Streit um Buch von Putin-Gegner Nawalny: In der russischen Version fehlen Inhalte zum Ukraine-Krieg
Als das Leben Alexej Nawalnys am 16. Februar 2024 in einer Strafkolonie im russischen Hohen Norden sein Ende fand, wurde der russische Präsident seinen wohl einflussreichsten Gegner los. Doch der Einfluss des russischen Oppositionspolitikers wirkt bis heute, etwa durch die Memoiren mit dem Titel "Patriot", die im Oktober 2024 in 26 Sprachen erschienen. Das Buch hatte Alexej Nawalny im Exil sowie in Gefangenschaft verfasst.
Nun ist ein Streit um das Werk des Putin-Kritikers entbrannt: Warum fehlen in der russischsprachigen Ausgabe jene Beiträge, in denen Nawalny klar gegen den Krieg in der Ukraine Stellung bezog, während sie in der englischen Fassung zu finden sind?
Wie das unabhängige russische Exil-Medium "Meduza" berichtet, wirft diese Diskrepanz nun Fragen nach möglichen politischen Motiven auf. Auf Social-Media-Plattformen beschuldigen Kritiker:innen die Herausgeber der russischen Version, das Werk nachträglich "verstümmelt" zu haben. Andere sehen lediglich redaktionelle Entscheidungen am Werk.
Warum die Debatte um das Buch von Nawalny jetzt aufflammt
Den Stein ins Rollen brachte laut "Meduza" der in Exil lebende Arzt Andrej Wolna, der Russland wegen seiner Antikriegshaltung verlassen hat. Ihm fiel auf: Während die englische Version zusätzlich Posts aus Nawalnys Haftzeit enthält, darunter sein bekanntes "15-Punkte-Programm" für ein Kriegsende, ist im russischen Buch davon keine Spur.
Für Wolna geht es um mehr als nur Textauswahl. Die fehlenden Posts zeigen, wie sich Nawalnys Haltung im Gefängnis verändert habe: vom inländischen Kritiker zum offenen Gegner der russischen Kriegsführung. "Gerade diese Texte sind sein Vermächtnis", schrieb Wolna, der selbst Kriegsopfern hilft, laut "Meduza".
Schnell mischten sich andere Stimmen ein. Der Politologe Sergej Medwedew sprach etwa von einer "bewussten Manipulation". In seinen späten Posts habe Nawalny deutlich gemacht, dass die Zukunft Russlands nur ohne Putins Diktatur möglich sei – und die Ukraine in ihren Grenzen von 1991 bestehen müsse.
Der Historiker Alexander Etkind nannte das Fehlen der Beiträge "verstörend". Es bestätige seine Befürchtung, dass Nawalnys Erbe von seinem Umfeld politisch gesteuert werde.
Nawalny-Umfeld als Zielscheibe: Vertraute widersprechen scharf
Zielscheibe dieser Vorwürfe: der Fonds zur Bekämpfung der Korruption (FBK), das Team um Nawalnys engste Mitstreiter:innen. Kritiker:innen warfen dem Fonds vor, zu entscheiden, welches Bild von Nawalny in Russland bleiben darf.
Der FBK weist das entschieden zurück. Sprecherin Maria Pewtschich erklärte, der Fonds habe mit der Buchveröffentlichung nichts zu tun. Die Redaktion der englischen Ausgabe habe sich entschieden, Nawalnys Posts aufzunehmen, um ausländischen Leser:innen den Kontext zu erklären. Die russischen Herausgeber hätten sich bewusst auf die Tagebücher konzentriert, das Herzstück des Buches.
Auch Leonid Wolkow, einer der engsten Vertrauten Nawalnys, widersprach dem Vorwurf einer "späten Läuterung". Nawalny habe sich nie für den Krieg ausgesprochen, im Gegenteil: Schon am 24. Februar 2022, am Tag des Angriffs, habe er im Gerichtssaal eine deutliche Antikriegserklärung abgegeben.
Auf Social Media konterte Wolkow, die aktuelle Empörung sei Teil einer "gezielten Kampagne" gegen Nawalnys Familie, orchestriert aus dem Umfeld des Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski.
Dieser wies die Anschuldigungen als "paranoid" zurück und sprach von einer "Fixierung auf Geld und Kontrolle" beim FBK.
Verantwortliche: Buch-Struktur mit Julia Nawalnaja abgestimmt
Auch die Buchverantwortlichen äußerten sich. Warwara Babizkaja, Lektorin der russischen Ausgabe, betonte, die Entscheidung sei rein redaktionell gewesen. Tagebücher und Social-Media-Beiträge seien zwei verschiedene Textsorten – und viele der Posts seien ohnehin weiterhin online verfügbar.
Sie habe eng mit Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja zusammengearbeitet, um die Struktur des Buches so zu gestalten, wie er sie vermutlich selbst gewollt hätte. Von politischer Einflussnahme könne keine Rede sein, sagte sie laut "Meduza": Man habe versucht, "der Intention des Autors treu zu bleiben, nicht seiner Instagram-Chronik".
Während einige Beobachter:innen die Aufregung überzogen finden, sehen andere darin ein Symptom für den tiefen Riss innerhalb der russischen Opposition. Literaturkritikerin Anna Narinskaja erinnerte daran, dass Übersetzungen häufig voneinander abweichen. Insbesondere, wenn Verlage für ihr Publikum zusätzlichen Kontext liefern.
Auch Autorin Darja Serenko bestätigte, dass englische Herausgeber oft um mehr Hintergrund bitten, "weil westliche Leser:innen weniger Vorwissen haben". Julia Nawalnaja selbst hat die Kontroverse bislang nicht kommentiert.