Oberflächlich betrachtet war die Ministerpräsidentenkonferenz zur Corona-Politik am Montag ein Misserfolg für Angela Merkel. Was die Bundeskanzlerin eigentlich erreichen wollte: strengere, möglichst bundesweite Regeln zur Eindämmung des Coronavirus, zum Beispiel einen Wechselbetrieb zwischen Präsenz- und Onlineunterricht in Schulen. Was sie bekam: Empfehlungen an die Bürger, ihre Kontakte möglichst noch weiter zu beschränken.
Der Grund dafür war die Verstimmung der Ministerpräsidenten der Bundesländer über das Vergehen Merkels und des Kanzleramts: Laut der "Süddeutschen Zeitung" hatte dessen Leiter Helge Braun den Ministerpräsidenten erst am späten Sonntagabend – wenige Stunden vor der Konferenz und ohne vorherige mündliche Absprache – das Papier mit den Forderungen nach strengeren Maßnahmen zugeschickt. Die Landeschefs reagierten erbost, auch weil etwa für Regeln für Schulklassen ausschließlich die Länder zuständig sind, nicht der Bund. Das Resultat: Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten blockten Merkels Forderungen nach strengeren Regeln ab. Es bleibt im Wesentlichen bei Empfehlungen und Ermahnungen an die Bürger: bitte noch weniger Menschen außerhalb des eigenen Haushalts treffen, auf unnötige Fahrten mit Bus und Bahn verzichten, bitte keine privaten Feiern mehr.
Merkel reagierte am Montagabend bei der Vorstellung der Ergebnisse der Konferenz sichtlich verärgert. Sie machte deutlich, dass sie sich verbindliche Vorschriften gewünscht hätte.
Auf den zweiten Blick hat Merkel aber wieder einmal viel von dem erreicht, was sie wollte.
Vor allem zweierlei hat die Kanzlerin geschafft:
Merkel beweist also seit Beginn der Pandemie etwas, das ihr viele Journalisten und andere politische Beobachter jahrelang abgesprochen haben: Kommunikationstalent. Ausgerechnet im letzten Jahr ihrer Kanzlerschaft trifft sie regelmäßig den richtigen Ton. Bei ihrer Fernsehbotschaft im März war das so, als sie zwei der wohl wenigen Sätze sagte, die von ihr in den Geschichtsbüchern bleiben werden: "Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst." Und es war so, als sie vor wenigen Tagen sagte: "Der Winter wird uns allen noch viel abverlangen."
Mit schönen Grüßen an den abgewählten US-Präsidenten Donald Trump: Es ist definitiv geschickter, die Menschen Mitte November schon darauf einzustellen, dass dieses kein normales Weihnachten sein wird als ihnen ständig vorzumachen, das Virus werde alsbald verschwinden.
Angela Merkel zeigt außerdem im Spätherbst ihrer politischen Karriere noch einmal, dass sie politisch verhandeln kann wie kaum ein zweiter Politiker in Europa. Mitte Oktober, als die Schwimmbäder und Restaurants noch offen waren und Merkel persönlich mit den Ministerpräsidenten über mögliche Einschränkungen verhandelte, kam am Ende ein eher softes Maßnahmenpaket mit Sperrstunden und milden Kontaktbeschränkungen heraus.
Merkel wollte mehr, sie redete in der Diskussion über "Unheil", das Deutschland drohe. Und dann sagte sie: "Dann sitzen wir in zwei Wochen eben wieder hier." Zwei Wochen später saßen sie dann tatsächlich wieder zusammen. Das Resultat war der "Lockdown light", den Deutschland seither erlebt. Sehr gut möglich, dass es diesmal ähnlich kommt.
Die Erfahrung lehrt also: Liebe Schüler, stellt euch schonmal auf Maskenpflicht im Klassenzimmer und Fernunterricht im Wechselbetrieb ein.