Heute lautet der Vorwurf schnell, diese oder jene Aussage sei rechts. Konnotiert ist diese Unterstellung meist negativ – ebenso wie der gegenläufige Vorwurf, eine andere Meinung sei "links-grün-versifft". So zumindest lesen sich oftmals Diskussionen in den sozialen Medien. Und auch im echten Leben werden andere Meinungen immer wieder abgewiegelt, statt sie auszuhalten.
Aber nicht nur auf Twitter und im Privatleben scheinen sich Lager zu bilden, sondern auch im Parteiensystem. Natürlich ist die Repräsentation unterschiedlicher Meinungen die Pflicht und der Anspruch politischer Parteien. Seit allerdings mit der AfD 2017 eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag eingezogen ist, fällt die Abgrenzung nach rechts stärker aus. Kanzlerkandidat Armin Laschet sagte jüngst im Interviewformat "Brigitte Live": "Mit der AfD wird nicht geredet, nicht koaliert, nicht kooperiert. Jeder aus meiner Partei muss sich daran halten."
Zu sprechen kam der CDU-Chef darauf, weil er auf seinen Parteikollegen Hans-Georg Maaßen angesprochen wurde. Dieser ist in der Vergangenheit schon öfter mit AfD-nahen Positionen aufgefallen und jüngst mit der Forderung nach einer charakterlichen Prüfung von Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in die Schlagzeilen.
Doch nicht nur der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes befindet sich am rechten Rand der Union. Auch manchen anderen Mitgliedern ist die Partei – vor allem in den Jahren unter der Kanzlerinnenschaft Angela Merkels – zu weit abgedriftet von der wertkonservativen Weltanschauung. Aus diesem Grund formierten sich verschiedene Gruppen der Landesverbände in der sogenannten Werte-Union. Diese sieht sich als Vertretung der konservativen Strömung in der Union, ist aber keine offizielle Parteigliederung.
"Konservatismus ist eine politische Weltanschauung, die die Stärken der Tradition hervorhebt, die herrschende politische Ordnung bewahrt beziehungsweise stärkt und die vorgegebene Verteilung von Macht und Reichtum vor Kritik schützt", so definiert die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den Begriff. Die drei wichtigsten Prinzipien seien Identität, Sicherheit und Kontinuität.
Der Politologe Oskar Niedermayer teilt die Annahme, dass die Union weiter nach links gerückt ist. Gegenüber der "WAZ" erklärte er, der Ruck nach links zeige sich darin, dass der Staat mehr reguliere und sich die Partei von manchen konservativen Werthaltungen entferne. Kern der Union seien weiterhin christliche Werte, genauso wie Vorbehalte gegenüber gleichgeschlechtlichen Ehen, Abtreibungen und Sterbehilfe. Nach links zu rücken sei übrigens nach Ansicht des Wissenschaftlers kein unionsspezifisches Phänomen – auch die anderen Parteien hätten sich bewegt.
"Die Gesellschaft ist nach links gerückt", erklärt der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Klaus Schroeder in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Der Wissenschaftler hatte vor einigen Jahren eine Studie zum Thema Linksextremismus durchgeführt. Diese war damals nicht unumstritten, vor allem, weil sie so gelesen werden kann, als wäre ein Großteil der Bevölkerung linksextremistisch eingestellt. Aus diesem Grund hatten die Forscher im Anschluss eine Linksextremismusskala konzipiert. Demnach seien rund vier Prozent der Befragten als linksextrem und dreizehn Prozent als linksradikal einzustufen, berichtet der Tagesspiegel.
Auffällig sei allerdings weiterhin, dass Teile linksextremer Einstellungen und Werte in der Mehrheitsgesellschaft zu finden seien. "Aber generell ist die Gesellschaft nach links gerückt und die Parteien auch. In diese Lücke ist die AfD ja hineingestoßen", sagt Schroeder im Zeit-Interview von 2015. Der Zeitgeist habe sich zuerst unter Willy Brandt nach links verschoben. Unter Helmut Kohl sei die Gesellschaft wieder weiter nach rechts gerückt; mit Merkel deutlich nach links. "Die Leute denken dann zwar links, wählen aber trotzdem Merkel", erklärt der Wissenschaftler der Zeitung "Die Zeit".
Gerade weil die Union unter Kanzlerin Angela Merkel nach links gerückt ist, hat sich die Werte-Union gegründet. Aktuell allerdings steckt die Strömung in einer Krise. Der Grund: die kontroverse Wahl des Ökonomen Max Otte zum neuen Bundesvorsitzenden.
