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Kiwifarms: Clara Sorrenti sagt Mobbing-Webseite Kampf an und riskiert ihr Leben

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Die Plattform Kiwifarms hat viele Opfer terrorisiert, jetzt soll damit Schluss sein. Bild: www.imago-images.de / imago images
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Der Kampf einer jungen Frau gegen das Troll-Forum Kiwifarms – "Falls mir etwas passiert, seid nicht traurig"

05.09.2022, 13:5305.09.2022, 18:54
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Triggerwarnung: Im folgenden Text geht es um das Thema Suizid bei Kindern und Jugendlichen. Das kann belastend und retraumatisierend sein. Bei der Telefonseelsorge findest du 24 Stunden am Tag Hilfe: 0800 1110111.

Kiwifarms – Was ist das denn?

Diese Frage haben sich viele User:innen auf Twitter am Sonntag gestellt. Der Hashtag "Kiwifarms" trendete in Deutschland, nachdem der amerikanische Internetsicherheitsdienst "Cloudfare" die Plattform vom Netz genommen hat.

"Eskalierende Bedrohungen und das potenzielle Risiko für Menschenleben" haben das Unternehmen dazu veranlasst, den Zugriff auf "Kiwifarms" zu blockieren. Warum ist Kiwifarms so gefährlich und wer hat es zu Fall gebracht?

Geballter Hass im Netz gegen trans* Menschen

Kiwifarms ist ein US-amerikanisches Internet-Forum. Aber nicht eines der netten Versionen. Hier stehen organisiertes Gruppen-Trolling, Stalking bis hin zu persönlicher Belästigungen hoch im Kurs. Die Website ist seit fast einem Jahrzehnt online. Ins Leben rief sie Joshua Moon, der sich auf Kiwifarms "Null" nennt. Er gründete die Plattform, um einen Webcomic-Künstler zu "trollen" und zu belästigen. Aber der Hass ist außer Kontrolle geraten.

Kiwifarms gilt als Epizentrum bösartiger Anti-Trans-Belästigungskampagnen. Von dort aus richten Mobber:innen ihren geballten, angsteinflößenden Hass gegen auserwählte Opfer. Drei von ihnen haben sich das Leben genommen.

Symbolfoto: Gestellte Aufnahme zum Thema mobbing in sozialen Netzwerken. Neben dem Gefaellt mir Button von facebook sind die Worte Loesch dich zu sehen. Berlin, 01.03.2019. Berlin Deutschland *** Symb ...
Mobbing im Netz ist zur alltäglichen Praxis geworden.Bild: imago / Thomas Trutschel

Darunter ein populäres Mitglied der Modding-Community – das sind Leute, die Videospiele umprogrammieren. Near, so nannte sich die betroffene Person online, nahm sich im Juni 2021 nach einer jahrelangen Hass-Kampagne das Leben. Der Grund der Hetze waren die Geschlechtsidentität und der Autismus von Near.

"Das Internet ist kein Spiel. Es ist das echte Leben. Ich bin eine echte Person. Das tut verdammt weh", schrieb Near im Juni 2021 auf Twitter. Mit "das" meint Near das jahrelange Mobbing. "Für mich ist es zu spät, aber ich bete, dass jemand irgendwann, etwas gegen diese Website unternimmt."

Circa ein Jahr später soll sich Nears Wunsch erfüllen. "Jemand" fühlt sich berufen, der Plattform den Kampf anzusagen. Eine junge Kanadierin startet eine Kampagne gegen Kiwifarms und riskiert damit ihr eigenes Leben.

Keffals kämpft gegen die Mobbing-Plattform Kiwifarms

Die Internet-Streamerin und trans*Aktivistin Clara Sorrenti, besser bekannt als Keffals, rückt die Machenschaften von Kiwifarms in die Öffentlichkeit. Darauf bricht über sie eine Hasswelle der Trolle ein.

Clara Sorrenti, auch bekannt als Keffals, kämpft gegen die Mobbing-Plattform Kiwifarms.
Clara Sorrenti, auch bekannt als Keffals, kämpft gegen die Mobbing-Plattform Kiwifarms.null / youtube/keffals

Am 5. August muss sie untertauchen. "Ich fürchte mich davor, was auf mich zukommen wird", schreibt sie auf Twitter Mitte August. Sie erhält Drohungen und tief verstörende Nachrichten, die darauf abzielen, dass sie sich das eigene Leben nehmen soll.

Polizei nimmt Sorrenti fest – Polizeichef entschuldigt sich

Am 22. August postet sie eine ernste Botschaft an ihre Follower:innen: "Falls mir etwas passiert, seid nicht traurig. Nehmt es als Motivation, um für eine bessere Welt zu kämpfen." Die mutige Frau will trotz der Hasskampagne durch die Kiwifarms-Mobber nicht aufgeben. Doch dann wird sie in ihrem Versteck gefunden.

Sorrenti berichtet über Twitter, wie sie eines Morgens durch lautes Brüllen aufwacht. Jemand taucht in ihrer Wohnung auf und richtet ein Sturmgewehr auf ihr Gesicht. Vor der jungen Frau stehen schwerbewaffnete Polizist:innen. Einer der Beamt:innen nimmt die Aktivistin in Gewahrsam.

