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Abschiebungen nach Afghanistan: Aktivistin kritisiert Dobrindt scharf

An Afghan girl works in a livestock market ahead of Eid al-Adha, or "Feast of the Sacrifice", in Kabul, Afghanistan, Thursday, June 5, 2025. (AP Photo/Ebrahim Noroozi)
Frauen und Mädchen sind in Afghanistan, unter der Herrschaft der Taliban, weitgehend entrechtet.Bild: AP / Ebrahim Noroozi
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Abschiebungen nach Afghanistan: "Jede Rückführung ist ein Völkerrechtsbruch"

Deutschland schiebt wieder nach Afghanistan ab, trotz Taliban-Herrschaft und Warnungen vor Völkerrechtsbruch. Menschenrechtsorganisationen und Aktivist:innen schlagen Alarm.
15.08.2025, 18:1015.08.2025, 18:11
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Vier Jahre nach der Machtübernahme der Taliban verschärft Deutschland seine Abschiebepolitik, trotz massiver Menschenrechtsverletzungen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem Völkerrechtsbruch, Aktivist:innen vom "blanken Hohn".

Auf dem Berliner Alexanderplatz protestiert Azada Sharifi gegen jede Kooperation mit dem Regime und warnt vor den tödlichen Folgen für Abgeschobene.

Protestcamp Afhghanistan Dobrindt Alexanderplatz Abschiebungen
Berlin: Afg Activist Collective setzt sich gegen die Abschiebe-Politik ein.Bild: azada Sharifi

Amnesty International: Jede Abschiebung ist rechtswidrig

Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International, findet auf watson-Anfrage deutliche Worte zur Afghanistan-Politik der Bundesregierung: "Jede Abschiebung nach Afghanistan ist unter den aktuellen Umständen ein Völkerrechtsbruch." Sie verweist auf das Non-Refoulement-Prinzip, das Rückführungen in Länder verbietet, in denen Folter oder unmenschliche Behandlung drohen. Psychisch Erkrankte seien in Afghanistan zudem völlig ohne adäquate Versorgung.

Besonders schwer wiegt für Amnesty, dass im Juli erstmals über 40 Afghan:innen mit Aufnahmezusage für Deutschland abgeschoben wurden. "Viele werden das nicht überleben. Dafür trägt die Bundesregierung eine Mitverantwortung."

Parallel dazu empfängt Deutschland zwei Taliban-Entsandte als Konsularbeamte. Für Amnesty ist das "blanker Hohn": Denn die Taliban begingen "höchstwahrscheinlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit", darunter geschlechtsspezifische Verfolgung.

Wadephul verteidigt Afghanistan-Politik und Gespräche mit Taliban

Dennoch: Seit Sommer 2025 fanden zwei Sammelabschiebungen nach Afghanistan statt. Dabei wurden 109 afghanische Staatsangehörige zurückgeführt, darunter 56 verurteilte Straftäter. Möglich ist das nur, weil die Taliban-Regierung Identitäten bestätigt und Reisedokumente ausstellt. Direkte Gespräche mit der De-facto-Regierung in Kabul sind dafür Voraussetzung.

Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) verteidigt diese Kontakte als "rein praktisch, aber keine politische Frage": Die Bundesregierung müsse "mit vielen Regierungen und Regimen im Gespräch sein, deren Taten wir nicht gutheißen", sagt er im Interview mit dem "RND".

Gesicht des Protests: Azada Sharifi mit harter Kritik gegen Dobrindt

Azada Sharifi will gegen diese Politik ankämpfen. Sie ist Psychologiestudentin und Teilnehmerin des Protestcamps afghanischer Aktivist:innen, das bis zum 17. August auf dem Alexanderplatz in Berlin stattfindet. Das Camp, organisiert vom Afg Activist Collective, richtet sich auch klar gegen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU).

Dass er Gespräche mit den Taliban führen will, um Abschiebungen zu ermöglichen, empfindet Sharifi als "absolut furchtbar". "Damit sendet er ein Signal der Anerkennung an ein Regime, das Frauen unterdrückt und Andersdenkende verfolgt", sagt sie im Gespräch mit watson. Jede Verhandlung mit den Taliban sorge dafür, dass sie als legitime politische Kraft anerkannt werden. "Das schmerzt all jene, die unter deren Herrschaft leiden."

Azada Sharifi protestiert dieser Tage am Alexanderplatz gegen die Afghanistan-Politik.
Azada Sharifi protestiert dieser Tage am Alexanderplatz gegen die Afghanistan-Politik.Bild: Azada Sharifi

Stimmung in Deutschland: "Angst, afghanische Herkunft zu nennen"

Sharifi sieht nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Deutschland alarmierende Entwicklungen. "Menschen haben mittlerweile Angst, hier ihre afghanische Herkunft zu nennen." Sie berichtet von Beleidigungen auf offener Straße, auch gegenüber sich selbst und Freund:innen. Gründe dafür sieht sie in medial stark aufgegriffenen Gewalttaten einzelner Afghanen und im politischen Diskurs: "Die CDU übernimmt im Migrationsrecht inzwischen Forderungen, die früher von der AfD kamen."

Diese Stimmung treffe auf eine Politik, die humanitäre Verpflichtungen vernachlässige. Auch sie betont die dramatische Lage für Ortskräfte und Menschenrechtsaktivist:innen, denen Deutschland Schutz zugesagt hatte. "Es gibt Fälle von Menschen mit Aufnahmezusage, die aus Pakistan nach Afghanistan abgeschoben wurden. Das Auswärtige Amt sieht nur zu, anstatt zu handeln."

