Die AfD hat sieben Jahre nach ihrer Gründung ein Rentenkonzept vorgelegt. Lange wurde bemängelt, dass es der Partei an konkreten Vorschlägen zur Sachpolitik mangelt. Auf dem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende hat sie nachgelegt. Überraschend ist an dem beschlossenen Konzept allerdings wenig. Revolutionär sind die Vorschläge schon gar nicht.
Vom AfD-Parteitag am Wochenende in Kalkar bleibt vielmehr hängen: Die Partei ist gespalten wie nie. Streit, Geschrei und gegenseitige Diffamierung überwogen.
Im Zentrum des Geschehens steht AfD-Chef Jörg Meuthen. Er ist der entschiedenste Verfechter einer Entwicklung der AfD hin zu einer "bürgerlichen Partei". Dafür will er den radikalen völkischen Teil der Partei loswerden, den inzwischen aufgelösten "Flügel", zu dem der thüringische AfD-Landeschef Björn Höcke und sein ehemaliger Brandenburger Kollege Andreas Kalbitz zugerechnet werden.
Meuthen nutzte den Parteitag für eine Abrechnung mit dem rechten Flügel der Partei, inklusive Alexander Gauland, Fraktionschef im Bundestag. Der AfD-Chef sprach davon, dass es ein Fehler sei, sich mit Parteimitgliedern zu solidarisieren, die sich "in der Rolle des Provokateurs gefallen". Meuthen erklärte weiter:
"Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten."
Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD.
Auch die aktuellen Verbindungen der AfD zu den Corona-Leugnern und die damit einhergehenden Proteste nahm Meuthen bei seiner Rede aufs Korn.
Über die "Querdenker" sagte Meuthen: "Da engagieren sich auch nicht ganz wenige Zeitgenossen, deren skurrile, zum Teil auch offen systemfeindliche Positionen und Ansichten den Verdacht nahelegen, dass bei ihnen tragischerweise noch nicht einmal das Geradeausdenken richtig funktioniert, geschweige denn echtes Querdenken."
Er verurteilte Formulierungen seiner Parteikollegen, es handle sich bei den Corona-Maßnahmen um Ausdruck einer "Corona-Diktatur". Mit dieser Distanzierung machte Meuthen sich innerhalb seiner Partei allerdings selbst zur Zielscheibe.
"Spalterische Teile"
Kollegen griffen den AfD-Chef in ihren Reden scharf an und erklärten, er stehe bereits jetzt außerhalb der Partei. Fraktionschef Gauland sprach von "spalterischen Teilen" in der Meuthen-Rede. Die entscheidende Frage nach dem Bundesparteitag ist: Wie viel Mäßigung verträgt der "gärige Haufen", wie Gauland seine Partei einmal genannt hatte?
Extremismusforscher Hajo Funke sieht eine Strategie hinter dem Agieren und der Rede des AfD-Chefs. Ihm zufolge hat dieser gezielt provoziert, um die Macht innerhalb der Partei zu übernehmen – oder dem, was davon übrig sein wird:
"Jörg Meuthen geht aufs Ganze: Er will die Partei spalten."
Hajo Funke, Extremismusforscher
Laut Funke ist das Ziel Meuthens, die Gräben zu vertiefen, die ohnehin bereits innerhalb der Partei verlaufen. So sei auch der nachfolgende Eklat beim Parteitag kein Zufall gewesen – sondern durchaus gewollt vom AfD-Chef.
"Er hält seine Brandrede, die eine Abrechnung mit großen Teilen der Partei darstellt und lässt keinen Widerspruch zu. Autoritärer geht's nicht. Der Bruch mit dem Rest der Partei ist kalkuliert. Er provoziert die Explosion am nächsten Tag. Die Leute bekämpfen sich wie bei Saalschlachten."
Hajo Funke, Extremismusforscher
"Wer dauerhaft Erfolg haben will, muss gemäßigt werden"
Meuthens eigentliches Interesse hinter der Auseinandersetzung sei, den völkischen Teil, den sogenannten "Flügel", der laut Funke nach wie vor die AfD dominiert, aus der Partei zu werfen. Es handelt sich also einerseits um machttaktisches Interesse. Andererseits gehe es aber auch darum, die AfD, die inzwischen auf sieben Prozentpunkte in Umfragen gefallen ist, im Bundestag zu halten:
"Die Parole der AfD von 2015 war es, so radikal wie möglich zu werden. Damit ist die AfD in den Bundestag gekommen. Nun zeigt sich aber: Wer dauerhaft Erfolg haben will, muss gemäßigt werden. Das ist Jörg Meuthens Ziel. Im Notfall auch gegen den Widerstand großer Teile seiner Partei."
Hajo Funke, Extremismusforscher.
Für Meuthen ist es daher erklärtes Ziel, die AfD in eine bürgerliche Partei zu verwandeln, die perspektivisch mit Teilen der CDU koalieren kann. Sollte der Richtungsschwenk nicht mit der Gesamtpartei möglich sein, dann eben mit dem Teil der Partei, der gewillt ist, Meuthens Weg mitzugehen.
Mahnende Beispiele: Lucke und Petry
Er nimmt hierfür die Spaltung der Partei in Kauf und riskiert seine eigene politische Karriere. "Jörg Meuthen hofft darauf, dass ihm große Teile der Partei folgen werden", sagt Funke. Meuthen ist aber nicht der Erste, der versucht, die AfD in eine gemäßigtere Richtung zu drängen.
"Er riskiert, dass es ihm so ergehen wird wie Bernd Lucke oder Frauke Petry vor ihm."
Hajo Funke, Extremismusforscher.
Meuthen hat Angst vor dem Verfassungsschutz
Es gibt aber noch einen dritten Grund für Meuthens Vorgehen. Sicher ist: Der AfD-Chef möchte der Überwachung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz entgehen. Das hat auch persönliche Gründe. Wie viele andere innerhalb der AfD ist Meuthen Beamter. Der Professor für Volkswirtschaftslehre ist zwar derzeit beurlaubt, müsste aber mit Konsequenzen für seine berufliche Karriere rechnen, sollte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD in Zukunft als Ganzes unter die Lupe nehmen.
Dementsprechend ist ein Kurswechsel möglicherweise auch die letzte Chance für AfD-Chef Jörg Meuthen, überhaupt noch eine Rolle innerhalb der Partei zu spielen. Wenn er die völkischen Teile innerhalb der Partei nicht in den Griff bekommt, müsste er schon aus persönlichem Interesse einen Ausstieg aus der Partei erwägen. Er steht daher mit dem Rücken zur Wand.
Über den Experten
Prof. Dr. Hajo Funke ist einer der renommiertesten Experten zum Thema Rechtsextremismus. Seit den 1980er Jahren erforscht er rechte Ideologien und Gruppierungen. Er unterrichtete unter anderem an der Freien Universität Berlin und der UCLA in Kalifornien. 2013 wurde er als Gutachter beim NSU-Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag angehört. 2019 erhielt er für seine Arbeit das Bundesverdienstkreuz. Gerade erschien sein neuestes Buch: "Die Höcke-AfD. Vom gärigen Haufen zur rechtsextremen 'Flügel'-Partei".
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