Kostenlose Bürgertests ade.
Wenn es nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geht, sollen die meisten Bürgerinnen und Bürger ihre Corona-Tests nach dem 30. Juni wieder selbst zahlen. Dann sollen sie 3 Euro pro Test kosten. Und das, während die Infektionskurve unbeirrt weiter steigt. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz am Freitagmorgen mit 618,2 an.
Besucherinnen und Besucher von Krankenhäusern, Pflegeheimen oder großen Veranstaltungen sowie Menschen, die Krankheitssymptome haben, sollen jedoch weiter gratis getestet werden.
Mit Kosten von bis zu einer Milliarde Euro pro Monat seien die Tests zu teuer, meinte Lauterbach. Doch das sei nicht alles: Die Tests sollen auch sinnvoller als bisher eingesetzt werden.
Lauterbachs neue Strategie stößt nicht nur auf Zustimmung, außerhalb und innerhalb der Koalition. So kritisierte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen am Mittwoch, ebenfalls im Interview mit dem Deutschlandfunk:
Die Gratis-Tests hätten uns in Deutschland vor vielen Infektionsketten bewahrt – eine breit angelegte, kostenfreie Teststrategie sei auch im kommenden Herbst vonnöten.
Ähnlich sieht es die Oppositionspolitikerin Kathrin Vogler (Linke). Auf watson-Anfrage sagt die gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion: "Die Bundesregierung muss den Daten-Blindflug bei den Corona-Infektionen sofort beenden."
Die Tests müssten weiter kostenfrei sein. Vogler sagt:
Nur wenn möglichst viele Menschen anlasslos getestet würden, sei es möglich, symptomlose Verläufe zu erkennen. Mit PCR-Testungen bei positiven Schnelltests sollten die offiziellen Statistiken dann das Infektionsgeschehen verlässlich abbilden können. Vogler pocht zudem auf anlasslose PCR-Tests wie in Österreich.
Ganz anders sieht es der gesundheitspolitische Sprecher der größten Oppositionsfraktion. Auf watson-Nachfrage antwortet Tino Sorge (CDU): "Die milliardenteuren, anlasslosen Testungen müssen beendet werden. Das Missbrauchspotenzial durch dubiose Teststellen ist viel zu hoch." Sinnvoller seien gezielte und anlassbezogene Testungen. Als Beispiele nennt er konkrete Symptome, aber auch besonders gefährdete Einrichtungen wie Pflegeheime. Ungezielte Massentestungen hingegen seien nicht zielführend.
Christine Aschenberg-Dugnus, die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, verweist auf die öffentliche Expertenanhörung zum Thema kostenloser PCR-Bürgertests. Eine Massentestung mit diesen sensiblen Tests – also nicht den Antigen-Bürgertests – ergebe laut den Experten aktuell keinen Sinn. Aschenberg-Dugnus sagt:
Selbstverständlich müsse die vulnerable Gruppe durch Tests geschützt werden – ebenso sollten Menschen mit Symptomen weiterhin einen Anspruch auf einen Test haben. Aschenberg-Dugnus wirbt allerdings auch dafür, sich an den Zahlen des Robert-Koch-Instituts zu orientieren: "Laut Schätzungen sind über 90 Prozent der Bevölkerung durch Infektion oder Impfung bereits mit dem Virus in Kontakt gekommen."
Einer Studie zufolge sei die Fallsterblichkeit auch drastisch gesunken (von 4,5 auf 0,1 Prozent).
Die FDP-Politikerin findet es wichtig, dass auch solche Ergebnisse mit der Bevölkerung geteilt werden. Gebraucht würde eine transparente Kommunikation. Sie sagt: "Angst und Panik vor Covid waren und sind nicht ratsam."
"Am Sinn der Tests gibt es keinen Zweifel", erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Heike Baehrens, auf watson-Anfrage. Die Tests würden dabei helfen, einen aktuellen Überblick über das Infektionsgeschehen zu behalten. Gleichzeitig verhinderten sie viele Infektionen.
"Je eher man weiß, dass man sich infiziert hat, desto weniger Menschen steckt man an. Darum ist es in unserem Interesse, eine gut erreichbare Test-Infrastruktur aufrecht zu erhalten", sagt sie.
Deshalb sei es im Interesse der Regierung, eine gut erreichbare Test-Infrastruktur zu erhalten. Es sei aber auch gerechtfertigt, "die Länder an der Finanzierung zu beteiligen, wie es vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gefordert wird." Baehrens hofft auf eine Einigung mit den Ländern über die Aufteilung der Kosten. Sie stellt klar: "Der Bund wird auf jeden Fall weiterhin einen Teil der Kosten übernehmen."
Für den Epidemiologen Timo Ulrichs ist hingegen klar: Auch wenn sie teuer sind und nicht flächendeckend genug genutzt würden – im Herbst könnten die Tests noch einmal wichtig werden.
Auf watson-Anfrage sagt er: "Tests kostenpflichtig zu machen, würde bedeuten, dass viele Menschen diese zusätzliche Maßnahme nicht durchführen."
Die kostenlosen Bürgertests seien ein wichtiges Kontroll- und Messinstrument gewesen. Er meint: "Auch bei der Überwachung der Infektionsdynamik wird es wichtig sein, die Beobachtungsbedingungen gleich zu halten."
Ulrichs sieht die flächendeckende Teststrategie auch weiterhin als unumgänglich: "Wir hatten ja schon einmal den freien Zugang zu Testungen eingeschränkt, und die Nachteile waren sehr groß. Wir sollten diese Investition fortführen und alle Tests nach wie vor kostenfrei anbieten ." Getestet zu sein, solle wieder eine Voraussetzung etwa für den Zugang zu Veranstaltungen oder zu Innenräumen sein.
Vor den Beratungen mit Lauterbach am Donnerstag erneuerten die Vertreterinnen und Vertreter der Länder zudem ihre Forderungen nach einer raschen Neufassung des Infektionsschutzgesetzes zur Vorbereitung auf den Herbst. Dies müsse noch vor der Sommerpause geschehen, damit man auf mögliche Herbstszenarien gut vorbereitet sei.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte: "Die derzeitige Entwicklung zeigt, wie schnell Änderungen im Infektionsgeschehen auftreten können, und dann müssen wir handlungsfähig sein." Der Instrumentenkasten, unter anderem mit Maskenpflicht in Innenräumen, Personenobergrenzen bei Veranstaltungen, 2G- und 3G-Regelungen, müsse, mit entsprechender Rechtsgrundlage im Infektionsschutzgesetz, einsatzbereit sein.
Das Bundesgesundheitsministerium geht für den kommenden Herbst, laut einem internen Papier, das die Bild am Mittwoch veröffentlichte, von drei möglichen Szenarien aus:
Das zweite Szenario gilt im Bundesgesundheitsministerium als das wahrscheinlichste. "Dabei wäre – ohne weitere Maßnahmen zu ergreifen – von ca. 1500 Corona-Toten pro Woche auszugehen", wie es im Papier heißt.
Das ideale Szenario wäre wohl, diese Zahl mit einem entsprechenden Fahrplan für den kommenden Corona-Herbst zu verhindern.
(mit Material von dpa und afp)