Sechs bis acht Prozent, so groß ist laut den jüngsten Umfragen zur Bundestagswahl der Anteil der Deutschen, die für die "Sonstigen" stimmen wollen: für die Parteien also, die zu klein für den Bundestag sind. Zumindest bisher. Eine davon ist die proeuropäische Partei Volt, die 2021 zum ersten Mal antritt.
Am Dienstag hat Volt die eigene Kampagne für die Bundestagswahl präsentiert – und dabei das ehrgeizige Ziel ausgesprochen, ins Parlament einzuziehen. "Das ist eine riesige Herausforderung", sagte dazu Caroline Flohr, stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Volt, auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Bundestagswahlkampagne. Volt müsse dafür zehnmal so viele Wählerstimmen gewinnen wie bei der Europawahl 2019. Damals entschieden sich knapp 250.000 Menschen in Deutschland für Volt, das entsprach 0,7 Prozent der gültigen Stimmen. Das reichte, um mit einem Abgeordneten ins Europäische Parlament einzuziehen.
Das Problem für Volt: Bei der Bundestagswahl gilt, anders als bei der vergangenen Europawahl, eine Sperrklausel von fünf Prozent. Parteien brauchen mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen (oder drei Direktmandate), um den Sprung ins Parlament zu schaffen. Würde Volt die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, wäre das eine Sensation. Bisher gibt es dafür keine ernsthaften Anzeichen.
Die 2017 als Verein gegründete Partei stellt sich als die einzige wirklich europäische Partei dar. Unter dem Namen Volt existieren inzwischen in allen 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Parteien – sowie in Großbritannien und der Schweiz. Durch ihre Wahl- und Grundsatzprogramme zieht sich die Forderung nach mehr Europa.
Radikal will Volt eigentlich nur in diesem einen Punkt sein, im Bekenntnis zur europäischen Zusammenarbeit in allen Bereichen: von der Gesundheitspolitik über den Klimaschutz, von der Bildungspolitik bis zu Migration und dem Kampf gegen Diskriminierung. Diese "grenzübergreifende Art, Politik zu machen", wie es Elisabeth Schwerdtfeger aus dem Volt-Generalsekretariat am Dienstag ausdrückt, unterscheide Volt von allen anderen Parteien.
Die andere zentrale Botschaft, die Volt vermitteln will: Diese radikal proeuropäische Haltung sei die vernünftigste. "National verfasste Parteien" könnten die großen Herausforderungen der Zeit – den Kampf gegen die Klimakrise, gegen die Covid-19-Pandemie wie eine humane Migrationspolitik, nicht lösen – meinte Hans-Günter Brünker, einer der beiden Volt-Spitzenkandidaten. Rebekka Müller, die andere Spitzenkandidatin, ergänzte, dafür sei ein "solidarisches Europa" nötig.
Das Wahlprogramm, mit dem Volt ins Rennen geht – und das die Partei schon Ende Mai vorgestellt hat – enthält "soziale, grüne und liberale Elemente", wie Volt selbst schreibt. watson hat es nach der Vorstellung analysiert.
Volt kann in Deutschland bisher vor allem bei jungen Wählern in Großstädten punkten – das haben die Analysen nach der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen 2020 gezeigt. Die Partei will aber nicht mehr nur als jung gesehen werden, sondern alle Altersgruppen ansprechen, das sagen ihre Vertreter seit Monaten.
Mit der am Dienstag vorgestellten Bundestagswahlkampagne will Volt offensichtlich auch thematisch ein möglichst breites Spektrum abbilden – um nicht als Ein-Themen-Europa-Partei wahrgenommen zu werden. Die Plakatmotive, die die Vize-Vorstandsvorsitzende Flohr präsentierte, drehen sich um acht unterschiedliche Themenbereiche: Klimaschutz, Wirtschaft, Digitale Selbstbestimmung, Bildung, Migration, Soziales und Arbeit, Gesundheit und Kampf gegen Diskriminierung.
Auf die Wahlplakate druckt Volt einen QR-Code. Wer den mit dem eigenen Smartphone einliest, wird auf mehrsprachige Fassungen des Volt-Wahlprogramms geleitet. Das erklärte Ziel dahinter: Auch Menschen erreichen, die sich mit einer anderen Sprache als Deutsch leichter tun.
Das wohl wichtigste Gut, um das jede Partei vor Wahlen kämpft, ist Aufmerksamkeit. Das gilt gerade für diejenigen, die im Bundestag nicht vertreten sind – also auch für Volt.
Die Partei plant in den kommenden Wochen, in mehreren deutschen Städten mit Aktionen für sich zu werben, die über klassische Mittel wie Infostände und Wahlkampfreden hinausgehen. Zwischen 6. und 9. August will die Partei etwa in Berlin ein "Kampagnenfestival" veranstalten und dazu Parteivertreter aus Deutschland und ganz Europa einladen, um die Hauptstadt – wie es Kampagnenmanager Sebastian Broening mit robustem Selbstbewusstsein ausdrückt – "in Lila zu tünchen". Lila ist die Volt-Parteifarbe.
Volt will außerdem "Politikbattles" veranstalten: Diskussionsduelle mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Parteien. Streitgespräche mit Vertretern der AfD lehnt Volt aber ab. Man wolle sich "nur mit demokratischen Parteien" zusammensetzen, sagte Kampagnenmanager Broening auf watson-Nachfrage.
Knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl spricht aber kaum etwas dafür, dass Volt realistische Aussichten hat, das öffentlich erklärte Fünf-Prozent-Ziel zu erreichen. Kampagnenmanager Broening meinte dazu, man werde durch die eigene Plakatkampagne "einiges an Eindruck machen" – und sei "zuversichtlich, dass sich das in Umfragen widerspiegelt."
Spitzenkandidat Brünker ergänzte, es gehe der Partei vor allem um Bekanntheit. "Überall da, wo wir einen ausreichenden Bekanntheitsgrad haben, kommen wir leicht über die fünf Prozent." Das habe man in deutschen Kommunen wie Darmstadt gesehen (Volt holte dort im März bei den hessischen Kommunalwahlen 6,5 Prozent) – und bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden.
Dass es für den Einzug in den Bundestag in diesem Herbst ein Wunder bräuchte, dürfte den meisten Vertretern der Partei ohnehin klar sein. Die Volt-Vertreter (Eigenbezeichnung: "Volterinnen und Volter") setzen sich aber auch andere Ziele. "Wir denken wie eine Partei, aber wir handeln wie eine Bewegung", meint Spitzenkandidat Brünker dazu. Das heißt: auch außerhalb der Parlamente politischen Druck für mehr europäische Zusammenarbeit aufbauen, auch darum will sich Volt weiter kümmern.