Volt spricht bisher vor allem jüngere Menschen an. Im Bild Sympathisanten der Partei auf einer Pro-Europa-Demonstration in Frankfurt vor den Europawahlen im Mai 2019. Bild: Getty Images Europe / Thomas Lohnes
Analyse
Der Geheimtipp bei den Landtagswahlen: Was die junge Europapartei Volt vorhat
2017 als Verein gegründet, will Volt eine gesamteuropäische Partei sein – und am Sonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz punkten. Was will die Partei dort erreichen – und hat sie überhaupt eine Chance?
"Andere" oder "Sonstige", so heißt bei Bundestags- und Landtagswahlen in Deutschland der Ort, an dem die Kleinparteien zusammengefasst werden. Die, die es nicht ins Parlament geschafft haben, die zu klein sind, um wirklich relevant zu sein. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag könnte das anders sein. Hinter dem "Sonstige"-Balken stehen laut den aktuellen Umfragen zwei bemerkenswerte Parteien, die vor allem junge Mitglieder und Sympathisanten haben. Da sind zum einen die 2020 gegründeten Klimalisten, die in beiden Ländern antreten – und die in Baden-Württemberg für Sorgenfalten bei den Grünen sorgen. Und da ist Volt.
Volt wurde 2017 als europäischer Verein gegründet und 2018 als deutsche Partei. Der Kern des Volt-Programms: Europa soll deutlich enger zusammenwachsen. Die Partei versteht sich als totaler Gegenentwurf zu Nationalisten und Rechtspopulisten, zur AfD oder zum französischen Rassemblement National. Es gibt inzwischen Volt-Parteien in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten, in Großbritannien und der Schweiz. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg tritt Volt jetzt, nach der Landtagswahl-Premiere bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Februar 2020, erstmals in zwei deutschen Flächenländern an.
Ein Landtagswahlplakat von Volt in Stuttgart. Bild: imago images / Arnulf Hettrich
Was Volt in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fordert
Blickt man auf die Wahlprogramme von Volt in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, dann fällt auf den ersten Blick auf: Am Anfang steht je ein Kapitel, das mit "Europa" überschrieben ist. Darunter stehen konkrete Forderungen wie (in Baden-Württemberg) ein "Welcome Desk" für Bürger anderer EU-Staaten, die sich im Land ansiedeln wollen – oder (in Rheinland-Pfalz) ein europäischer Feiertag am 9. Mai, dem Jahrestag der Schuman-Erklärung von 1950, einem wichtigen Schritt zur Europäischen Union. In beiden Bundesländern fordert Volt, dass Bürger aller 27 EU-Staaten nicht nur bei Kommunal- und Europawahlen, sondern auch bei den Landtagswahlen und Volksabstimmungen ihre Stimme abgeben dürfen.
Paul Loeper, Vorstandsvorsitzender von Volt Deutschland, erklärt die Rolle seiner Partei bei Landtagswahlen gegenüber watson so:
"Wir müssen das Thema europäische Einigung bei jeder Wahl ansprechen."
Und er sagt: "Jede Wahl ist ein Moment der politischen Bildung." Bei jedem dieser Momente, meint Loeper, wolle Volt nach Möglichkeit dabei sein.
Auffällig viel Platz in den Wahlprogrammen widmen die beiden Volt-Landesverbände außerdem dem digitalen Wandel und dem Kampf gegen den Klimawandel. Die Partei stellt Forderungen wie einen massiven Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes und eine konsequente Digitalisierung der Verwaltung – bis hin zu einer Studie, mit der in Baden-Württemberg untersucht werden soll, inwieweit digitale Wahlen wie in Estland, das als digitales Vorzeigeland gilt, möglich sind. Volt spricht sich unter anderem für einen klimaneutralen öffentlichen Nahverkehr aus – und für "Schwammstädte", in denen Starkregen gespeichert und während längerer Trockenperioden genutzt werden kann.
Auch in den beiden Volt-Wahlwerbespots kommt Europa ganz vorne. Die gesprochenen Texte der Clips für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind quasi wortgleich: Sie beginnen mit der Krise der Europäischen Union und führen zur Forderung, Europa in den Landtag zu bringen und sich vor Ort inspirieren zu lassen vom Vorbild anderer europäischer Städte und Regionen. Dieses Prinzip lässt Volt auch regelmäßig in den Wahlprogrammen vorkommen: Als Beispiel für moderne Altenpflege wird etwa das Buurtzorg-Modell in den Niederlanden genannt, als Vorbild für eine Kaufprämie für Lastenfahrräder Italien.
"Wir sind sozialliberal und nachhaltig, nicht neoliberal", sagt Ron-David Röder gegenüber watson zum Programm der Partei. Der 36-jährige IT-Projektmananger Röder kandidiert in Rheinland-Pfalz auf Platz zwei der Volt-Landesliste.
Anders gesagt: Im Unterschied zu einem beachtlichen Teil der FDP sehen Volt-Vertreter den Staat deutlich weniger misstrauisch. Sie fordern, dass Regierung und Behörden eine zentrale Rolle spielen beim sozialen und ökologischen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft.
