Auf Bundesebene stellen die Grünen sogar eine Kanzlerinnenkandidatin, in den neuen Bundesländern sind sie weniger beliebt.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
Analyse
20.09.2021, 17:3620.09.2021, 17:55
Es könnte knapp werden für die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern. Im Bundesland im Nordosten der Republik liegt die Partei laut den aktuellen Umfragen zur Landtagswahl, die am selben Tag wie die Bundestagswahl stattfindet, zwischen sechs und sieben Prozent. Momentan ist sie gar nicht im Landtag in der Hauptstadt Schwerin vertreten. Unwesentlich besser stehen die Umfragen für die Partei in den anderen ostdeutschen Bundesländern – wobei die Grünen in dreien sogar mitregieren.
Vergleicht man die aktuellen Prognosen in Mecklenburg-Vorpommern mit Werten, die die Grünen bei den Umfragen zur Bundestagswahl erreichen, fällt die Schwäche im Osten besonders stark auf. Bundesweit rangiert die Partei je nach Umfrage zwischen 15 Prozent und 17 Prozent. Doch warum tut sich die Partei im Osten so schwer?
Die Lage in Mecklenburg-Vorpommern
Bei den Landtagswahlen 2016 sind die Grünen aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern geflogen, dieses Jahr wollen sie wieder rein. Laut aktuellen Umfragen könnte das klappen – doch es bleibt eine Wackelpartie. Mecklenburg-Vorpommern ist das am dünnsten besiedelte Bundesland der Republik und stark ländlich geprägt.
"Wer Veränderung will, dem bläst auch mal der Wind ins Gesicht", sagt Anne Shepley dazu gegenüber watson. Sie ist Spitzenkandidatin der mecklenburgisch-vorpommerschen Grünen für die Landtagswahl. Zwar hätten die ehrenamtlichen Wahlkämpfer im ganzen Bundesland in den vergangenen Wochen immer häufiger rückgemeldet, dass sich die Bevölkerung eine starke grüne Stimme wünsche.
Sie ergänzt aber: Die aktuellen Umfragewerte zeigten, "dass die große Gefahr besteht, dass konkreter Klimaschutz und Generationengerechtigkeit im neuen Landtag keine starke Stimme haben könnten." Aus Sicht der Grünen-Politikerin eine Katastrophe für das Klima.
Möchte für die Grünen in den Landtag einziehen: Spitzenkandidatin Anne Shepley.Bild: dpa-Zentralbild / Jens Büttner
Der bisherigen Landesregierung, einer SPD-CDU-Koalition unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, stellt die Grüne ein schlechtes Zeugnis aus: "Es drohen fünf weitere Jahre, in denen keine Ideen für die Zukunft unseres Landes umgesetzt werden."
Viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sehen das offensichtlich anders. Laut aktuellen Umfragen rangieren die Sozialdemokraten bei 39 Prozent, die CDU bei 14 Prozent. Das würde für eine Fortführung der großen Koalition reichen.
"Die große Gefahr besteht, dass konkreter Klimaschutz und Generationengerechtigkeit im neuen Landtag keine starke Stimme haben könnten."
Anne Shepley, Spitzenkandidatin der Grünen für
die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
Was Shepley und ihre Partei täten, um die Bürgerinnen und Bürger doch von sich zu überzeugen? Haustürwahlkampf sei laut Shepley ebenso fester Bestandteil, wie Infostände. Online versuchten sie die Wählerinnen und Wähler mit Formaten wie einem Fakten-Check zu erreichen. So wollen sie mit Vorurteilen aufräumen und Ängste schwächen.
Trotz der Wahlkampf-Bemühungen schaffen es die Grünen nicht, die Umfragewerte zu verbessern. Warum fällt es der Partei so schwer, im Osten vom Fleck zu kommen?
Spitzenkandidatin Shepley nennt drei Begebenheiten, die die neuen Bundesländer kennzeichneten:
- Größtenteils ländliche Räume und kaum urbane Zentren
- Überalterung der Gesellschaft
- Abwanderung junger Menschen in die Großstädte
In diesen Eigenheiten liege laut Shepley auch das Problem. Gegenüber watson erklärt sie:
"Unsere Vision für die ländlichen Räume umfassen eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik, der Wirtschaftsförderung und der Landwirtschaft. Zudem werben wir um Unterstützung bei Menschen, die selbst nichts oder wenig von unserer Politik haben (werden) – bestenfalls ihre Kinder und Kindeskinder. Das ist eine schwierige Aufgabe, die einen langen Atem und viel Geduld erfordert."
Das Standing der Grünen im Osten
In der Grünen-Zentrale in Berlin haben sie das Problem auch erkannt. "In Ostdeutschland sind wir noch nicht da, wo wir in Nord-, Süd- oder Westdeutschland sind, aber wir wachsen – es geht in die richtige Richtung", fasst ein Sprecher des Bundesvorstands das Standing der Partei zusammen.
Was im Osten fehle, sei die politische Erfahrung. "Im Westen sind wir schon viel länger präsent", sagt er – und verweist auf die Generation 60+, die dort ihre Stimme immer häufiger den Grünen gebe.
