Seit Anfang August starren sie von Laternenmasten und riesigen Aufstellern im öffentlichen Raum. Mal knallgrün oder tiefrot, mal im Stil eines klassischen Fotos. Politiker auf Wahlplakaten. Garniert mit Parolen wie "Jetzt faire Mieten wählen" (SPD); "Gemeinsam für ein modernes Deutschland" (CDU) oder "Unser Land kann so viel mehr, wenn man es lässt" (Die Grünen).
Jetzt ist die Wahl vorbei, die Plakate müssen wieder abgenommen werden. Gewinnerin: die SPD. Die Partei, die noch im Mai 2021 laut Umfragen bei 14 Prozent gelegen hatte. Die Verlierer: Die Unionsparteien CDU, CSU sowie die Grünen, die anderen beiden Parteien, die einen Kandidaten und eine Kandidatin ins Rennen um die Kanzlerschaft geschickt haben.
Gemeinsam haben Grüne und Union, dass sowohl der Wahlkampf von Armin Laschet, als auch der von Annalena Baerbock mit kleineren und größeren Pannen gespickt war – unangebrachte Lacher, ein geschönter Lebenslauf. An SPD-Kandidat Olaf Scholz – auch Mr. Teflon genannt – prallte alles ab, was Skandal hätte werden können.
Wie aber lassen sich die Kampagnen der drei Parteien im Nachgang bewerten? Hat die SPD einen so viel besseren Wahlkampf gemacht? Oder lag der Erfolg eher am Unvermögen der anderen? Watson hat mit Politikstrategen und Kampagnenexperten darüber gesprochen. Und über die Must-Haves und No-Gos im Wahlkampf.
Aus Sicht von Politikberater Johannes Hillje war die große Schwierigkeit dieses Wahlkampfes, dass er extrem personalisiert gewesen sei: "Die Frage, wer der oder die neue Merkel wird, spielte eine große Rolle." Die SPD habe es geschafft, diese Personalisierung für sich zu nutzen. Grünen und Union hätten sich damit schwergetan. "Am Ende gewann Scholz den Kampf um die Merkel-Wähler", meint Hillje. Er selbst hat unter anderem den Wahlkampf der europäischen Grünen für die Wahl 2014 gemanagt.
Als Grund dafür, dass der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten das gelungen ist, nennt Kampagnenexperte Julius van de Laar: "Die SPD und Olaf Scholz haben sich ganz früh auf eine Kampagne und auf ihre Strategie geeinigt und sind dieser dann gefolgt." Van de Laar hat unter anderem bei den US-Präsidentschaftswahlkämpfen Barack Obamas mitgearbeitet.
"Sie haben sich von Anfang an auf einen Kandidaten festgelegt und Olaf Scholz als logischen Nachfolgekandidaten Angela Merkels inszeniert", fährt van de Laar mit Blick auf die SPD-Kampagne fort. Außerdem hätten die Sozialdemokraten es geschafft, ihren Wahlkampf nicht nur mit dem Versprechen von Respekt, sondern dem Kandidaten Eigenschaften wie Kontinuität, Weitsicht und Erfahrung zuzuschreiben.
Dass die Zuspitzung der kompletten Kampagne auf einen Kandidaten Erfolg brachte, davon geht auch Bendix Hügelmann aus. Hügelmann ist Politikberater und führt den Blog "Political Influencers", der die Bundestagswahlen 2017 und 2021 wissenschaftlich begleitet hat. Dass die SPD sich in den Umfragen hocharbeiten konnte, liege allerdings nicht nur an der eigenen Kampagne. Hügelmann erklärt: "Die zahlreichen Fehler der anderen Mitbewerber haben hier sicher auch ihren Beitrag dazu geleistet, dass das Narrativ der SPD, 'Scholz = Kompetenz', immer stärker verfing."
"Vorbereitung ist das halbe Leben. Sowohl aufseiten der Grünen als auch im Lager der Union gingen zahlreiche vermeidbare Fehler auf das Konto unzureichender Vorbereitung", erklärt Hügelmann. So habe Baerbock durch die "schlampige Vorbereitung" des Wahlkampfs ihre Glaubwürdigkeit und damit ihr wertvollstes Gut verloren.
