In den vergangenen beiden Jahren war der 1. Mai in Berlin für Demonstranten ziemlich schnell vorbei. Beim letzten Mal, 2018, konnten sich die linken Gruppen nicht einmal auf ein gemeinsames Motto, geschweige denn auf eine gemeinsame Route einigen. Kurz nachdem sich die große revolutionäre 1.-Mai-Demo am Abend in Bewegung gesetzt hatte, kam sie bereits ins Stocken.
Teile der Demonstranten hatten das "MyFest" als Ziel, das parallel in Kreuzberg hunderttausende Feierwütige aus ganz Deutschland anzog. Andere DemogängerInnen wiederum wollten damit nichts zu tun haben. Die Folge: Der Demozug zögerte, die Polizei übernahm geschickt die Kontrolle über große Teile der Straße. Und vorbei war die Angelegenheit. Dieses Jahr, darauf deuten viele Zeichen hin, könnte es anders kommen.
In den vergangenen Jahren hatte die politische Demo in Berlin gleich mehrere Probleme mit dem sogenannten "Myfest" in Kreuzberg.
Diese Party der Superlative wurde ins Leben gerufen, um den Kiez am ersten Mai zu befrieden. In bestimmter Weise hat sie das auch geschafft. Mittlerweile aber kommen so viele Menschen aus ganz Deutschland nach Kreuzberg, dass das Viertel unter der "Partylast" geradezu ächzt. Das hatte bisher zwei Auswirkungen auf die Demo:
Diesmal allerdings wollen die Demonstranten das "Myfest" meiden. Nicht länger sollen sich politische Aufrufe und Party-Ballermann vermischen. Die Demo startet stattdessen im benachbarten Friedrichshain. Die Route ist bislang unbekannt, weil die Demo-Macher die Veranstaltung nicht angemeldet haben.
Politisch brisant ist die Route, weil sie durch die Rigaer Straße führen wird. Seit Jahren gilt sie als symbolischer Ort für die linksautonome Szene. In der Rigaer tobt ein erbitterter Kampf zwischen Altmietern, Hausbesetzern und Neu-Investoren. Regelmäßig kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Linksautonomen. Die Demo wird an zahlreichen besetzten Häusern vorbeiführen. Man könnte sagen: Die Demomacher haben hier Heimvorteil.
Besondere Sorge gibt es um den östlichen Teil der Straße, wo die Großbaustelle eines der von der Szene verhassten Neubauprojekte steht. Besitzer ist auch noch der in der Szene verhasste Großinvestor Christoph Gröner, der durch die WDR-Doku "Ungleichland" landesweite Bekanntheit erlangte.
Betreten die Demonstranten diesen durch Bauzäune getrennten Bereich, und viele werden das wollen, dann wird die Polizei mit ziemlicher Sicherheit einschreiten.
Das würde nicht nur eine Eskalation bedeuten, sondern könnte auch gefährlich für alle Beteiligten werden, weil die Straße an dieser Stelle besonders eng ist. Eine Massenpanik wäre hier unter Umständen nicht ohne Weiteres zu beherrschen.
2000 Polizisten werden die Demo begleiten, um das zu verhindern. Je mehr Polizei sich aber vor Ort befindet, desto größer ist auch das Konfliktpotential. Schon jetzt heißt es auf der Demo-Seite: Die Baustelle diene nur als Vorwand. "Bullen wollen Baustelle des Spekulanten (...) in der Rigaer als Barrikade benutzen."
Gleichzeitig ist die Route von den Demo-Organisatoren sicherlich auch bewusst so gewählt worden, um genau diese Befürchtungen und damit auch Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu schüren.
Die Demonstrantinnen und Demonstranten haben in diesem Jahr ein gemeinsames Ziel gefunden. "Gegen die Stadt der Reichen" lautet das Motto der Demo. Dazu passt die neue Route gut.
Die explodierenden Mieten in Berlin sind ein Thema, das viel Konflikt-Potential in sich trägt. Da ist man sich wohl innerhalb der Szene als auch außerhalb einig.
In Berlin und auch in anderen deutschen Städten kocht die Wut über mangelnden Schutz vor Mietwucher seit Monaten hoch. Der Zulauf von politisierten Demonstranten dürfte demnach auf der 1. Mai-Demo besonders hoch sein.
In Berlin kommt es mittlerweile regelmäßig zu Zusammenstößen mit der Polizei, wenn es um die Zwangsräumung von Häusern geht. Viele werden sich deshalb aus Überzeugung der Demo anschließen, vor einigen Wochen erst gingen Zehntausende gegen "Mietwahnsinn" auf die Straße.
Wird das Thema so prominent am 1. Mai präsentiert, könnte es enorme Zugkraft entwickeln.