Politik
Analyse

Experte zu Fall Nawalny: Warum Putin noch immer fest im Sattel sitzt

Russian President Vladimir Putin attends a meeting via video conference at the Novo-Ogaryovo residence outside Moscow, Russia, Friday, Aug. 14, 2020. (Alexei Nikolsky, Sputnik, Kremlin Pool Photo via  ...
Der russische Präsident Wladimir Putin bei einer Videokonferenz am 14. August. Bild: ap / Alexei Nikolsky
Analyse

Russlandexperte zu Fall Nawalny: Warum Putin noch immer fest im Sattel sitzt

13.09.2020, 18:5614.09.2020, 06:26
Mehr «Politik»

Der Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hat die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland schwer belastet. Sie sind an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Auch andere europäische Staaten haben scharfe Worte in Richtung Moskau gerichtet, weil sie von einer Verwicklung der Regierung Putins in das Attentat ausgehen.

Doch wie ist die Lage in Russland selbst? Wie reagieren die Menschen dort auf den Fall Nawalny? Schadet er Putins Position? Wir haben darüber mit Stefan Melle gesprochen, Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Deutsch-Russischer Austausch (DRA).

Reaktionen in Russland auf den Giftanschlag auf Nawalny

Melle fasst die Reaktionen so zusammen:

"Der Fall Nawalny wird in Russland sehr gespalten wahrgenommen. Die Leute, die politisch interessiert sind und eher der aktiven demokratischen Minderheit zugerechnet werden können, sehen ganz klar, dass hier ein Verbrechen vorliegt, das sehr wahrscheinlich von der russischen Regierung in Auftrag gegeben worden ist. Das wird auch gesagt und geschrieben in unabhängigen Medien sowie auf Facebook."

Anders als nach Angriffen auf politisch unliebsame Menschen in den vergangenen Jahren – wie den Morden an Oppositionsführer Boris Nemzow im Jahr 2015 und an der Journalistin Anna Politkowskaja im Jahr 2006 – fanden nach dem Anschlag auf Nawalny bisher kaum größere Proteste statt. Melle erklärt das mit einer Art Schockzustand der Opposition:

"Bei der Opposition hat die Vergiftung Nawalnys für eine Lähmung gesorgt. Viele sind schockiert. Es gibt sehr wenige öffentliche Reaktionen und praktisch keine Mahnwachen – anders als bei vielen früheren Attentaten oder Fällen politischer Verfolgung."

Warum Putins Macht stabil bleibt

Ganz unabhängig von den eingeschränkten Freiheitsrechten: Die Lage in Russland ist laut Stefan Melle bescheiden, auch für Menschen, die sich nicht gegen Präsident Putin engagieren.

"Wirtschaftlich stagniert Russland seit Jahren. Der Rubel wird abgewertet, das hilft dem Staatshaushalt und den Rohstoffkonzernen, aber trifft die Bevölkerung. Für sie geht Wohlstand verloren und das wird durch Corona nicht besser."

Trotzdem ist der Präsident nach wie vor politisch fest im Sattel. Das liegt laut Melle daran, dass es an Alternativen fehlt:

"Putins Beliebtheit sinkt. Aber es gibt eben wenige Alternativen für eine Führungsfigur. Putin hat in zwanzig Jahren das politische Feld leergeräumt. Viele prominente Kontrahenten, wie Michail Chodorkovski, Boris Beresovskij oder Boris Nemtsov, wurden inhaftiert, ins Ausland gedrängt – oder haben es schlicht nicht überlebt."

Viele Menschen in Russland reagieren auf diese Lage laut Melle mit einem Rückzug ins Private:

"Ein erheblicher Teil der Bevölkerung zieht sich ins Private zurück oder engagiert sich auf lokaler Ebene und hat dort viele lebendige, kreative und auch moderne Nischen. Das funktioniert in den Städten sehr gut, in den ländlichen Räumen eher weniger, für sie ist aber Moskau ohnehin weit weg."

Von Präsident Putin erwarte aber niemand mehr viel. Melle wörtlich:

"Keiner erwartet mehr einen Durchbruch aufgrund einer neuen Regierung unter Putin."

Warum Putin auf einer unseligen Tradition aufbaut

In Europa und den USA sprechen viele Menschen mit Blick auf Russland mit Wehmut über die 1990er Jahre: Damals war die kommunistische Sowjetunion zusammengebrochen und der Kalte Krieg vorbei, Russland schien bereit zu engerer Zusammenarbeit mit den Nachbarn im Westen und der Regierung in Washington.

Doch Experte Stefan Melle hält das für eine Verklärung. Für ihn hat Präsident Putin, der seit dem Jahr 2000 regiert, auf einer unseligen Tradition aufgebaut. Über Putins Vorgänger Boris Jelzin sagt Melle:

"Boris Jelzin war auch nicht der demokratischste Präsident. Das wird im Rückblick gerne verklärt und falsch überliefert. Er hat im Konflikt mit den Altkommunisten das Parlament zusammenschießen lassen und dem Präsidentenamt – also sich selbst – fast unbeschränkte Rechte gegeben. Da wurde eine sehr schlechte Tradition begründet, die auch heute noch für das politische Klima mit verantwortlich ist."
CDU-Politiker Jens Spahn empört Wärmepumpen-Branche mit Rede

Die Union will das Heizungsgesetz der Ampel-Koalition abschaffen. Das kündigte der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann an. Die CDU wolle wieder stärker auf den CO₂-Preis als Steuerungselement setzen und den Menschen nicht mehr in ihren Heizungskeller "reinregieren", wie Linnemann der "Bild" sagte.

Zur Story