Russische Soldaten bei einer Parade in einem Panzer mit dem Zeichen "Z" – ein Symbol des russischen Angriffskrieges.Bild: imago images / imago images
Analyse
Präsident Wladimir Putin setzt auf die bekannten Instrumente des Faschismus: Erniedrigung, Brutalität und Angst.
03.08.2022, 10:2603.08.2022, 10:34
Philipp Löpfe / watson.ch
Angenommen, ein Zeitreisender aus den Dreißigerjahren käme heute nach Moskau, er würde sofort die Parallelen zu Nazi-Deutschland erkennen: Das Z-Symbol, die Propaganda der Medien und die offensichtliche Unterdrückung sind nicht zu übersehen.
Für den Historiker und Yale-Professor Timothy Snyder sind die Parallelen ebenfalls offensichtlich. In einem Gastkommentar in der "New York Times" hielt er daher kürzlich fest:
"Die Ähnlichkeiten (zwischen Hitler und Putin) sind verblüffend. Der Kreml bezeichnet die Ukraine als einen künstlichen Staat, dessen jüdischer Präsident nicht real sein könne. Sobald die Elite einmal entfernt sei, so Putins Überlegungen, werden die Massen die russische Herrschaft freudig anerkennen."
Hitler wollte bekanntlich die Ukraine in eine riesige Brotkammer und ihre Bewohner in Sklaven für das deutsche Herrenvolk verwandeln. Heute behindert Putin den Export von ukrainischem Getreide.
Historiker Timothy SnyderBild: imago-images
Die Russen geben vor, die Ukraine von "Nazis" zu befreien.
Wie soll das gehen, wenn sie selbst Faschisten nachahmen? "Wenn Faschisten andere als 'Faschisten' bezeichnen, dann dehnen sie den Kult der Unvernunft ins Extreme", stellt Snyder fest. "Es ist der finale Punkt, an dem die Realität von Propaganda unterlaufen wird. (…) Andere Faschisten zu nennen und selbst ein Faschist zu sein, ist die Essenz von Putins Verhalten."
Erniedrigung und Aggressionen dominieren Leben in Russland
Peter Pomerantsev ist ein in Großbritannien aufgewachsener Russe. In den Nullerjahren hat er als TV-Produzent in Moskau gearbeitet und dort die Praktiken von Putins Propaganda am eigenen Leib erfahren. In seinem Besteller "Nichts ist wahr und alles ist möglich" hat er diese Praktiken ausführlich beschrieben.
Auch Pomerantsev hebt die eklatante Widersprüchlichkeit der russischen Propaganda hervor. So stellt er in einem ebenfalls in der "New York Times" veröffentlichten Gastkommentar fest:
"Der russische Präsident möchte die Welt glauben machen, sein Land werde geleitet von einer einheitlichen Vorstellung von Stolz auf seine Kultur und von konservativen Werten, vom Glauben an Außergewöhnlichkeit und gewollte Isolation. In der Realität jedoch verfügt Russland über keine kohärente Ideologie, es ist bloß eine chaotische Ansammlung von Widersprüchen, von Sowjet-Nostalgie und kultureller Arroganz, welche das russische Reich verherrlicht."
Ort des Grauens, die Stadt Butscha bei KiewBild: dpa / Rodrigo Abd
Pomerantsev betont auch die wichtige Rolle, welche die Erniedrigung der Menschen im System Putin spielt. "Mr. Putin liebt es, beide Seiten des Erniedrigungs-Dramas zu spielen", stellt er fest. Und weiter:
"Vom Ressentiment des russischen kleinen Mannes bis hin zur Scharade von Peter dem Großen. Das erlaubt ihm, an das tief sitzende Ressentiment der Russen, erniedrigt worden zu sein, zu appellieren und gleichzeitig dafür kompensiert zu werden. Putin zapft damit das Gefühl von Erniedrigung und Aggression an, welche das Leben in Russland dominiert."
Die Gräueltaten von Butscha und die Berichte von systematischen Vergewaltigungen durch russische Soldaten sind so gesehen keine Ausnahmen. Sie haben System. Die zuvor selbst erniedrigten Soldaten stärken damit ihr Selbstbewusstsein. "Jemanden zu erniedrigen bedeutet, Macht über ihn auszuüben, indem man ihm das Gefühl gibt, wertlos und von einem abhängig zu sein", so Pomerantsev.
Russland als Symbol einer unglücklichen Familie
Der Roman "Anna Karenina" von Leo Tolstoi beginnt mit dem legendären Satz: "Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich." Pomentantsev spricht vom russischen Reich ebenfalls als einer Familie, einer "zutiefst unglücklichen und gewalttätigen Familie, in der sich Traumata auf Traumata stapeln".
Diese Traumata können nur überwunden werden, indem andere Menschen sadistisch gequält werden. "Mr. Putins Manipulation des Zirkels von Erniedrigung und Aggression ist ein integraler Bestandteil der psychologischen Methode, mit der er Russland im Griff hat", so Pomerantsev. "Damit kann er gleichzeitig die Opposition im eigenen Land kriminalisieren und an das Gefühl appellieren, solidarisch gegen den Westen zu kämpfen."
Auch der "Economist" befasst sich in seiner jüngsten Ausgabe mit dem russischen Faschismus. Es zitiert dabei Boris Nemtsow, den 2015 ermordeten russischen Oppositionspolitiker. Dieser hatte kurz vor seinem Tod gewarnt: "Russland verwandelt sich rasch in einen faschistischen Staat. Wir haben bereits eine Staatspropaganda, die sich an Nazideutschland orientiert. Das ist erst der Anfang."
Nemtsow sollte Recht erhalten. Heute lässt Putin die Schriften von Iwan Ilyin verteilen, einem glühenden russischen Faschisten, der 1954 im Schweizer Exil verstorben ist und dessen sterbliche Überreste 2014 nach Russland überführt wurden. Er lässt Alexander Dugin gewähren, der offen für einen modernen Faschismus plädiert.
Hetzt auf sozialen Medien: Dmitri MedwedewBild: Imago-images / Ramil Sitdikov
Und Putin hat kein Problem damit, wenn Dmitri Medwedew, der ihn ein paar Jahre lang pseudo-mässig als Präsident ersetzt hat, auf den sozialen Medien Botschaften verbreitet wie: "Ich hasse sie (die Ukrainer und die Menschen im Westen.) Sie sind Bastarde und Degenerierte. Sie wollen alle Russen töten. Ich werde alles unternehmen, um sie zum Verschwinden zu bringen."
Der "Economist" zieht eine deprimierende Schlussfolgerung aus seiner Analyse des russischen Faschismus. "Sobald der Krieg vorbei ist, wollen einige im Westen so rasch wie möglich wieder zum Business as usual übergehen", lautet sie. "Doch mit einem faschistischen Russland wird ein richtiger Friede nicht möglich sein."
Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) muss letzte Woche im Bundestag wohl eine große Enttäuschung gewesen sein. Er hatte sich auf eine Debatte mit seinem Erzfeind und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingestellt. Dieser fehlte aber spontan aufgrund eines Defekts an einem Regierungsflugzeug und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) musste für ihn einspringen.