Aussagen, die in Extrema übergehen, der Schulterschluss mit Autokraten und Demokratiefeinden – der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán macht weltweit gerade wieder Schlagzeilen.
Am Donnerstagabend ruft Orbán in den USA zum Kampf gegen Liberale auf und setzt diese mit Kommunisten gleich. "Wir brauchen eine totale Verteidigung", sagt er in Dallas (Texas) zum Auftakt einer Konferenz Rechtskonservativer, bei der neben Donald Trump auch weitere Vertreter der America First Politik und auch Verschwörungsgläubige Ultrarechte zugegen sind.
Wie gefährlich ist Orbáns Kuschelkurs mit Rechts für die Europäische Union und wie sollte sie darauf reagieren? Ein Überblick:
Die "Conservative Political Action Conference" ist ein regelmäßiges Treffen Rechtskonservativer, bei dem sich auch zahlreiche Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und Verschwörungsideologen versammeln. Bei dem Treffen, das bis Sonntag andauert, wird auch Trump persönlich sprechen.
Orbán ist der erste rechtspopulistische Regierungschef Europas, der bei dieser Konferenz zugegen ist. Bei seiner Auftaktrede spricht er von einem "Kulturkrieg". "Wenn jemand Zweifel hat, ob progressive Liberale und Kommunisten dasselbe sind, fragt einfach uns Ungarn (...) Sie sind das Gleiche. Also müssen wir sie wieder besiegen."
Orbán bezeichnet sich selbst als "altmodischen Freiheitskämpfer" und behauptet, sein Land werde von "progressiven Liberalen" belagert. "Wir brauchen mehr Rangers, weniger Dragqueens und mehr Chuck Norris", sagt er etwa.
Er zeigt sich immer wieder mit Autokraten und Feinden der Demokratie. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro bezeichnete Orban im Februar als seinen Bruder. Mit Donald Trump hegt er, zumindest vor den Kameras, eine innige Freundschaft und auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin fährt Orbán einen Schmusekurs. Der Chinesische Staatspräsident Xi Jinping und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sind ebenfalls autokratische Personas, denen sich Orbán gern nahe sieht.
Laut der Ungarn-Expertin Daniela Apaydin weiß Orbán, dass er "mit Gesichtern mehr punktet als mit Inhalten". Damit meint die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa vor allem die außenpolitische Wirkung des ungarischen Präsidenten.
"Orbán will sich Allianzen aufbauen, die er auf europäischer Ebene verliert", sagt sie im Gespräch mit watson. Allianzen wie etwa das Visegrád-Bündnis, das aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei besteht. Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, liegt dieses Bündnis auf Eis. Denn Ungarn hat mit seinem Abstimmungsverhalten etwa beim Ölembargo gegen Russland oder geplanten Waffenlieferungen Stimmung gegen sich provoziert.
Die Konferenz rechtskonservativer in den USA ist Apaydin zufolge eine Chance für den ungarischen Präsidenten. "Er kann sich hier sehr gut präsentieren und als Inspirationsquelle positionieren."
Orbán habe in der Vergangenheit gezeigt, wie man Wahlen mit Rechtspopulismus haushoch gewinnen kann. "Das kann als Inspiration für die Rechtskonservativen in den USA dienen", erklärt die Ungarn-Expertin. Die Message ist eindeutig: gegen die "liberale Demokratie".
Wie lässt sich das bestehende System ausreizen? Wie kann gegen die "Mainstreammedien" vorgegangen werden? Wie stellt man sich offen gegen die "liberale Elite" in Europa und kommt damit durch? All das habe Orbán in den vergangenen Jahren wie ein Pionier des Rechtspopulismus vorgelebt. Vor allem, wenn es um Migrationsfragen ging.
Erst vor kurzem hat der ungarische Präsident mit einer Rede im rumänischen Baile Tusnad für Aufregung – auch innerhalb Ungarns – gesorgt.
Orbàn hatte auf dem jährlichen Sommer-Camp seiner Fidesz-Partei gesprochen. Dort bediente er sich rassistischer Sprache. Er sagte etwa, dass sich die "europäischen Völker" – anders als Ungarn, Rumänen und Slowaken – "mit den Ankömmlingen von außerhalb Europas vermischen" würden. Das sei eine "gemischtrassige Welt", nicht seine Welt.
