Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit einer FFP2-Maske. Bild: Getty Images Europe / Pool
Analyse
08.06.2021, 09:2608.06.2021, 10:10
joana rettig, sebastian heinrich
Schon wieder steht Jens Spahn wegen seines Umgangs mit der Corona-Pandemie in der Kritik. Medienberichten zufolge soll der Bundesgesundheitsminister im Lauf der ersten Corona-Welle 2020 geplant haben, offenbar minderwertige Masken im Wert von rund einer Milliarde Euro an Hartz-IV-Empfänger, Obdachlose und behinderte Menschen zu verteilen.
Kritik und Rücktrittsforderungen vom Koalitionspartner SPD und der Opposition ließen nicht lange auf sich warten. Und das alles kurz nach dem Skandal um Betrügereien in Corona-Testzentren.
Was wird Spahn aktuell vorgeworfen? Und wie berechtigt sind die Vorwürfe, mit denen er seit Monaten zu kämpfen hat? Ein Überblick.
Schlechte Mund-Nase-Bedeckungen für Obdachlose? Die aktuelle Masken-Affäre
Einem "Spiegel“-Bericht zufolge soll Spahn im Mai 2020 trotz einiger Vorwarnungen Masken von verschiedenen Anbietern im Wert von rund einer Milliarde Euro bestellt haben. Die Europäische Kommission hatte dem Bericht zufolge ausdrücklich vor den bestellten Masken gewarnt und sie sogar teilweise aus dem Verkehr gezogen. Spahns Ministerium soll die Masken allerdings in einem extrem abgespeckten Schnellverfahren geprüft haben. Einige sollen gar nicht begutachtet worden sein.
Weil die bestellten Masken aber nach einem so kurzen Prüfverfahren regulär gar nicht verteilt werden durften, soll sich Spahn – so der Vorwurf – eine andere Strategie überlegt haben: Ebendiese Mund-und-Nasen-Bedeckungen sollten Obdachlosen, Hartz-IV-Empfängern und Obdachlosen zur Verfügung gestellt werden. Weil das SPD-geführte Arbeitsministerium laut "Spiegel" die Verteilung stoppte, sitzt die Regierung nun auf Hunderten Millionen Masken fest.
Kritik kam vor allem vom Koalitionspartner SPD. Die beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans forderten den Rücktritt Spahns. „Es ist unwürdig und menschenverachtend, wenn ein Gesundheitsminister Menschen in zwei Klassen einteilt, nämlich die mit Anspruch auf qualitätsgeprüfte Masken und die, für die absolut untaugliche Masken gut genug sind, um ihr Leben eben nicht zu schützen“, sagte Walter-Borjans der "Bild am Sonntag". "Armin Laschet muss sich jetzt der Frage stellen, ob dieses skandalöse Vorgehen von Jens Spahn für eine Partei mit einem christlichen Etikett noch tragbar ist", sagte er mit Blick auf den CDU-Vorsitzenden.
Auf Twitter kursierte der Hashtag #spahnruecktritt. Die Linke twitterte über den Parteiacccount: "#Spahnsinn! Der #Spahnruecktritt ist überfällig." Auch von Grünen und FDP kamen Entlassungsforderungen.
Spahn selbst reagierte mit Kritik am Koalitionspartner SPD – und warf der Partei eine Wahlkampagne vor. Die Masken seien ausreichend geprüft worden, wie er in einem Twitter-Thread erklärt. "Auch ohne EU-Zertifikat haben sie nachweislich alle Eigenschaften, die für den Infektionsschutz nötig sind. Dass einige nun bewusst Obdachlose und Menschen mit Behinderung verunsichern, um Stimmung zu machen, sagt mehr über Zustand der SPD als über Qualität der Masken aus", schreibt er.
Es sei empörend, dass vor einem Wahltag der Vorwurf erhoben wird, die Regierung gehe so mit vulnerablen Gruppen um. Spahn versprach, Informationen über die geplante Maskenverteilung "zeitnah" zu veröffentlichen – und drehte den Spieß sogar um: Die Verteilung an diese Gruppen sei die Idee des von SPD-Politiker Hubertus Heil geführten Arbeitsministeriums gewesen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und CDU-Chef Laschet ergriffen Partei für Spahn. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte dem "Spiegel", das Gesundheitsministerium habe sehr klar dargelegt, warum die Vorwürfe unbegründet seien.
Auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sprach am Sonntagabend gegenüber der ARD von einer parteipolitischen SPD-Kampagne. "Es ist so, dass niemals solche Masken an Pflegeeinrichtungen verteilt wurden und es auch nie vorgesehen war, minderwertige Masken, die nicht den gleichen Infektionsschutz geben wie andere Masken, an irgendwelche Einrichtungen zu verteilen", sagte Ziemiak. "Das ist schlicht nicht wahr."
