Mit dem eigenen Chef vor laufenden Kameras streiten: Das ist keine Traumvorstellung. Susanne Eisenmann (CDU) durfte diese Erfahrung am vergangenen Montag machen. Im TV-Duell des SWR standen sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) und seine Herausforderin Eisenmann im TV-Studio gegenüber.
Die Krux an der Sache: Eisenmann ist nicht nur Herausforderin. Sie ist als Kultusministerin auch Teil des Kabinetts Kretschmann II. In Baden-Württemberg regiert seit 2016 eine Koalition aus Grünen und CDU das Land. Die Distanz zu ihrem Chef konnte CDU-Kandidatin Eisenmann daher nur bedingt deutlich machen.
Zwar punktete sie in einigen Bereichen: Die Grünen in Baden-Württemberg fordern in ihrem Wahlprogramm, dass bis 2030 die Bürgerinnen und Bürger jeden zweiten Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen sollen. "Ich stelle mir die Oma vor, die 20 Kilometer läuft", erklärte sie und traf damit sicher den Nerv der SWR-Zuschauer, die sich tendenziell eher im Rentenalter befinden. Auch an die "Häuslebauer" appellierte sie, indem sie erklärte, Einfamilienhäuser müssten künftig "als Wohnraum zur Verfügung stehen". Die Grünen hatten zuvor eine Debatte darüber angestoßen, ob Einfamilienhäuser energetisch und platztechnisch vertretbar seien. CDU und CSU hatten der Partei daraufhin unterstellt, sie wollten Einfamilienhäuser künftig verbieten.
Die Debatte verschleierte allerdings das eigentliche Problem der Herausforderin Eisenmann: Es täuschte Waffengleichheit vor. Tatsächlich ist Eisenmann aber nicht nur deutlich weniger bekannt als Kretschmann, der selbst bundesweit zu einem der beliebtesten und bekanntesten Landesväter gehört. Sie ist nicht mal bei den Wählern ihrer Partei sonderlich beliebt.
65 Prozent der CDU-Wähler wollen lieber Kretschmann als Ministerpräsidenten behalten. Nur 22 Prozent wollen laut ZDF-Politbarometer ihre eigene Kandidatin Eisenmann als Ministerpräsidentin sehen. Eine ganz schöne bittere Bilanz für die CDU-Kandidatin in einem Bundesland, das bis 2011 jahrzehntelang so schwarz war, wie es Bayern bis heute ist.
Das hat mit der Beliebtheit des Amtsinhabers zu tun. Es ist aber auch selbstverschuldet. Eisenmanns Bilanz als Kultusministerin ist, nett formuliert, durchwachsen. Die Opposition benutzt andere Begriffe für ihre bisherige Arbeit in Regierungsverantwortung. Der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion Hans-Ulrich Rülke spricht von einer mangelhaften Bilanz der Kultusministerin. Wäre der Landtag ein Klassenzimmer, die FDP hätte Eisenmann eine glatte fünf verpasst und sie nachsitzen lassen.
FDP-Politiker Rülke sagt: "Die Digitalisierungsmöglichkeiten der Schulen bleiben weit hinter den Anforderungen zurück, die digitale Lernplattform selbst bleibt Flickwerk und die Schulen sind nicht ausreichend gerüstet." In den Schulen fehlten Masken oder Luftfilter. Rülke weiter: "Es bleibt der fatale Eindruck, dass die Ministerin auf Zeit spielt und die Mängel an den Schulen in Vergessenheit geraten sollen, wenn die Situation sich wieder entspannt"
Der negative Eindruck verstärkt sich, wenn man mit Betroffenen spricht. Von Lehrern in Baden-Württemberg hört man oft Klagen über mangelhaftes Krisenmanagement während der Corona-Pandemie. Eisenmann hatte bereits früh eine Rückkehr zum Präsenzunterricht gefordert – ohne überzeugende Hygiene-Konzepte zum Schutz von Schülern und Lehrern vorgelegt zu haben, so die Kritik.
"Der einzige Grund, warum ich für sie als Ministerpräsidentin stimmen würde, wäre, dass sie dann die Bildungspolitik nicht mehr verhunzen kann", sagt ein Realschullehrer aus dem Schwarzwald gegenüber watson. Andere Lehrer sprechen davon, dass Eisenmann die Lehrkräfte "offensichtlich hasst" und sie deshalb schutzlos zurück in den Präsenzunterricht schicken will. In manchem Lehrerzimmer sollte die Kultusministerin sich in den kommenden Wochen wohl lieber nicht blicken lassen.
Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim sieht kommunikative Versäumnisse bei der Kultusministerin: "Beim Thema Corona-Management hat sie nicht gerade eine glückliche Hand bewiesen." Im Schulbereich sei vonseiten der Eltern, Schüler und Lehrer kritisiert worden, dass Frau Eisenmann zu wenig mit ihnen kommuniziere und kein Konzept für Schulöffnungen habe. Laut Brettschneider werden ihre Kommunikations- und Führungsfähigkeiten infrage gestellt. Keine gute Voraussetzung für eine Frau, die Ministerpräsidentin werden will.
Dabei ist Eisenmann ein "political animal". Mit 16 Jahren trat sie in die Junge Union ein, wurde von Parteifreunden angeblich "Nanni" genannt. Nach dem Studium arbeitete sie bei dem späteren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und EU-Kommissar Günther Oettinger als Büroleiterin. Bis zu ihrem Eintritt in das Kabinett Kretschmann II war sie Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Sport in Stuttgart.