Wie "Merkur.de" berichtete, sorgte diese Personalie sogar dafür, das Hans-Georg Maaßen, der selbst immer wieder wegen AfD-nahen Äußerungen in die Kritik gerät, seine Mitgliedschaft in der Werte-Union ruhen ließe. Mehrere Landesverbände zeigen inzwischen Auflösungserscheinungen.
Auslöser sei Ottes "toxische" Wirkung auf die Wahrnehmung und Akzeptanz der Werte-Union, erklärte der bisherige Vorsitzende Peter Scholze. Otte war noch bis Januar 2021 Kuratoriumsvorsitzender der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung gewesen und habe nach eigenen Angaben vor vier Jahren die AfD gewählt – weil Angela Merkel für ihn keine Option gewesen sei.
Den rechten Flügel der Union bildete lange Zeit die CSU. Sie hatte die Maxime, dass rechts von der Union keine politische Partei Platz haben solle. Urheber dieses Anspruchs war der ehemalige CSU-Chef Franz-Josef Strauß. Die Partei, durch die er sich bedroht fühlte: die Republikaner (eine rechte Partei), die bei der Landtagswahl 1986 im Freistaat aus dem Stand drei Prozent der Stimmen geholt hatten. Eingezogen ins Parlament waren sie damit nicht.
Wie aber "Der Spiegel" damals berichtete, befürchtete Strauß, dass, wenn ein solches Ergebnis schon in Bayern mit der CSU als Kontrahenten möglich sei, es bei der Bundestagswahl ein richtiges Problem werden könnte. Er befürchtete, diejenigen Wähler der CDU und CSU, die am rechten Rand zu verorten sind, seien vernachlässigt worden und deshalb übergelaufen. Eine Annahme, die die Werte-Union, die sich 2017 gründete, auch heute noch teilt.
Dass rechte Meinungen und Einstellung nicht per se etwas "unappetitlich-antidemokratisches" sind, davon ist David Harnasch vom Zentrum Liberale Moderne überzeugt. Er sieht ein Problem darin, die demokratische Rechte durch Begriffspolitik systematisch zu verteufeln. "Ich persönlich grenze 'konservativ' von 'rechts' genau dort ab, wo eben nicht auf den Erhalt – vermeintlich – bewährter Strukturen und Werte hingearbeitet wird, sondern wo – gerne völkisch grundiert – deren Erosion vorangetrieben wird", äußert er sich gegenüber watson.
Das Zentrum Liberale Moderne ist nach eigenen Angaben eine unabhängige Denkwerkstatt. Anspruch sei es, "ein Sammelpunkt für freiheitliche Geister aus allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen" zu sein. "Wir unterscheiden in unseren Publikationen zwischen 'rechts', 'rechtspopulistisch' und 'rechtsextrem', statt alles in einen Topf zu werfen", sagt Harnasch.
Rechtes Gedankengut umfasse laut Harnasch zwar die beiden Unterkategorien "rechtsextrem" und "rechtspopulistisch", könne aber eben auch harmloser Natur sein. Nach Ansicht des Experten müsse stets der Einzelfall betrachtet werden. Wo genau der Unterschied liegt, erklärt er watson so:
Auch heute gibt es eine politische Partei rechts der Union: die AfD, die zumindest in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die bpb ordnet die Partei als rechtspopulistisch ein. Der Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag – Björn Höcke – darf nach einem gerichtlichen Urteil sogar als Faschist bezeichnet werden. Recherchen der Wochenzeitung "Die Zeit" ergaben außerdem, dass es in der Werte-Union Politiker gibt, die als AfD nah anzusehen sind. So habe beispielsweise der ehemalige Vorsitzende Alexander Mitsch der Partei Geld gespendet, andere Werte-Unionisten seien zuvor Mitglieder der AfD gewesen.
Doch das ist nun offenbar vorbei: Der baden-württembergische Vizelandeschef Oliver Kämpf erklärte der dpa, die von Mitsch gegründete Werte-Union gebe es praktisch nicht mehr. "Der Name ist zerstört." In einem Schreiben an den Bundesvorstand heißt es, es sei eine "Annäherung an völkische und nationalistische Themen" zu beobachten. Das laufe dem wertkonservativen und wirtschaftsliberalen Kurs der Landesvorstandsmitglieder zuwider. Nach Kämpfs Worten löst sich die Werte-Union langsam auf, vor allem im Süden Deutschlands habe es zahlreiche Rück- und Austritte gegeben.
"Die Werte-Union ist wie ein totes Pferd, von dem man absteigen muss", sagt Kämpf. Nach seinen Worten hat die Organisation noch etwa 3700 Mitglieder. Die CDU hingegen hat insgesamt rund 400.000 Mitglieder, rund 140.000 sind es bei der CSU. Der Anteil jener, die sich in der stark konservativen Strömung beheimatet fühlen, ist also gering.
(Mit Material von dpa)