Der russische Präsident Wladimir Putin soll auch in Deutschland ein weites Netz an Spionen aufgebaut haben.Bild: www.imago-images.de / imago images
Analyse
26.08.2022, 19:0228.08.2022, 10:34
Agent:innen des russischen Geheimdienstes leben, rekrutieren und morden in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Der Kreml hat ein weltweites Netz gesponnen. Gegenspionage durch den deutschen Auslandsgeheimdienst BND gab es lange nicht. Denn nach den Anschlägen des 11. September 2001 sei die Gefahr, so berichtet der "Spiegel", anderswo gesehen worden.
Seit 2006 häufen sich die mutmaßlichen russischen Geheimdienstaktionen in Europa. Der "Spiegel" erwähnt in seiner Recherche diverse Morde, unter anderem den Tiergartenmord in Berlin 2019, Hackerangriffe, Destabilisierungen, beispielsweise auf der Krim, Industriespionage, unter anderem in Deutschland.
Mit dem Angriff auf die Ukraine hätten die Aktivitäten auch in Deutschland weiter zugenommen.
Der russische Präsident war früher selbst Spion in der DDR, heute hat er ein weltweites Netzwerk an Agenten.Bild: IMAGO/SNA / Mikhail Klimentyev
Der jährliche Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), dem innerdeutschen Geheimdienst, benennt mittlerweile die von russischen Geheimdiensten ausgehende Gefahr sehr deutlich. Der Verfassungsschutz ist zuständig für die Spionageabwehr. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die Cybersicherheit weit nach oben auf die Agenda gesetzt. Deutschland rüstet sich.
Aus dem Innenministerium heißt es auf watson-Anfrage, dass die Aktivitäten der russischen Nachrichtendienste sehr ernst genommen würden. In der Vergangenheit seien Gegenmaßnahmen ergriffen worden. Beispielsweise als im vergangenen April vierzig Diplomaten ausgewiesen worden sind, weil sie russischen Nachrichtendiensten zugerechnet werden konnten.
Innenministerin Faeser zu Besuch bei der Bundespolizei, sie hat Cybersicherheit nun zur Chefinnensache gemacht.Bild: IMAGO/Björn Trotzki / imago images
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärt:
"Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Bedrohungslage durch russische Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe nochmals eine andere Dimension erhalten. Unsere Sicherheitsbehörden sind äußerst wachsam und erfahren."
Daher seien die Kräfte nun gebündelt und die Schutzmaßnahmen hochgefahren worden. Der Verfassungsschutz sei beispielsweise personell aufgestockt worden.
Kiesewetter (CDU): "Russland führt einen hybriden Krieg in Europa"
Für den CDU-Politiker und Geheimdienstexperten Roderich Kiesewetter ist klar: Die größte russische Bedrohung geht von Cyberangriffen und Cybererpressungen, wie auch Sabotage aus.
Er stellt auf watson-Anfrage klar:
"Russland führt bereits seit vielen Jahren einen hybriden Krieg in Europa, der neben Cyberangriffen und gezielter Desinformation auch die strategische Schwächung und Spaltung Europas vorsah."
CDU-Politiker Roderich Kiesewetter fordert eine Neuaufstellung in der Spionageabwehr.Bild: IMAGO/Jürgen Heinrich / imago images
Seit mehr als zwei Jahrzehnten habe es Warnungen aus den osteuropäischen und baltischen Staaten, sowie den USA gegeben. Sie seien ungehört geblieben.
Kiesewetter macht die Gründe dafür an drei Punkten fest:
- Deutschland hing mehrheitlich dem Narrativ an, in Russland einen wirtschaftlichen Partner zu haben. Eine Sicherheitsbedrohung sei nicht wahrgenommen worden.
- In Deutschland fehlt die strategische Kultur, die "die Gesellschaft resilienter in Bezug auf die Einflussnahme ausländischer Staaten und ihrer Einflussvektoren macht".
- Es fehlten die Fähigkeiten, Mittel und zuletzt das Gehör der Nachrichtendienste bei den politischen Entscheidern.
Für die Zukunft müssen die Nachrichtendienste besser für die Abwehr und Aufdeckung hybrider Bedrohungen ausgestattet werden, fordert Kiesewetter. Auch die Gesetze müssten an die Bedrohungslage angepasst werden.
Vor allem sei Kiesewetter wichtig, dass die Gesellschaft für die hybride Bedrohung sensibilisiert werde. Denn: Eine wehrhafte Demokratie hänge auch mit der Resilienz der Bürger:innen zusammen. Russland und China griffen "unser Lebensmodell von Demokratie und Freiheit an".
Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping. Beide führen autokratische Staaten.Bild: imago images/ITAR-TASS / imago images
Entscheidend sei, die politische Bewertung in Deutschland. "Hier muss endlich begriffen werden, dass Russland seine Interessen mit Staatsterrorismus, mit hybrider Kriegsführung und konventionell militärisch durchsetzt", sagt Kiesewetter. Er fordert den massiven Ausbau der Spionageabwehr, die in Deutschland bisher vernachlässigt worden sei.
