Um sich besser auf Extremsituationen einstellen zu können, setzt sich die Behördenallianz mit dem Klimawandel auseinander. Bild: dmp Press / Ralf Roeger
Analyse
21.07.2021, 10:4229.07.2021, 06:40
Mindestens 150 Menschenleben hat Tief "Bernd" auf dem Gewissen. Die Prognose vonseiten der Wissenschaft, dem Deutschen Wetterdienst, Klimaaktivisten und -aktivistinnen: Solche Extremwetterlagen mit Hochwassergefahr wird es in Zukunft häufiger geben. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die Gefährdung schon erhöht, das ist das Ergebnis einer Auswertung des DWD und der Extremwetterkonferenz aus dem vergangenen Herbst.
Diese Überzeugung teilt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Das BBK ist, streng genommen, nur für den Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall zuständig. Amtshilfe leistet das Bundesamt trotzdem – genauso wie Beratungstätigkeiten gegenüber Kommunen und Ländern.
"Die Bewältigung verschiedener Katastrophen kann uns auch im Kriegsfall weiterhelfen und die Vorbereitung auf Krieg für alle anderen Katastrophen – wir nennen das Doppelnutzen", erklärt Abteilungspräsident Wolfram Geier vom BBK gegenüber watson. Er geht davon aus, dass der Klimawandel mit allen seinen Folgen in Zukunft zu vielen Extremwetterlagen führen werde. Um die Bevölkerung dafür zu wappnen, braucht es nach Ansicht des Experten vor allem Aufklärung.
"Wir als BBK haben bereits 2015 ein Handbuch für den Umgang mit Starkregen und Sturzbächen als Empfehlung für alle Kommunen und Bürger herausgegeben", sagt Geier. Die Bundesbehörde habe damit gerechnet, dass sich die Kommunen damit auseinandersetzten. Manche hätten das auch getan, bei anderen hätten aber andere Projekte Priorität gehabt. "Es gibt bisher keine Verpflichtung die Bevölkerung in Sachen Selbstschutz und Selbsthilfe vorzubereiten, nur Empfehlungen", erklärt Geier.
"Wir haben in Deutschland auch keine Verpflichtungen für die Bürgerinnen und Bürger, sich Warnapps zu installieren und zu nutzen."
Wolfram Geier vom
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Woran es bei den Alarmsystemen hapert
Genauso stehe es um die Warnapps fürs Smartphone, die sich jede Bürgerin und jeder Bürger herunterladen könnte. Auch an diesem Punkt sieht Geier einen Bedarf der Nachsteuerung. "Die Apps können ortsspezifisch warnen", sagt er. Der Testalarmtag im vergangenen Sommer hatte für Irritationen gesorgt: Vielerorts schrillten keine Sirenen, die Warnapp Nina schlug auf vielen Handys ebenfalls keinen Alarm.
"Uns war klar, dass der Test beim Warntag 2020 nicht zu hundert Prozent funktionieren wird, denn es war die erste Testung bundesweit seit dem Ende des kalten Krieges."
Wolfram Geier vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Der Testtag sei der erste seit Ende des kalten Krieges gewesen, viele Kommunen hätten heute keine Sirenen mehr, weil die Instandhaltung zu teuer wäre. Das System, das die Apps, lokal und regional auslösen sollte, sei außerdem überlastet gewesen. Diese Schwachstellen zu finden, sei der Sinn des Tests gewesen. "Solche Testtage werden in Zukunft häufiger stattfinden", sagt Geier.
Was außerdem fehle: die Vorbereitung. "Kommunen und Regionen müssen unter anderem ebenfalls dafür sensibilisiert werden, eine Risikoanalyse und eine Risikokartierung für Starkregen und kleine Fließgewässer zu machen", sagt Geier. Ein Problem, das er im Umgang mit solchen Katastrophen sieht, ist die Rechtslage. So sie das BKK auf Bundesebene für den Zivilschutz im Kriegsfall zuständig, die Länder und Kommunen hingegen für den Umgang mit Katastrophen jeglicher anderer Form. Die Amtshilfe von einer Bundesbehörde hin zu einer Kommune, wenn eigentlich die Länder zuständig sind, sei in manchen Fällen nicht einfach so zu bewerkstelligen.
Die britische Wissenschaftlerin Hanna Cloke hatte gegenüber der britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt BBC erklärt, dass das europäische Frühwarnsystem "European Flood Awareness System" (Efas) bereits am vergangenen Montag eine Warnung für die betroffenen Gebiete herausgegeben hätte.
"Die nationalen Behörden sind dann in der Verantwortung, auf diese Informationen zu reagieren."
Wissenschaftlerin Hannah Cloke,
gegenüber der BBC
"Die Warnungen sind rausgegangen... sie haben starken Regen und Flut vorausgesagt. Die nationalen Behörden sind dann in der Verantwortung, auf diese Informationen zu reagieren", sagt die Wissenschaftlerin. Laut Cloke habe es Regionen gegeben, in denen das System fuktioniert habe. "Es gab auch Orte, an denen die Warnungen nicht bis zur Bevölkerung durchdrangen und diese nicht wusste, was passieren würde", gibt sie zu bedenken.
