Die Kontroverse um die Nachfolge der verstorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg wird zum Wahlkampfaufreger in den USA.
US-Präsident Donald Trump will noch in dieser Woche bekannt geben, wen er für die Nachfolge nominieren will – und mit der raschen Entscheidung die USA auf Jahrzehnte prägen. "Ich denke, es wird Freitag oder Samstag sein", sagte Trump am Montag dem Sender Fox News. Er fügte hinzu, er werde bis nach der Beisetzung warten.
Doch jetzt muss Trump um die notwendige Unterstützung des Senats für eine rasche Neubesetzung am Obersten Gericht bangen. Am Wochenende sprach sich eine zweite Senatorin von Trumps Republikanern gegen eine Abstimmung über die Ginsburg-Nachfolge noch vor der in rund sechs Wochen anstehenden Präsidentschaftswahl aus.
Zum Hintergrund: Die Verfassungsrichter werden zwar vom Präsidenten nominiert, doch der Senat muss zustimmen. Sie werde kein Senatsvotum über die Nachfolgerin oder den Nachfolger Ginsburgs "so kurz vor der Wahl" unterstützen, erklärte die Senatorin Lisa Murkowski aus dem Bundesstaat Alaska. Zuvor hatte sich bereits die republikanische Senatorin Susan Collins aus Maine gegen das von Trump gewünschte schnelle Votum gestellt. Beide Senatorinnen gehören dem moderaten Parteiflügel an. Wackelt Trumps großer Richter-Plan jetzt?
USA-Experte Thomas Jäger von der Universität zu Köln sieht die Republikaner "vor einer ganz verzwickten Entscheidung": Sollen sie jetzt im Hauruck-Verfahren die begehrte sechste konservative Richterin durchsetzen oder damit bis nach dem 3. November warten?
Eigentlich könnten sich Präsident und Senat bis Mitte November Zeit lassen und dann nach den Wahlen, aber vor der Einsetzung des neuen Senats abstimmen, erklärt Jäger gegenüber watson. "Dann ließe sich mit der Ernennung der Richterin für den Supreme Court noch Wahlkampf machen. Und die konservative Basis wird das ganz sicher mobilisieren", sagt Jäger. "Aber was ist, wenn Trump die Wahl verliert?"
Trump sei zwar sowieso bis 20. Januar im Amt, so dass er bis dahin auch Kandidaten für das Oberste Gericht nominieren könnte, sagt Jäger. "Aber würde der Senat zwischen Wahl und Neu-Konstituierung abstimmen? Diejenigen, die jetzt gegen eine Entscheidung sind, obwohl die Republikaner die Mehrheit haben und auch dafür gewählt wurden, Richter zu bestimmen, werden dann auch dagegen sein", gibt Jäger zu bedenken.
Dem US-Präsidenten bleibt daher nur eine Wahl: "Deshalb muss Trump jetzt Druck machen, weil die Ernennung von drei Supreme Court Richtern aus Sicht seiner Anhänger ein überwältigender Erfolg ist, der vieles vergessen lässt", so Jäger.
Doch hat Trump überhaupt den nötigen Rückhalt unter den republikanischen Senatoren, um die Ernennung durchzubekommen?
"Insgesamt gibt es vier bis fünf Wackelkandidaten unter den republikanischen Senatoren", sagt Jäger. Zwei Senatorinnen hätten ihre Entscheidung bereits kundgetan – was nicht heißt, dass sie es sich nicht doch noch mal anders überlegen könnten, merkt der USA-Experte an.
Der USA-Experte schätzt Trumps Chancen in Prozentzahlen daher sehr hoch ein.
Warum die Senatoren dem Experten zufolge so abstimmen werden? "Es ist weniger die Wirkung auf den Präsidenten, als die auf die eigenen Anhänger, die am Ende ausreichend Senatoren zur Zustimmung bewegen werden", so Jäger.
"Wenn es aber anders kommt, wird Trump die RINO-Keule schwingen." Als RINO bezeichnet man Republikaner, die sich zwar so nennen, aber eher rotlackierte Demokraten sind (Rot ist die Farbe der Republikaner). "Dann wird Trump innerparteilich zum Aufstand gegen die eher moderaten Republikaner aufrufen", prognostiziert Jäger. Das hätte schon mittelfristig, nämlich mit Blick auf die nächsten Wahlen zum Repräsentantenhaus 2022, die Wirkung, dass die Republikaner noch weiter ins national-populistische Feld getrieben werden.
Welche Strategie wird Trump also jetzt fahren, damit er seinen Willen doch durchkriegt? "Trump hat ja in der ersten Reaktion schon sanften Druck ausgeübt. Wobei die Betonung auf sanft liegt, denn er weiß, dass er sich hier zurückhalten muss", sagt USA-Experte Jäger. Es werden seiner Einschätzung nach Vizepräsident Pence und andere Senatoren – Cruz, Rubio, Graham – sein, die den Druck hinter verschlossenen Türen hochfahren. Eine Doppelstrategie also.
Bleibt nur die Frage, ob es aus Trumps Sicht nicht geschickter wäre, die Füße ganz stillzuhalten und nicht auf eine rasche Nachbesetzung zu drängen. Schließlich dürfte dieser Schritt bei manchen Wählern der Mitte nicht sonderlich gut ankommen.
Außerdem könnte man den Republikanern eine Doppelmoral vorwerfen. Denn als Anfang 2016 der Konservative Verfassungsrichter Antonin Scalia starb, verweigerte die republikanische Mehrheit dem von Präsident Barack Obama nominierten Kandidaten Merrick Garland sogar eine Anhörung – mit der Begründung, dass es ein Wahljahr sei.
Jäger glaubt jedoch nicht, dass Trump sich zurückhält. "Für Trump ist es wichtiger, den konservativen Wählern einen weiteren Grund zu geben, ihn zu wählen, als Rücksicht auf die zwischen Demokraten und Republikanern schwankenden Wähler zu nehmen." Denn diejenigen, die grundlegend andere Urteile als bisher befürchten – zu Fragen der Abtreibung, der Einwanderung und vieles mehr – wählen Trump sowieso nicht.
Für die rechte Wählerschaft, insbesondere für die wichtigste Wählergruppe Trumps, die evangelikalen Christen, sei die Richter-Ernennung nun "das" Thema, weiterreichend als Pandemie und Arbeitslosigkeit, sagt Jäger. "Und das stimmt ja auch. Die Richterinnen, die jetzt im Gespräch sind, sind um die fünfzig Jahre alt. Werden die ebenso lange leben wie Ruth Bader Ginsburg, sprechen sie bis ins Jahr 2057 Recht. Das sehen viele Trumpwähler als politisch nachhaltigen Erfolg dieser Präsidentschaft an."