Eisenmann suchte sich dabei auch ihr persönliches Umfeld innerhalb der Partei: Auch ihr Mann Christoph Dahl arbeitete für die CDU-Landtagsfraktion als Sprecher und später für die Landesregierung unter Günther Oettinger. Inzwischen ist er Geschäftsführer der Baden-Württemberg-Stiftung. Er brachte fünf Kinder mit in die Ehe. Eisenmann hingegen hat keine leiblichen Kinder. Sie widmete ihr Leben der Politik und der Partei, wie die "Zeit" jüngst schrieb.
Kritiker würden sagen, sie ist den klassischen Weg der Berufspolitikerin gegangen: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Ihre Tätigkeit in der Politik und in der Nähe des ehemaligen Ministerpräsidenten Oettinger haben ihr ein dichtes Netzwerk innerhalb der Partei ermöglicht. Von Kennern des politischen Geschehens in Stuttgart wird sie gerne als gesellig beschrieben. Sie verfügt in der Landeshauptstadt über das nötige Vitamin B, das nun auch zu ihrer Spitzenkandidatur geführt hat. Im Sommer 2019 hatte sie den deutlich bekannteren Innenminister Thomas Strobl, der sie einst ins Kabinett geholt hatte, im parteiinternen Rennen ausgestochen.
Doch das war vor Corona. Seit dem Sommer 2019 ist viel passiert. Susanne Eisenmanns viel kritisiertes Krisenmanagement und ihre Fehler im Bildungsbereich sind nicht die einzigen Kritikpunkte, die vorgebracht werden. Auch die Kampagne der CDU zur Landtagswahl bot einiges an Angriffsfläche. Slogans wie: "Wollen wir nicht alle beschützt werden?" wirkten unfreiwillig komisch und machten sie zum Gegenstand gehässiger Tweets.
Laut Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider wiegen diese "handwerklichen Fehler" der CDU-Kampagne jedoch weniger schwer als die "strategischen". Eine Kampagne, die auf die Spitzenkandidatin zugeschnitten ist, ist Brettschneider zufolge schlicht der falsche Weg bei einer Kandidatin, die selbst bei den eigenen Wählern unbeliebt ist. "Besser wäre es, den Grünen bei Themen Alternativen entgegenzustellen. Das müsste vor allem bei Themen gemacht werden, bei denen der CDU generell Kompetenz zugeschrieben wird: Innere Sicherheit oder Wirtschaft", so Brettschneider.
Auch sei es ein Fehler von Susanne Eisenmann gewesen, sich Ende vergangenen Jahres gegen die Linie von Angela Merkel zu stellen, so Brettschneider. Eisenmann sprach sich für eine schnellere Öffnung der Schulen aus, was indirekt einer Kritik an den Corona-Maßnahmen der Kanzlerin gleichkam. Zum damaligen Zeitpunkt keine populäre Position, die den Eindruck vermittelte, man sei sich nicht einmal innerhalb der Partei einig.
Wie wird es nun ausgehen am 14. März? Laut aktuellen Umfragen liegt die CDU in Baden-Württemberg bei ungefähr 28 Prozent. Das ist nicht schlecht, 2016 bekam die Partei bei der Landtagswahl 27 Prozent der Stimmen. Zwar hat sie sich seither nicht nennenswert verbessert. Sie hätte aber als Juniorpartner auch nicht sonderlich gelitten, sollte das Wahlergebnis den Umfragewerten entsprechen. Keine Selbstverständlichkeit, wie die SPD auf Bundesebene weiß.
Allerdings droht der CDU Gefahr von ungewohnter Seite: Der bisherige "natürliche Koalitionspartner" der Union, wie die FDP von einigen Spitzenpolitikern der Christdemokraten gerne genannt wird, könnte durch die eigene Stärke zum Ende von Grün-Schwarz führen. Die Stärke der Liberalen – die aktuell Umfragewerte um die 10 Prozent haben – bietet nämlich neue rechnerische Möglichkeiten. Zusammen mit SPD und Grünen könnte die FDP eine Ampel-Koalition formen und damit die CDU in die Opposition verweisen.
Laut Informationen verschiedener Medien liebäugeln auch die Grünen auf Landes- wie auf Bundesebene mit einem Ampel-Bündnis. So sei auch das Verhältnis zwischen dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann und dem Fraktionschef der FDP im Landtag, Hans-Ulrich Rülke, inzwischen entspannter geworden. Der "Spiegel" berichtet, man habe sich sogar angenähert. Zuvor galt Rülke als Hardliner, der das größte Hindernis einer Ampelkoalition darstellen könnte.
Für die CDU und Susanne Eisenmann könnte die Wahl am 14. März zur Zitterpartie werden. Schafft sie es, aus dem Schatten Winfried Kretschmanns herauszutreten oder macht sie sich zumindest als Koalitionspartnerin unverzichtbar? Falls nein, könnten es harte fünf Jahre in der Opposition werden, wie zwischen 2011 und 2016, als Grüne und SPD im Südwesten regierten.
Vielleicht wäre das aber auch eine Chance für die CDU Baden-Württemberg, sich personell zu erneuern und zu alter Stärke zurückzufinden. 2026 werden die Grünen sehr wahrscheinlich nicht mehr auf den heute 72-jährigen Kretschmann vertrauen können.