Laut Apaydin hat der ungarische Ministerpräsident mit dieser Rede über die Stränge geschlagen. "Man weiß, dass er auf dieser Sommerschule gern provokant auftritt, das wird von seiner Zuhörerschaft auch so erwartet", erklärt sie. "Womit man aber nicht gerechnet hatte, war diese scharfe Wortwahl. Auch in Ungarn nicht."
Nach dem Eklat Orbáns trat seine Vertraute Zsuzsa Hegedüs zurück, worauf der Staatschef wieder zurückgerudert war. "Er hat sich verschätzt und auch nicht damit gerechnet, dass auch aus Ungarn Gegenwind kommen würde."
Kurz nach diesem Auftritt traf sich Orbán mit dem Österreichischen Kanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP. Bei seiner Rede dort hat er die Terminologie angepasst, sprach statt von "Rassen" nur noch von "Kulturen" und "Zivilisationen". "Aber die Message war dieselbe: die Ablehnung von Zuwanderung und einer 'Multikulti'-Gesellschaft", erklärt Apaydin.
Der Kuschelkurs mit Putin könnte für die EU zu einem Problem werden. Orbán sieht sich in der Causa Ukraine-Krieg als neutral, was Expertinnen und Experten weltweit verurteilen. Die Kritik: Wer sich in diesem Krieg neutral verhält, unterstützt damit indirekt den Aggressor.
Auf militärischer Ebene will er sich raushalten. Und damit punktet er auch innenpolitisch. Gleichzeitig positioniert sich Orbán auf politischer Ebene klar als Gegner des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Apaydin sagt, dass hinter einer solchen Politik wirtschaftspolitische Interessen stecken.
Öl und Gas. Und die ungarische Abhängigkeit davon ist hiermit gemeint.
"Das Problem dabei ist, dass er sich mit dieser Haltung die europäischen Partner – nämlich die Visegrád-Staaten – vergrault", erklärt Apaydin. "Jetzt sucht er sich vor allem in Serbien und Österreich neue Gleichgesinnte." Österreichs Kanzler Nehammer bezeichnete Ungarn immerhin bereits als Freund und Partner. Auch wenn es hierbei nur um die Grenzsicherung am Balkan geht. "Bei der ungarischen Haltung zu Russland geht Nehammer einen anderen Weg und hat den Angriff Russlands strikt abgelehnt", sagt Apaydin.
Dass Serbien russlandfreundlich und gleichzeitig abhängig von russischem Gas ist, ist bekannt. Und auch bei Migrationsfragen stehen die drei Staaten auf einer Seite. Ende Juli haben sie eine engere Zusammenarbeit beim Thema Grenzschutz abgekündigt.
Schon seit vielen Jahren gibt es einen Streit zwischen der EU und Ungarn. Dabei geht es um das eine große Thema: die Rechtsstaatlichkeit.
Im Februar hatte der Europäische Gerichtshof geurteilt, dass die EU mit dem sogenannten Rechtsstaatsmechanismus europäische Gelder für Ungarn (und auch Polen) einfrieren darf. Bis es so weit kommt, kann es allerdings noch dauern.
Apaydin meint, der Rechtsstaatsmechanismus ist im Moment der effektivste Hebel der EU, um gegen Ungarns Rechtsruck vorzugehen. "Abgesehen davon trägt Orbáns Kurs momentan dazu bei, die EU handlungsunfähig zu machen." Die Expertin ist dennoch der Meinung, dass sich etwas tut. Und dass das mögliche Einfrieren von Geldern ein geeignetes Mittel sei.
Sie meint:
Dass Ungarn jetzt neben europäischen Bündnispartnern auch zunehmend Netzwerke zu US-Populisten knüpft, bezeichnet die Expertin als allgemeinen Trend. "Es gibt die Tendenz einer Transnationalisierung der Rechtskonservativen. Netzwerke europäischer und US-amerikanischer Populisten werden immer stärker." Diese Bündnisse könnten künftig auch etwa EU-Wahlen beeinflussen.
Die "Conservative Political Action Conference", auf der Orbán von der "totalen Verteidigung" gegen Liberale spricht, zeige diesen offensichtlichen Beginn eines Netzwerks, das bereits seit längerem vorbereitet wurde.
(Mit Material von dpa)