Welche Erfolgsaussichten Volt hat
In den Umfragen zu beiden Landtagswahlen wird Volt – wie oben erwähnt – bisher nur unter der Gruppe "Sonstige" geführt. Es wäre ein politisches Wunder, wenn es am Abend einer der beiden Landtagswahlen anders aussähe.
Seit Gründung der deutschen Sektion hat Volt mehrere Achtungserfolge geholt: den Einzug ins Europäische Parlament bei der Europawahl 2019 (wofür mangels Sperrklausel 0,7 Prozent der Stimmen reichten) – und erstaunliche Resultate bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen 2020, wo sie in Köln und Bonn rund fünf Prozent der Stimmen holte. Auch in Rheinland-Pfalz ist Volt schon in den Kommunalparlamenten von Mainz und Wachenheim an der Weinstraße vertreten.
Doch bei Landtagswahlen in Flächenländern mit Millionen Wahlberechtigten ist es erheblich schwieriger, es ins Parlament zu schaffen.
Alexandra Barsuhn, Spitzenkandidatin von Volt in Rheinland-Pfalz, drückt es im Gespräch mit watson so aus: "Was die Leute abhält, uns zu wählen, ist die Fünf-Prozent-Hürde." Sie spricht von der Angst vieler Menschen, ihre Stimme zu vergeuden – an eine frisch gegründete Partei, die ohnehin keine Chance hat, ins Parlament einzuziehen. Diese Angst, sagt Barsuhn, sei unbegründet. Für Volt sei auch unterhalb der Sperrklausel jede Stimme hilfreich: Etwa, um die Schwelle von einem Prozent zu überschreiten. Wenn Volt darüber läge, bekäme die Partei Geld aus der öffentlichen Parteienfinanzierung.
Die 27-jährige Studentin Alexandra Barsuhn kandidiert auf Platz eins der Volt-Landesliste.
Ein Prozent, das ist auch für Chantal Graßelt ein wichtiger Wert. Die 22-jährige Studentin, die in Heidelberg für Volt antritt, sagt: "Das wäre ein Ergebnis, mit dem ich zufrieden wäre."
Eine weitere wichtige Schwelle für Volt wäre der Wert von drei Prozent: Wer darüber liegt, bekommt in den Wahlergebnissen einen eigenen Balken, wird nicht mehr unter "Andere" oder "Sonstige" geführt und darf auf mehr Aufmerksamkeit hoffen. Volt-Bundeschef Paul Loeper legt sich gegenüber watson nicht auf eine Prozentzahl fest, ab der er zufrieden mit dem Ergebnis wäre. Loeper sagt: "Für uns ist die Sichtbarkeit wichtig."
In Baden-Württemberg sieht die Heidelberger Kandidatin Graßelt einen Vorteil für Volt durch die vergleichsweise große Zahl von Universitätsstädten wie Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg, Mannheim, Heidelberg und Tübingen. Dort sei Volt vielen Menschen schon seit der Europawahl 2019 bekannt. In der Heidelberger Innenstadt, sagt Graßelt, müsse sie gar nicht mehr erklären, wer Volt ist.
Warum Volt nicht mehr nur jung sein will
Volt ist bisher eine überwiegend junge Partei. Das zeigt der Blick auf die Kandidierenden, von denen deutlich mehr jünger als 40 sind als bei anderen Parteien. Das zeigt aber auch der Blick auf bisherige Wahlergebnisse. Bei den NRW-Kommunalwahlen 2020 etwa holte Volt in Köln laut einer Wahlanalyse des WDR sogar 11 Prozent der Stimmen bei Menschen zwischen 16 und 24 Jahren. In Universitätsstädten ist die Partei auch andernorts stark: In München etwa ist Volt 2020 in den Stadtrat eingezogen, bildet dort eine Fraktionsgemeinschaft mit der SPD – und ist somit Teil der Regierungsmehrheit.
Volt will aber mehr werden als eine junge Partei, das sagen alle Vertreter, mit denen watson vor den Landtagswahlen gesprochen hat. Die Heidelberger Kandidatin Graßelt sagt, durch den "progressiven Ansatz" spreche Volt "viele jüngere Menschen an". Aber man richte sich damit auch an Ältere. "Diese müssen wir besser erreichen", meint sie und: "Wir brauchen eine breitere Ansprache."
Der rheinland-pfälzische Kandidat Ron-David Röder ist optimistisch, dass die Partei das schafft. "Mit jeder Wahl schaffen wir es, uns weiter zu diversifizieren", sagt er. Und er erzählt von "Onboarding-Gesprächen" mit neuen Volt-Mitgliedern. Röder fasst seine Erkenntnisse daraus so zusammen:
"Es gibt viele Menschen im Land, die nicht mehr wissen, was sie wählen sollen, die aber keine Partei wie die AfD wählen wollen aus Protest. Wir bieten eine Alternative, die nicht menschenfeindlich ist."
Die nächsten Ziele der Partei nach den Landtagswahlen fasst Bundeschef Paul Loeper so zusammen: Volt wolle bei der Bundestagswahl am 26. September teilnehmen. Und bei der Europawahl 2024 mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Ländern ins Europäische Parlament bringen.
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