Zu teurer Mundschutz? Die Maskenaffäre im Winter
Wegen der Verteilung von FFP-2-Masken hatte sich Spahn auch schon früher Kritik anhören müssen – genauer gesagt wegen der kostenlosen Verteilung von FFP-2-Masken.
Damals ging es um den Preis, den Spahns Ministerium auf Wunsch des Ministers an die Apotheken gezahlt hatte, damit sie die Masken in der Weihnachtszeit an besonders schutzbedürftige Menschen verteilen. Sechs Euro bekamen die Apotheken vom Staat pro Maske – bestellten sie selbst aber zu deutlich niedrigeren Preisen.
Im April war Spahn zudem in die Schlagzeilen geraten, weil das Bundesgesundheitsministerium im vergangenen Jahr FFP2-Schutzmasken von der Burda GmbH gekauft hatte. Brisant daran ist, dass der Deal ohne eine öffentliche Ausschreibung zustande gekommen war. Zudem waren Spekulationen um Vetternwirtschaft aufgekommen, weil der Ehemann von Spahn, Daniel Funke, als Lobbyist und Büroleiter der Burda-Repräsentanz in Berlin arbeitet.
Spahn war schon in den Monaten davor wegen mehrerer Probleme bei der Pandemiebekämpfung kritisiert worden.
Schleppender Impfstart, unangenehme Berichte
Die Impf- und Teststrategie des Gesundheitsministers war zu Beginn des Jahres heftig kritisiert worden. Nachdem Anfang des Jahres verschiedene Impfstoffe in Deutschland zugelassen worden waren, startete die Impfkampagne trotzdem nur extrem schleppend.
Auch die Teststrategie startete in Deutschland zumindest holprig. Die versprochenen Antigen-Schnelltests (die zum Beispiel in Apotheken gemacht werden können) waren lange Zeit nicht so einfach zugänglich, wie Spahn das versprochen hatte. Inzwischen sind Tests fast problemlos verfügbar – allerdings musste sich Spahn Kritik anhören, weil die Betreiber mancher Teststationen mutmaßlich Geld vom Staat für Test kassiert haben, die sie nie durchgeführt hatten.
Die Kritik an der Impfgeschwindigkeit ist jedoch inzwischen weitgehend verstummt. Deutschland impft mittlerweile schneller als die USA und Großbritannien – wo auch die Anteil der Covid-19-Toten an der Gesamtbevölkerung bis heute deutlich höher ist.
Spahn wurde in den vergangenen Pandemie-Monaten außerdem Fehlverhalten vorgeworfen, das nicht gerade zu seinen politischen Appellen an die Öffentlichkeit passt. Er hatte an einem Abendessen mit einem Dutzend Unternehmern im Oktober 2020 teilgenommen. Und das, obwohl Spahn am selben Tag die Menschen in Deutschland vor "Feiern" und "Geselligsein" gewarnt hatte. Just am Tag nach dem Abendessen wurde Spahn zudem positiv auf das Coronavirus getestet. Außerdem hatte Spahn bei dem Abendessen um Spenden für seinen Bundestagswahlkampf gebeten – und zwar, laut "Bild", nach Möglichkeit genau 9.999 Euro: ein Betrag, der gerade noch unter dem Betrag von 10.000 Euro liegt, ab dem die Parteien ihre Spender beim Namen nennen müssen.
Unerfreulich für Spahn sind auch die Medienberichte über private Immobilienkäufe. Dabei geht es um eine Villa, die Spahn zusammen mit seinem Ehemann kaufte – und um eine Wohnung, die er von einem mit ihm privat bekannten früheren Pharmamanager erwarb. Dieser Manager wurde danach Geschäftsführer einer Firma, an der das von Spahn geleitete Gesundheitsministerium mehrheitlich beteiligt ist. Über die Geschäfte hatte unter anderem der "Tagesspiegel" ausführlich berichtet. Spahn wiederum wollte daraufhin vom Grundbuchamt wissen, welche Journalisten sich über seine Immobilienkäufe informiert hatten – was die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion Tina Groll als "verstörend" bezeichnete.
Spahns Ansehen hat durch die Vorwürfe offensichtlich gelitten: Anfang des Jahres war der Bundesgesundheitsminister und CDU-Politiker nach Bundeskanzlerin Angela Merkel das zweitbeliebteste Mitglied der Bundesregierung. Laut einem "Spiegel"-Bericht soll sich Spahn vor dem CDU-Parteitag im Januar sogar noch intern erkundigt haben, wie seine Chancen stünden, selbst Parteichef zu werden.
Im aktuellen ZDF-Politbarometer der beliebtesten Spitzenpolitiker ist er nur noch auf Rang sieben, hinter Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.
Rolf Mützenich ist der Fraktionschef der SPD. In zahlreichen Debatten spricht er für seine Partei im Bundestag. Mützenich ist bekannt für seine Friedenspolitik, gleichzeitig half er aber auch bei der Durchsetzung des Sondervermögens für die Bundeswehr.