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Waffenruhe in Gaza: Experte erklärt, wie fragil der Trump-Frieden ist

A man carries a child injured in an Israeli strike in Khan Younis, Gaza Strip, Wednesday, Oct. 29, 2025. (AP Photo/Jehad Alshrafi)
Die Zivilbevölkerung im Gazastreifen kann sich des Friedens aktuell nicht sicher sein.Bild: AP / Jehad Alshrafi
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Frieden auf Bewährung: So fragil ist die Waffenruhe in Gaza

Nach heftigen israelischen Luftangriffen mit über hundert Toten soll im Gazastreifen wieder Ruhe einkehren. Israel und die Hamas bekräftigen ihre Zusage zur Waffenruhe. Doch Expert:innen warnen: Der Stillstand beruht weniger auf Vertrauen als auf Druck – und könnte jederzeit wieder kippen.
29.10.2025, 20:0129.10.2025, 20:01

Die Waffen sollen wieder schweigen, vorerst. Nach nächtlichen Luftangriffen, bei denen laut palästinensischen Behörden über hundert Menschen starben, hat Israel angekündigt, die Waffenruhe im Gazastreifen wieder einzuhalten. Auch US-Präsident Donald Trump zeigt sich demonstrativ zuversichtlich: "Nichts wird die Waffenruhe gefährden", erklärte er auf seiner Asienreise. Doch die Realität im Nahen Osten lässt sich selten mit politischen Parolen befrieden.

Nur kurz hielt die groß zur Schau gestellte Waffenruhe. In der Nacht auf Mittwoch flog Israels Armee Dutzende Luftangriffe – nach eigenen Angaben lediglich als Reaktion auf Verstöße der Hamas. Mindestens 30 Kommandeure sogenannter "Terrororganisationen" seien zuvor angegriffen worden, heißt es aus Tel Aviv. Die Hamas wiederum meldet über 100 Tote, darunter zahlreiche Kinder.

Premierminister Benjamin Netanjahu sprach von einer notwendigen Antwort auf den Tod eines israelischen Soldaten im Süden des Gazastreifens. Der 37-jährige Reservist Jona Efraim Feldbaum sei während der geltenden Waffenruhe gefallen. Für Netanjahu war das Grund genug, "intensive Angriffe" zu befehlen. Dafür hagelte es Kritik, etwa von EU-Kommissarin Teresa Ribera: "Wir brauchen eine Chance für Frieden, keine Ausreden für neue Angriffe", schrieb sie auf Bluesky.

Nahost-Experte: Eine Waffenruhe unter Druck, vor allem vonseiten Trumps

Was derzeit in Gaza geschieht, ist weniger ein stabiler Waffenstillstand als ein labiles Gleichgewicht. "Die Waffenruhe ist gestört", sagt der Nahostexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik beim "ZDF-Morgenmagazin". "Die Hamas will sich nicht entwaffnen lassen, die Israelis wollen die Hamas weiter bekämpfen."

Buildings destroyed during Israeli ground and air operations stand in the Gaza Strip, as seen from southern Israel, Wednesday, Oct. 29, 2025. (AP Photo/Ohad Zwigenberg)
Weite Teile des Gazastreifens sind zerstört.Bild: AP / Ohad Zwigenberg

Steinberg hält den Fortbestand des Friedens nur dann für möglich, wenn Washington den Druck auf beide Seiten aufrechterhält. "Der Druck aus den USA ist im Moment noch hoch genug, sodass sich die Lage (heute) beruhigen könnte. Aber die Einschläge werden wahrscheinlich in nächster Zeit näher kommen."

Tatsächlich spielt die US-Regierung unter Donald Trump in dieser Phase eine zentrale Rolle. Der Präsident präsentiert die Waffenruhe als außenpolitischen Erfolg – und zugleich als Beleg seiner Nähe zu Israels Premier. "Sie haben einen israelischen Soldaten getötet, also haben die Israelis zurückgeschlagen. Und sie sollten zurückschlagen", sagte Trump gegenüber Reporter:innen.