Britische Forscherin sieht Problem im "zersplitterten System" in Deutschland
So viele Todesopfer dürfe es nach Ansicht der Wissenschaftlerin 2021 aufgrund einer Unwetterkatastrophe nicht geben. Sie ist der Meinung, dass das "zersplitterte" System in Deutschland, mit vielen verschiedenen Behörden in den verschiedenen Bundesländern, zu unterschiedlichen Reaktionen geführt habe.
"Die Meldungen von Efas sind vom Deutschen Wetterdienst 1:1 an die Länder und die betroffenen Regionen weitergegeben worden", erklärt Wolfram Geier vom BKK gegenüber watson. Bereits vergangenen Montag seien alle betroffenen Bundesländer gewarnt worden. Seiner Meinung nach hätte die Evakuierung früher einsetzen müssen. "Dann hätte möglicherweise die hohe Anzahl der Todesopfer verhindert werden können", sagt er.
Auch aus diesem Grund sei eine Verpflichtung zur Aufklärung wichtig: "Die Bevölkerung muss wissen, dass so etwas in kürzester Zeit passieren kann – und welchen Beitrag sie zum Eigenschutz leisten kann", erklärt Geier. Die Kommunen müssten zudem wissen, welche Bereiche besonders betroffen sein könnten.
"Bevölkerungsschutz muss als Querschnittsaufgabe verstanden werden."
Wolfram Geier vomBundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Nicht nur der Katastrophenschutz muss sich auf Naturkatastrophen vorbereiten
Nach Geiers empfinden reiche es nicht, nur das BKK und die "Blaulichter" auf die Entwicklung und Häufung der Extremwetterereignisse, wie Starkregen, Dürre, Waldbrände und Hitze und extreme Kälte vorzubereiten. Es brauche einen übergreifenden Ansatz. "Es braucht die Stadt- und Raumplanung, das Innen-, das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium, die Gesellschaft: Bevölkerungsschutz ist eine echte Gemeinschaftsaufgabe", sagt er. Aktuell erarbeite das BBK deshalb eine nationale Resilienzstrategie – also eine Strategie für den Umgang mit und die Reaktion auf Naturkatastrophen.
Gemeinsam mit anderen Akteuren sorgt das BBK außerdem dafür, Deutschland für den Klimawandel zu wappnen. Seit 2007 beschäftigt sich das Bundesamt nach eigenen Angaben mit Anpassungsstrategien. "Den politischen Rahmen bildet dabei die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel", teilt das BBK mit. Diese wurde 2008 verabschiedet und wird seither stetig weiterentwickelt.
"Langfristiges Ziel der Anpassungsstrategie ist die Verminderung der Verletzlichkeit bzw. der Erhalt und die Steigerung der Anpassungsfähigkeit natürlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Systeme."
Auszug aus der Deutschen Anpassungsstrategie
an den Klimawandel
Um dieses Ziel zu erreichen, sollen Gefahren benannt werden und so ein Bewusstsein geschaffen werden. Außerdem sollen Entscheidungsgrundlagen bereitgestellt werden, die es Akteuren ermöglichten Vorsorgen zu treffen.
Auch das BBK arbeite bundesweit mit zahlreichen Akteuren zusammen. Unter anderem in der sogenannten Behördenallianz. "Die Behördenallianz wurde 2007 gegründet, um sich gemeinsam und ressortübergreifend mit den für den Bereich Bevölkerungsschutz relevanten Fragen der Klimaänderung zu beschäftigen", heißt es in einer Mitteilung des Technischen Hilfswerks (THW). Teil dieser Allianz sind das THW und BBK auch das Umweltbundesamt, das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung und der Deutsche Wetterdienst.
Die Katastrophenhelfer müssen deutlich öfter ausrücken
Bereits 2010 ist sich die Behördenallianz einig gewesen: "Grund für die Zunahme unwetterbedingter Katastrophen liegt in der Klimaveränderung." Ziel dieser Allianz sei es, den Umgang mit dem Klimawandel durch stetigen Austausch und Grundlagenforschung weiter zu verbessern. "Vor dem Hintergrund der Klimaveränderung werden THW-Einsätze in Zukunft deutlich zunehmen", prognostizierte Volker Strotmann, Leiter der Abteilung Einsatz im THW, bereits 2011.
Und tatsächlich: die aufgelisteten innerdeutschen Einsätze der vergangenen Monate auf der Seite des THW lesen sich, wie der Wetterbericht. Schnee, Starkregen, Überflutung, Eis. Garniert mit etlichen Einsätzen im Zusammenhang mit Corona. "Mehr als 1,1 Million Stunden waren die THW-Kräfte im Einsatz, davon allein 680.000, um die Corona-Pandemie einzudämmen", bilanziert das THW in seinem Jahresbericht 2020. Das seien fast doppelt so viele Einsatzstunden gewesen wie 2019.
Wie sich die "Blaulichter" besser auf zukünftige Extremlagen einstellen könnten? Auch sie müssen nach Ansicht des Fachmanns dafür sensibilisiert werden, eine Risikoanalyse zu machen. So müsse zum Beispiel gecheckt werden, ob die Wache oder das Lager potenziell gefährdet sind, sollte es zum Beispiel ein Hochwasser geben. Auch müsse überprüft werden, ob die Ausbildung und die Ausstattung den möglichen Katastrophenfällen gerecht würden.