänzte: "Selbstverständlich muss der Staat im Gegenzug auch auf ihre spezifischen Bedürfnisse Rücksicht nehmen und alles dafür tun, dass die Corona-Pandemie nicht zur Stolperfalle in den Biografien einer ganzen Generation wird."
Junge Liberale will "Zukunftsagenda" für junge Erwachsene
Jens Teutrine, Vorsitzender der Jungen Liberalen.
Jens Teutrine, Bundesvorsitzender der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale, beklagt das Zerrbild von jungen Erwachsenen, das aus seiner Sicht seit Beginn der Pandemie gezeichnet worden ist. Der 27-jährige Teutrine erklärt gegenüber watson:
"Obwohl sich laut aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts 20- bis 34-Jährige insgesamt vorbildlich verhalten, wurde meine Generation fälschlicherweise immer wieder als Pandemietreiber dargestellt."
Gleichzeitig erhielten die Lebensrealitäten junger Erwachsener wenig Aufmerksamkeit: Die digitale Lehre verlange vielen Studierenden viel ab.
Teutrine wörtlich: "Nicht selten sitzen diese mehrere Tage die Woche ohne Ablauf, Struktur oder den notwendigen Ausgleich etliche Stunden zu Hause allein am Schreibtisch. Sie haben beispielsweise ihren Nebenjob verloren. Die längst überfällige Bafög-Reform bleibt trotzdem weiter aus." Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation werde jungen Menschen der Berufseinstieg erschwert.
Teutrine wünscht sich auch mehr Verständnis für die Sehnsüchte junger Menschen:
"Man sollte es jungen Menschen auch nicht verübeln, dass sie es vermissen, zu reisen oder einfach mal wieder feiern zu gehen. Auch wenn dies erstmal weiterhin nicht möglich sein wird."
Für die kommenden Monate der Pandemie wünscht sich Teutrine "mehr Toleranz und Empathie für die Bedürfnisse, Schwierigkeiten und Wünsche meiner Generation". Und er macht Vorschläge für konkrete politische Vorhaben, um jungen Erwachsenen zu helfen:
"Eine Zukunftsagenda, welche zum Beispiel eine Bafög-Reform, die Digitalisierung der Schulen, die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre und einen Plan zur Bewältigung der historischen Neuverschuldung beinhaltet. Das wäre ein gutes Signal, um zu zeigen, dass die Zukunft und Interessen der jungen Generation während der Corona-Pandemie nicht vergessen werden."
Grüne Jugend: "Bildungspolitischer Totalausfall" der Bundesregierung
Anna Peters, Bundessprecherin der Grünen Jugend. bild: grüne jugend
Die Grüne Jugend (GJ) übt harte Kritik vor allem an der Bildungspolitik der Bundesregierung. GJ-Bundessprecherin Anna Peters erklärte gegenüber watson:
"Für Auszubildende wird es immer schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Studierende verhauen aufgrund schlechter Online-Lehre ihre Prüfungen oder müssen ihr Studium aus finanziellen Gründen sogar abbrechen. Gleichzeitig sind die Finanzhilfen ein Witz und nur schwer zugänglich. Das ist ein bildungspolitischer Totalausfall. Bildungsministerin Karliczek weigert sich zu handeln."
Die Corona-Einschränkungen seien zwar notwendig, müssten aber besser abgefedert werden. Peters fordert "eine sofortige Öffnung des Bafögs" und – ähnlich wie die Jusos – eine "Ausbildungsgarantie". Es dürfe "nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, ob jemand in diesem Land einen Abschluss bekommt."
Linksjugend: "Junge Menschen werden immer noch kaum beachtet"
Die Spitze der Linksjugend, der Jugendorganisation der Linkspartei, fällt ein noch härteres Urteil über die Corona-Politik von Bund und Ländern. "Unserer Meinung nach werden besonders junge Menschen in den Planungen und Verordnungen der Regierenden immer noch kaum beachtet", erklärte der Bundessprecher:innenrat der Linksjugend gegenüber watson.
Das habe sich gerade bei den Corona-Einschränkungen zur Weihnachtszeit gezeigt. Von der Spitze der Linksjugend heißt es dazu:
"Viele wollten vernünftigerweise nicht das Risiko eingehen und weit fahren, um ihre Familie zu besuchen, konnten aber gleichzeitig nur Personen aus einem anderen Haushalt treffen. So mussten viele, obwohl sie sich das ganze Jahr über zum großen Teil an die Regeln gehalten haben, allein oder mit einer anderen Person die freien Tage verbringen. Zur selben Zeit konnten sich große Familien mit bis zu zehn Personen treffen. Ob Treffen mit der Familie oder der Wahlfamilie – das spielt für das Virus keine Rolle. Wir finden diese Ungleichbehandlung deshalb nicht gerechtfertigt."
Die eine Gruppe junger Menschen, die die Einschränkungen besonders hart träfen, seien Studierende: Die Online-Lehre lasse zu wünschen übrig, viele hätten ihren Nebenjob verloren. "Die Regierung hat da nur wenig geholfen mit ihrer mickrigen 'Überbrückungshilfe'", kommentiert die Spitze der Linksjugend. Viele Studierende hätten "ihr Studium abbrechen müssen oder eben Schulden aufgenommen."
Außerdem falle an den Unis das soziale Leben "für die meisten komplett aus". Die dramatische Folge, laut der Linksjugend:
"Studierende im ersten Semester sind nun, oft in einer neuen Stadt und mit nur wenigen sozialen Kontakten, einsam. Das zeigt sich auch bei der psychischen Gesundheit: bei Kindern und Jugendlichen stieg das Risiko für eine psychische Auffälligkeit von 18 auf 31 Prozent."
Bei Auszubildenden sei das Hauptproblem, "dass sie nicht wissen, wie es weitergeht". Viele hätten Angst davor, nicht übernommen zu werden oder gar ihren Ausbildungsplatz zu verlieren. Hinzu komme, dass viele Berufsschulen geschlossen worden seien, wodurch Wissenslücken entstünden.
Um jungen Erwachsenen besser durch die Pandemie zu helfen, fordert die Linksjugend zum einen, dass sie stärker in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Eine Maßnahme, die konkret helfen könne, sei eine Ausweitung des BaföG. Der Bundessprecher:innenrat erklärt gegenüber watson: "Dieses sollte dann für alle Studierenden, Auszubildenden und Schüler unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern zur Verfügung stehen und könnte insbesondere für diejenigen, deren Job pandemiebedingt weggefallen ist, eine große Erleichterung darstellen."
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