Konstantin von Notz (Grüne): "Wir waren vielfach unaufmerksam"
Auch der Grünen-Politiker und Geheimdienstexperte Konstantin von Notz wirft Deutschland Versäumnisse in der Spionageabwehr vor. Dem Nachrichtendienst BND könne nur bedingt ein Vorwurf gemacht werden, denn er untersteht dem Kanzleramt. Dort sei "falsche, sicherheitspolitisch naive Politik verfolgt" worden.
"Wir waren vielfach unaufmerksam und haben uns nicht ausreichend um die zahlreichen Hinweise gekümmert", erklärt von Notz auf watson-Anfrage. Die weitreichende Abhängigkeit von russischem Öl und Gas hätte dazu geführt, dass nicht genau hingeschaut worden wäre. Genauso die "naive Hoffnung", dass Wandel durch Handel funktionieren könne.
Geheimdienstexperte Konstantin von Notz (Grüne) fordert, in Zukunft den Blick auf Russlands hybride Bedrohung zu richten.Bild: IMAGO/Christian Spicker / imago images
Aus heutiger Sicht sei es ein schwerer politischer Fehler gewesen, die Gegenspionage nach den Attentaten des 11. September 2001 einzustellen. Nun müsse nachvollzogen werden, welchen Einfluss Russland in den vergangenen Jahren in Deutschland hatte. Von Notz nennt in diesem Zusammenhang auch die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream II.
Wichtig ist es, in Zukunft die deutsche Spionageabwehr neu auszurichten, meint der Grünen-Politiker. Verstärkt in den Blick genommen werden müssten neue hybride Bedrohungen. Genauso wie Diskursverschiebungen mit dem Ziel, die Gesellschaft zu spalten. Außerdem müsse das Know-How der Zivilgesellschaft bei der Erkennung und Abwehr einbezogen werden.
Stephan Thomae (FDP): "Haben es mit erhöhtem Spionageaufkommen zu tun"
Der Geheimdienstexperte der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, erklärt auf watson-Anfrage, dass russische Spione eben nicht unbehelligt blieben. Das werde dadurch deutlich, dass immer wieder russische Agenten in Deutschland identifiziert und ausgewiesen würden.
Thomae fügt an:
"Deutschland ist in der Tat ein wichtiges Ziel für ausländische Geheimdienste, daher haben wir es auch mit erhöhtem Spionageaufkommen zu tun, nicht nur aus Russland, sondern beispielsweise auch aus China. Durch den Krieg in der Ukraine hat sich die Lage nochmal verschärft."
FDP-Politiker Stephan Thomae fordert mehr Geld für die Geheimdienste.Bild: imago images/Future Image / imago images
Aus diesem Grund müsse alles daran gesetzt werden, russische Spione ausfindig zu machen – auch in Zusammenarbeit mit europäischen Partner:innen. Thomae fordert außerdem, über eine finanzielle, wie personelle Stärkung zu sprechen. So könnte Deutschland den wachsenden Herausforderungen gerecht werden.
André Hahn (Linke): "Realistisch betrachtet ist Spionage Alltagsgeschäft"
Der Linken-Politiker André Hahn zeigt sich gegenüber watson skeptisch bezüglich der deutschen Spionageabwehr – auch wenn das BfV behaupte, gut aufgestellt zu sein. Hahn führt aus:
"Ich habe oft Zweifel geäußert, insbesondere bezogen auf den angeblichen 360-Grad-Blick, wonach das BfV umstandslos auch die Spionagetätigkeit von befreundeten Staaten in Deutschland aufklärt. Nun ist Russland zweifelsohne kein befreundeter Staat."
Sollten sich Missstände in diesem Fall erhärten, müsse die Organisation der Spionageabwehr auf die Tagesordnung des für die Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums gesetzt werden.
Der Linken-Politiker André Hahn steht der deutschen Spionageabwehr skeptisch gegenüber.Bild: IMAGO/Andreas Weihs / imago images
Welche Auswirkungen eine Neuausrichtung der Spionageabwehr auf die Beziehungen Deutschlands haben könnte, bleibe abzuwarten. "Realistisch betrachtet ist Spionage sozusagen ein diplomatisches Alltagsgeschäft – leider", sagt Hahn. Es komme aber darauf an, was herausgefunden wurde und welche Bedeutung diesen Informationen beigemessen wird. Bisher könne Hahn keine über das bekannte Maß herausgehende internationalen Erschütterungen erkennen.
Die Bestrebungen, die deutschen Geheimdienste neu aufzustellen, sind also da. Ebenso der neue Blick auf Russland – verbunden mit größerer Vorsicht. Denn: Sowohl Innenministerin Faeser (SPD), als auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) haben die von Russland ausgehende destabilisierende Gefahr mittlerweile benannt.