Gaza: Netanjahus Kalkül und eine humanitäre Wunde

Anselm Stern, ZDF-Korrespondent in Tel Aviv, beschreibt das Verhältnis so: "Die Frage ist, wie groß dieser Druck sein wird von Trump auf Netanjahu, diese Angriffe wieder zu beenden." Noch bleibt unklar, ob Washington Netanjahu tatsächlich dauerhaft bremsen will oder israelische Gegenschläge stillschweigend billigt.

Während Diplomaten um Formulierungen ringen, bleibt die Lage in Gaza katastrophal. Kliniken sind überfordert mit den Opfern der Luftangriffe. Nach Angaben mehrerer Krankenhäuser wurden allein in einer Nacht mehr als 100 Tote gezählt, darunter Dutzende Kinder.

Nordrhein-Westfalen hat bereits angekündigt, verletzte und traumatisierte Kinder aufzunehmen. "Wir haben alles vorbereitet, um schwer verwundete Kinder in unseren hochspezialisierten Krankenhäusern zu behandeln", sagte NRW-Europaminister Nathanael Liminski (CDU).

Palestinians pray over the bodies of people killed in an Israeli military strike during their funeral at Al-Awda Hospital in Nuseirat, central Gaza Strip, Wednesday, Oct. 29, 2025. (AP Photo/Abdel Kar ...
Beerdigung am Al-Awda-Krankenhaus in Nuseirat am 29. Oktober 2025.Bild: AP / Abdel Kareem Hana

Selbst humanitäre Organisationen geraten in den Strudel der Manipulation. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) verurteilte eine offenbar inszenierte Bergung von Leichenteilen durch die Hamas. Das IKRK-Team sei "ohne vorherige Kenntnis der Umstände" in eine gestellte Szene geraten. Solche Vorfälle nähren das Misstrauen – und zeigen, wie sehr selbst das Leid der Opfer Teil der Propaganda geworden ist.

Experte: Die Hamas versucht, Zeit zu gewinnen

Die Waffenruhe im Gazastreifen ist kein Frieden, sondern ein Zwangsstillstand. Beide Seiten halten sich an sie, solange es politisch opportun erscheint. Die Hamas will, wie Steinberg sagt, "Zeit gewinnen". So will sie einer möglichen Entwaffnung entgehen. Denn ohne Waffen fühle sie sich Israel gegenüber vollkommen wehrlos.

Israel wiederum will nach Meinung des Experten militärisch Stärke zeigen, ohne den Bruch des Waffenstillstands offen zuzugeben. Washingtons Rolle bleibt ambivalent: Trump kann mit einem Telefonat Druck ausüben, aber auch mit einem Satz Eskalation legitimieren. "Er hat in den letzten Tagen Personal geschickt", erklärt Steinberg, "doch die Amerikaner werden nun auch auf Katar und die Türkei zugehen, um auf die Hamas einzuwirken."

Die Waffenruhe zeigt, wie fragil jede Hoffnung auf Frieden im Gazastreifen bleibt: Sie hält. Aber nicht, weil Vertrauen gewachsen wäre, sondern weil der politische Preis eines neuen Krieges derzeit zu hoch ist. Zwischen Entwaffnung, Vergeltung und internationalem Druck hängt die Region in der Schwebe.

(Mit Material von dpa)

Frieden auf Bewährung: So fragil ist die Waffenruhe in Gaza
Nach heftigen israelischen Luftangriffen mit über hundert Toten soll im Gazastreifen wieder Ruhe einkehren. Israel und die Hamas bekräftigen ihre Zusage zur Waffenruhe. Doch Expert:innen warnen: Der Stillstand beruht weniger auf Vertrauen als auf Druck – und könnte jederzeit wieder kippen.
Die Waffen sollen wieder schweigen, vorerst. Nach nächtlichen Luftangriffen, bei denen laut palästinensischen Behörden über hundert Menschen starben, hat Israel angekündigt, die Waffenruhe im Gazastreifen wieder einzuhalten. Auch US-Präsident Donald Trump zeigt sich demonstrativ zuversichtlich: "Nichts wird die Waffenruhe gefährden", erklärte er auf seiner Asienreise. Doch die Realität im Nahen Osten lässt sich selten mit politischen Parolen befrieden.
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