Auf Twitter berichtet Sorrenti über die Festnahme. Jemand von Kiwifarms habe wohl eine E-Mail an Stadträte in London verschickt. Darin gab sich die Person als Sorrenti aus und schrieb, dass sie im Besitz einer illegalen Schusswaffe sei, ihre Mutter getötet habe und vorhabe, zum Rathaus zu gehen und jede Cis-Person zu erschießen, die sie sehe. Das Wort "Cis" steht für cisgender und beschreibt Menschen, die eine mit dem körperlichen Geschlecht übereinstimmende Geschlechtsidentität haben.

Sorrenti sagte in ihrem Video über den Vorfall. "Anstatt, dass die Polizei mir half, terrorisierten sie mich. Sie haben mich schikaniert, weil ich Opfer eines Hassverbrechens geworden bin."

Der Londoner Polizeidienst-Chef Steve Williams entschuldigt sich bei Sorrenti in einem öffentlichen Statement. Er will Wege finden, um sicherzustellen, dass sich so ein Vorfall in Zukunft nicht wiederholt.

Der Internetsicherheitsdienst Cloudflare unternimmt drastischen Schritt

Und die 28-jährige Sorrenti? Sie gibt weiterhin nicht auf. Immer wieder ruft sie den amerikanischen Internetsicherheitsdienst "Cloudflare" auf, Kiwifarms vom Netz zu nehmen. Über die sozialen Kanäle wie Twitter und Youtube setzt die Aktivistin ihre Aufklärungskampagne über die hasserfüllte Website fort – mit zunehmendem Erfolg.

Sorrenti schlägt so hohe Wellen im Internet, dass Medien wie etwa der kanadische Radiokanal CBC und die US-Tageszeitung "Washington Post" über ihren Kampf berichten. Ihre Stimme ist nicht mehr zu überhören – auch nicht mehr für "Cloudflare".

"Wir haben Kiwifarms blockiert", verkündet der Geschäftsführer von Cloudflare, Matthew Prince, am 4. September auf Twitter. Das heißt, wer die Kiwifarms-Website über den Dienst von Cloudflare besuchen will, landet auf einer Sperrseite. Kiwifarms kann laut Prince zwar die Website zu anderen Anbietern verschieben und wieder online gehen, "aber wir haben Schritte unternommen, um den Zugriff auf ihre Inhalte über unsere Infrastruktur zu blockieren."

Weiter sagt er:

"Personen, die die Website für zunehmende Terrorisierung benutzt haben, werden sich noch isolierter und angegriffen fühlen und möglicherweise weiter auf andere losgehen. Es besteht die reale Gefahr, dass wir durch das Ergreifen dieser Maßnahmen heute die Notlage noch verschärft haben."

Kurze darauf geht Kiwifarms wieder über einen russischen Server online.

Trotzdem feiert das Netz den Erfolg von Sorrenti. Diese warnt allerdings in einem öffentlichen Statement: "Die Schlacht ist gewonnen, aber der Krieg ist nicht vorbei." Laut Sorrenti ist das noch nicht das Ende.

"Wenn wir Kiwifarms und ähnliche Communitys beseitigen wollen, müssen wir weiter kämpfen", schreibt die Aktivistin. Denn so eine Art Hassforum könne enorme Ausmaße annehmen. Davor warnt Fredrick Brennan, ein ehemaliger Kollege des Gründers von Kiwifarms.

Kiwifarms als Muster für zukünftige Attacken gegen Regierungsziele

"Diese Art Kiwi-Farm-Ding könnte leicht eine FBI-Agentendatenbank werden", warnt Brennan gegenüber dem US-amerikanischen Medien-Netzwerk "NBC". Er meint, dass diese "Belästigungstechniken" gegen trans*Menschen auch leicht gegen größere Ziele, wie die Regierung eingesetzt werden könnten.

Als Beispiel nennt er das FBI. Die MAGA-Bewegung attackierte zuletzt die US-Bundespolizei, nachdem sie das Anwesen des Ex-US-Präsidenten Donald Trump durchsucht hatte. MAGA steht für Trumps Slogan "Make America Great Again".

Anschließend wurden die Namen der beteiligten FBI-Agent:innen geleakt. Sie und ihre Familie hätten demnach leicht zum Opfer einer gigantischen Hasskampagne werden können.

Kiwifarm als terroristische Gefahr – Ex-FBI Direktor schaltet sich ein

Diese Gefahr erkennt auch Frank Figliuzzu, der ehemalige stellvertretende FBI-Direktor. Am Sonntag bezeichnet er Kiwifarms als terroristische Bedrohung innerhalb Amerikas.

Sorrenti hat den Stein ins Rollen gebracht und damit eine Lawine ausgelöst. Eine Lawine – die nicht mehr zum Stehen kommt. Sonntagnacht verkündet die junge Frau auf Twitter, dass Kiwifarms auch auf dem russischen Server offline ist.

Die Geschichte von Sorrenti zeigt, was eine Community im Internet erreichen kann: geleitet von Hass durch eine einzelne Person wie dem Kiwifarms-Gründer Moon oder eben durch den Mut der jungen Sorrenti aus Kanada.

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