Joe Biden (im Vordergrund neben seiner Frau Jill) und Donald Trump mit First Lady Melania nach der ersten TV-Debatte in Cleveland. Bild: ap / Julio Cortez
Analyse
30.09.2020, 15:4830.09.2020, 15:53
Es war das erste der drei TV-Duelle zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden. Und es war aus Sicht vieler Beobachter ein Tiefpunkt: Weil Trump Biden ständig unterbrach, weil beide Kandidaten vor allem einander angegriffen haben, statt über ihr Programm für die kommenden vier Jahre zu sprechen.
Die wichtigsten Fragen nach so einem Duell: Wer hat gewonnen? Wer hat einen Schritt zum Wahlerfolg gemacht? Watson hat über das TV-Duell mit Thomas Jäger gesprochen, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Aus Jägers Sicht hat eher Trump von dem Duell profitiert als Biden. Hier erklärt er, warum:
Der überraschendste Aspekt des Duells
Für Jäger war die Debatte ein "getreues Abbild der politischen Kultur in den USA". Deren Zustand beschreibt er so:
"Man hört sich gegenseitig nicht mehr zu, will gar nicht mehr wissen, was die anderen denken und versucht nur, die eigenen Schlagworte durchzusetzen. Den Parteigängern auf beiden Seiten mag das gefallen haben. Alle anderen werden sich verschreckt abwenden, denn sie haben nichts darüber erfahren, was die Kandidaten in den nächsten vier Jahren vorhaben."
Besonders überraschend war aus Jägers Sicht aber ein anderer Aspekt: Nämlich, wie deutlich sich Joe Biden gegen den linken Flügel seiner eigenen Partei, der Demokraten, positioniert hat:
"Sicher, er wusste, dass Trump ihn als Sozialisten und Marionette der Linken hinstellen wollte. Und Biden nahm ihm sogleich die Möglichkeit, indem er sagte: Ich bin die demokratische Partei. Das war schon sehr vollmundig. Und politisch ist es falsch, denn die Demokraten sind gerade eine Allianz aus Moderaten und Linken, die wenig zusammenhält.
Biden hielt sie jedenfalls heute Nacht nicht beisammen. Denn er sprach sich gegen die wichtige Forderung von Black Lives Matter, die Polizeibudgets zu kürzen, aus, und wies auch noch das klimapolitisch zentrale Vorhaben der linken Demokraten, den Green New Deal, von sich. Dahinter steht die Einschätzung, dass die linken Wähler sowieso nicht für Biden stimmen wollen, aber unbedingt gegen Trump sind und deshalb notgedrungen für Biden stimmen werden."
Das ist laut Jäger allerdings riskant. Denn es könne dazu führen, dass linke Wähler der Demokraten Biden am Ende die Stimme verweigern. Jäger wörtlich:
"Das ist – wenn man die Wahlen von 2016 erinnert – eine riskante Wette. Damals haben Stimmen für die Kandidatin der Grünen, die ohne Chance war, mit den Ausschlag dafür gegeben, dass Hillary Clinton verlor. Zur Mobilisierung der linken Demokraten hat Biden in der Debatte nicht beigetragen, sondern höchstens deren Skepsis ihm gegenüber noch verstärkt."
Wie die Kandidaten aufgetreten sind
Laut Jäger hatte der Demokrat Biden immerhin einen starken Moment – als es um die Coronavirus-Krise ging:
"Die stärkste Szene hatte Joe Biden, als er wegen der vielen Covid-Toten direkt in die Kamera sprach. Da wusste selbst Trump, dass er ihn nicht unterbrechen kann, ohne als völlig verstrahlt dazustehen."
Während des restlichen Duells hat Jäger bei Biden allerdings Schwächen gesehen:
"Es gab auch viele Momente, in denen Biden nach Worten gesucht hat, aus dem Takt kam, wenn auch nur für kurze Momente. Wer einen etwas tattrigen Kandidaten sehen wollte, konnte auch dieses Urteil bestätigen. Und dann gab es den schimpfenden Biden, der Trump einen Rassisten, einen Clown und Putins Schößhündchen nannte. Das wollte er eigentlich vermeiden, weil er präsidentiell rüberkommen wollte, eben als das Gegenteil von Trump."
Trump war aus Jägers Sicht zwar inhaltlich so schwach, wie ihn die US-Amerikaner seit fünf Jahren kennen. Rhetorisch habe der Amtsinhaber aber besser ausgesehen als Biden:
"Trump trat energisch, inhaltlich leer und großsprecherisch auf, also genau so, wie ihn die amerikanische Bevölkerung seit fünf Jahren erlebt. Dass er sich nicht deutlich von den rechtsradikalen Gruppen distanzierte, war erneut nicht verwunderlich. Sie wählen ihn, er weiß das und kann sich zwar nicht zu ihnen bekennen, will sie aber auch nicht verschrecken. Deshalb ging er gleich auf die linken Demonstranten ein anstatt auf die Unterstützung aus rechtsradikalen Kreisen. Überhaupt war Trump schlagfertiger und ist bei vielen für ihn unbequeme Themen rhetorisch abgebogen."
Was das Duell bei Wählern bewirken kann
Aus Jägers Sicht haben TV-Duelle in den USA der Gegenwart für Präsidentschaftskandidaten in erster Linie nicht mehr die Funktion, Wähler zu überzeugen – sondern Wähler aus dem eigenen Lager zu mobilisieren. Jäger sieht auch in dieser Hinsicht einen Vorteil bei Trump.
Er erklärt diese Taktik so:
"Es liegt an der generell etwas niedrigeren Wahlbeteiligung, dass eine höhere Mobilisierung der eigenen Anhänger von 2 oder 3 Prozent den Ausschlag geben kann. 2016 gingen gerade mal 55,7 Prozent der amerikanischen Wählerschaft zu den Präsidentschaftswahlen. Das letzte Mal, dass über 60 Prozent wählten, war 1968. Deshalb ist Mobilisierung mehr als die halbe Miete für jede Kampagne. Und das ist Trump besser gelungen als Biden. Er trat auf wie immer, das sind seine Unterstützer gewohnt. Biden konnte dem nichts wirklich entgegensetzen. In ein paar Tagen sehen wir, ob und wie sich das in Umfragen niederschlägt."
Allgemein habe dieses erste TV-Duell dem Image der Politik in Washington aber eher geschadet. Es sei "keine Reklame für die Demokratie" gewesen. Jäger wörtlich:
"Es ging nie um die Sache und das rhetorische Armdrücken war sprachlich ziemlich flach. Wer sich bisher nicht für den Wahlkampf interessiert hat und aus der ersten Debatte erfahren wollte, wo die Kandidaten stehen, bleibt ratlos zurück. Gut möglich, dass viele auf die Frage, wen sie wählen wollen, nun sagen: keinen von den beiden."
Über den Experten
Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. In seinem Essay
"Das Ende des amerikanischen Zeitalters" schreibt Jäger darüber, was Donald Trumps Außenpolitik nach dem Motto "America First" für Deutschland bedeutet.
(hau/se)
Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) muss letzte Woche im Bundestag wohl eine große Enttäuschung gewesen sein. Er hatte sich auf eine Debatte mit seinem Erzfeind und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingestellt. Dieser fehlte aber spontan aufgrund eines Defekts an einem Regierungsflugzeug und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) musste für ihn einspringen.