Die Union hat es aus Sicht von Bendix Hügelmann nicht geschafft, sich von ihrem späten Start in den Wahlsommer zu erholen. Um den Posten hatten sich CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Armin Laschet gestritten – Laschet ging als Sieger dieses Disputes hervor. Dem Wahlkampf kam das aber nicht zunutze: "Neben der schwachen Performance des Kandidaten blieb die Kampagne auffallend leise. Hier dürfte auch die Agenturauswahl eine Rolle gespielt haben", meint Hügelmann.
Die Union vertraute bei ihrem Wahlkampf auf die Agentur "Serviceplan", die auch schon den digitalen Parteitag organisiert hatte. Allerdings nicht ausschließlich: So stammt der Wahlwerbespot "Deutschland gemeinsam machen" von der Agentur "Thjnk".
Die Grünen haben für den Wahlkampf eine eigene Agentur gegründet: "Neues Tor 1". Der Name ist gleichzeitig die Adresse der Bundesgeschäftsstelle der Partei. Hauptverantwortlich für die Kampagne waren Kurt Georg Dieckert, der bereits die Europawahlkampagne schuf, und Matthias Riegel, der 2016 auch Winfried Kretschmann bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg begleitete.
Die Sozialdemokraten wiederum vertrauten auf die Agentur von Raphael Brinkert – die eigentlich auf Sportmarketing spezialisiert ist, aber auch den Europawahlkampf der CDU geleitet hat. Brinkert selbst war bis 2019 Mitglied der Christdemokraten.
Die Schwäche des Unionskandidaten und die leise Kampagne seien aber nicht die einzigen Probleme, die der Wahlkampf aufgewiesen hatte. Aus Sicht Julius van de Laars hat sich die Union auch verzockt. Er meint: "Die CDU hat den strategischen Fehler gemacht, sich von vornherein auf die Grünen festzulegen." Dieser Fokus auf den wahrscheinlichen Hauptgegner sei natürlich nachvollziehbar gewesen, bei einem Blick auf die Umfragewerte aus dem Frühjahr. Allerdings habe die Union dadurch die SPD nicht auf dem Zettel gehabt.
Einen Fehler hätten aber alle drei Parteien gemacht, davon ist Johannes Hillje überzeugt. "Keiner Partei ist es gelungen, diesem Wahlkampf ein prägendes Thema aufzudrücken", erklärt er. Insgesamt sei es den kompletten Wahlkampf mehr um Performance als um Positionen gegangen: Es sei den Parteien also mehr darum gegangen, wie sie auftraten als darum, was sie sagten.
Als zentralen Erfolgsfaktor sieht Hügelmann die Vorbereitung der Kampagne. "Dies schließt die Auswahl fähiger Köpfe unbedingt mit ein", meint Hügelmann. Insgesamt sei aber auch klar: "Eine Kampagne ist ein komplexes Gebilde, strukturelle Defizite treten in der Regel erst dann zum Vorschein, wenn es eigentlich schon zu spät ist."
Lernen könnten sowohl die Grünen als auch die Union von den Sozialdemokraten, meint Hillje. Aus seiner Sicht hätten die vor allem klare Botschaften, stringente Erzählungen, einen hohen Wiedererkennungswert sowie die parteiliche Geschlossenheit in den Wahlkampf eingebracht. Außerdem meint er: "Die Twitter-Truppen der SPD waren ein Erfolgsfaktor, der bei anderen Parteien fehlte", erklärt Hillje. Insgesamt habe die Community-Mobilisierung der Sozialdemokraten sehr gut funktioniert.
Was Parteien aus Sicht von Hillje in einem Wahlkampf unbedingt vermeiden sollten? "Unklare Botschaften, unverständliche Erzählung, unbeliebter Kandidat, interner Streit und Ignoranz gegenüber sozialen Medien."