Dabei regieren die Grünen auch im Osten längst mit. Und zwar in drei der fünf Bundesländer. Doch in den Landesregierungen haben sie ein geringeres Gewicht. In Sachsen ist die mit 8,6 Prozent der Stimmen im Landtag vertreten, in Brandenburg mit 10,8 Prozent, in Thüringen mit 6,5 Prozent.
In westlichen Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung sehen die Zahlen ganz anders aus: Hessen (18 Prozent), Hamburg (24 Prozent), Baden-Württemberg (32 Prozent), Rheinland-Pfalz (9 Prozent), Berlin (15 Prozent), Schleswig-Holstein (12 Prozent) und Bremen (17 Prozent).
Sozialwissenschaftler Hubert Kleinert geht davon aus, dass das akademische links-grüne Milieu, das die Stammwählerschaft der Partei sei, in den neuen Bundesländern weniger stark vertreten sei. Er sagt: "Die Grünen tun sich in ländlichen Gegenden traditionell schwerer als in großstädtischen Zentren." Für viele Menschen im Osten sei das Thema Klimawandel außerdem nicht das dringlichste.
Diesen Eindruck teilt Kampagnenexperte Julius van de Laar, der unter anderem bei den US-Präsidentschaftswahlkämpfen Barack Obamas mitgearbeitet hat. Zwar habe er den Eindruck, dass die Grünen seit 2018 unter ihrem Co-Parteichef Robert Habeck pragmatischer geworden seien – sowohl kommunikativ als auch taktisch habe ein Wandel stattgefunden. Trotzdem sagt van de Laar:
"Der primäre Fokus der Partei liegt auf der urbanen Bevölkerung. Die Wahlkampf Bus-Tour bringt Robert Habeck und Annalena Baerbock natürlich auch in die neuen Bundesländer, aber eben sehr gezielt zum Beispiel nach Leipzig oder Erfurt. Jede Kampagne hat immer dieselben Herausforderungen: Es gibt immer zu wenig Geld und zu wenig Zeit. Daher versuchen die Grünen die vorhandenen Ressourcen zu maximieren, indem sie versuchen, die eigenen Hochburgen zu mobilisieren."
Julius van de Laar, Kampagnenexperte, gegenüber watson
Aggressive Stimmung in Zwickau
Werte, die die Grünen in den alten Bundesländern erreichen, erreicht in den neuen Bundesländern die AfD. Sie ist in allen Landesparlamenten vertreten: In Brandenburg mit 23 Prozent, in Sachsen mit 27 Prozent, in Sachsen-Anhalt mit 20 Prozent und in Thüringen mit 23 Prozent. Die Umfragen für die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern prognostizieren gerade eine Zustimmung von 18 Prozent der Wählerschaft.
Die AfD ist die einzige Partei im Bundestag, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. Beim "ARD-Vierkampf" hatte Spitzenkandidatin Alice Weidel erklärt, dass die ganze Welt über Deutschland und seine Bemühungen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, lache. Ein Ziel, für das die Grünen, wie keine andere Partei, sehr exemplarisch stehen – auch wenn das Pariser-Abkommen, in dem das Ziel festgeschrieben ist, ohnehin verbindlich für alle gilt.
Die Grünen fungieren oftmals als Projektionsfläche. Das Image, das ihnen anhängt: Verbotspartei. Die Ablehnung im Osten schlägt mancherorts sogar in blanken Hass um.
Im sächsischen Zwickau hat die rechtsextreme Partei Der III. Weg Wahlplakate platziert, die dazu aufrufen, die "Grünen zu hängen". Klein steht dann darunter "macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt." Die Parteifarbe des dritten Wegs: grün. Die Wirkung der Plakate, ihre irreführende Doppeldeutigkeit: Mit Sicherheit kein Zufall – und ein Fall für mehrere Gerichte.
"Hängt die Grünen" lautet die Wahlforderung der rechtsextremen Partei der dritte Weg.Bild: ZB / Bodo Schackow
Die Stadt Zwickau zwang die rechtsextreme Partei wegen dieser Doppeldeutigkeit, die Plakate abzunehmen. Doch daraus wurde nichts: Die Partei der dritte Weg klagte vor dem zuständigen Verwaltungsgericht in Chemnitz und bekam recht.
Das Landgericht München kassierte diesen Beschluss erst einige Tage später: Auch dort hatte die rechtsextreme Partei die doppeldeutigen Wahlplakate aufgehängt. Laut Mitteilung hat das Landgericht München diese Form der Wahlwerbung nun verboten. Und zwar mit der Begründung, dass der Slogan als Aufforderung zu einer Straftat zu verstehen sei. Laut einer Gerichtssprecherin gelte diese Entscheidung bundesweit.
Der Fall und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Chemnitz legen aber nahe: Den langen Atem, von dem die mecklenburgisch-vorpommersche Spitzenkandidatin Anne Shepley spricht, braucht die Partei wohl in allen fünf Ostbundesländern.