Als problematisch sieht sie auch, dass der Widerstand in Afghanistan gegen die Taliban nicht unterstützt werde. Sharifi erlebe immer wieder, wie afghanische Frauen selbst unter schwierigsten Bedingungen weiter für Menschenrechte kämpfen, etwa auch eine kranke Frau in Pakistan, die trotzdem Texte für Menschenrechte schreibe. "Das berührt mich und zeigt die Stärke des Widerstands", sagt sie.

Vier Jahre Taliban-Herrschaft: Menschenrechte am Abgrund

Seit August 2021 sind Frauen und Mädchen in Afghanistan weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Universitäten und viele Arbeitsplätze bleiben laut UN für Frauen verschlossen. Menschenrechtsorganisationen dokumentieren systematische Gewalt, Zensur und Repression gegen Journalist:innen. Afghanistan liegt auf Rang 175 von 180 im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen.

Afghan girls attend a religious studies class at the Tasnim-e-Nusrat religious education center in Kabul, Afghanistan, Wednesday, May 28, 2025. (AP Photo/Ebrahim Noroozi)
Frauen haben in Afghanistan kaum eine Perspektive. Bild: AP / Ebrahim Noroozi

Zudem ist die humanitäre Krise im Land verheerend: Nach UN-Angaben sind fast 23 Millionen Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, auf internationale Hilfe angewiesen. Jedes dritte Kind ist unterernährt. Drei Millionen Menschen haben ihre medizinische Versorgung verloren, seit die USA ihre Entwicklungshilfe einstellten.

Deutschland hatte im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms zugesagt, besonders gefährdete Afghan:innen aufzunehmen. Darunter viele, die für deutsche Behörden gearbeitet hatten. Doch das Programm ist seit Regierungsantritt von CDU, CSU und SPD gestoppt. Rund 2300 Menschen mit Aufnahmezusage sitzen in Islamabad fest, akut von Abschiebung bedroht.

Amnesty fordert, dass alle Betroffenen "umgehend Visa erhalten und schnellstmöglich einreisen können". Dazu müsse Deutschland Sicherheitspersonal nach Pakistan entsenden, das Programm im Bundeshaushalt absichern und bereits abgeschobene Aufnahmeberechtigte zurückholen.

Laut Amnesty hat sich die Bundesregierung mehrfach gegen Gerichtsentscheidungen gestellt, die den Schutz von Gefährdeten anmahnen. So stellte etwa das Berliner Verwaltungsgericht fest, dass Ortskräfte und Frauen aus Afghanistan konkret "Gefahr für Leib und Leben" ausgesetzt seien.

Sharifi fordert humanitäre Korridore und Unterstützung für Widerstand

Sharifi fordert neben sofortigem Schutz für gefährdete Afghan:innen auch klare politische Signale: "Deutschland muss humanitäre Fluchtkorridore schaffen. Vor allem für Frauen, die unter den Taliban keinerlei Perspektive haben." Sie könnten so sicher nach Deutschland kommen, ohne den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer. "Das wäre ein riesiges Zeichen gegen die Taliban."

Konkret schlägt Sharifi vor: humanitäre Visa, beschleunigte Aufnahmeprogramme und sichere Fluchtrouten über Nachbarländer wie Pakistan oder Iran, möglichst in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie dem UNHCR und per Charterflug. Bürokratische Hürden müssten abgebaut werden, etwa die Passpflicht oder der Nachweis von Dokumenten, die unter den Taliban nicht existieren.

Deutschland solle verbindliche Aufnahmequoten für besonders gefährdete Gruppen wie afghanische Frauen, die Hazara, Menschenrechtsaktivist:innen und Journalist:innen schaffen und eng mit afghanischen Exilnetzwerken und NGOs kooperieren, um Schutzsuchende zu identifizieren. Ohne sich auf die Taliban verlassen zu müssen.

Sie plädiert außerdem für Unterstützung der Widerstandsbewegungen in Afghanistan, die "mit Waffen aus den Achtzigern gegen die Taliban kämpfen". Ohne internationale Hilfe seien sie chancenlos, obwohl sie eben nicht mit den Taliban an der Macht einverstanden seien.

Aktivistin fordert: "Afghanistan nicht vergessen"

"Afghanistan ist nicht so oft in den Medien wie die Ukraine oder Gaza. Aber es ist wichtig, dem Land Aufmerksamkeit zu schenken", sagt Sharifi. Für viele Afghan:innen in Deutschland sei die Angst real, selbst abgeschoben zu werden. "Und wir wissen: Eine Rückkehr kann Folter oder Tod bedeuten."

Für Amnesty und Aktivist:innen wie Sharifi steht fest: Abschiebungen nach Afghanistan brechen internationales Recht und zerstören das Vertrauen derjenigen, die Deutschland einst als Schutzmacht betrachteten.

USA: Tiktok-User erfinden Hashtag, um über Trump-Proteste zu berichten
Donald Trump hat zahlreiche Maßnahmen erlassen, um die Menschen in den USA einzuschränken. Dagegen formiert sich Protest. Um offen über diesen zu berichten, haben Tiktok-User:innen neue Hashtags erfunden.
Neben queeren Personen hat es US-Präsident Donald Trump besonders auf Migrant:innen abgesehen. So versuchte er etwa, das Recht auf Staatsbürgerschaft für in den USA geborene Kinder von Migrant:innen einzuschränken (ein Gericht schob diesem Vorhaben allerdings einen Riegel vor) und ließ die Abschiebungen hochfahren. Dafür wies er die Einwanderungsbehörde ICE unter anderem an, Migrant:innen erneut dahingehend zu überprüfen.
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