Neben den furchteinflößenden Bildern der Katastrophe sind von den tödlichen Überflutungen am vergangenen Wochenende vor allem zwei Momente, eingefangen in Bildern, hängen geblieben. Zum einen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die im verwüsteten Ort Schuld in Rheinland-Pfalz die Hand der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hält. Zum anderen Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU), der während eines Besuchs im Katastrophengebiet lacht. Zwei Bilder, zwei bleibende Eindrücke und eine Frage, die durch die Republik geistert: Kann sich ein Kanzlerkandidat ein solches Verhalten erlauben?
Auf Twitter hat sich Laschet bereits für den Eindruck entschuldigt, der durch die Gesprächssituation entstanden ist. "Dies war unpassend und es tut mir leid", schreibt er. Unter dem Hashtag #Laschetlacht haben viele Nutzer des Kurznachrichtendiensts ihre Meinung geäußert. Manche verteidigen den Aachener, andere sprechen ihm die Qualifikation für das Kanzleramt ab.
Auch gegenüber dem "WDR" räumt der Kanzlerkandidat seinen Fehler ein und nennt das eigene Verhalten unpassend. Mit Angela Merkel, so viel scheint sicher, wäre es nicht zu einer solchen Szene gekommen. Und auch die anderen beiden Kandidaten und Kandidatinnen um das höchste Amt im Staat haben unangebrachte Bilder vermieden. Genauso Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, als er das ebenfalls von einem Unwetter heimgesuchte Berchtesgadener Land besucht hat. Der den Grünen nahestehende Pianist Igor Levit twitterte am Samstag:
Laschet wäre nicht der erste Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik, der sich unangebracht verhält und dabei filmen lässt. Da war beispielsweise Kanzler Helmut Kohl, der 1991 in Halle mit Eiern beworfen wurde und daraufhin auf seine Angreifer zustürmte. "Da ich nicht die Absicht habe, wenn jemand vor mir steht und mich bewirft, davonzulaufen, bin ich eben auf die zu und da stand ein Gitter dazwischen und das war von Nutzen – für wen habe ich nicht gesagt, das überlasse ich ihnen", zitierte damals der "MDR" den Kanzler der Einheit.
Ob sich Laschet mit seinem Lacher die Chancen aufs Kanzleramt vertan haben könnte – oder ob die Gesellschaft nach 16 Jahren unter der Regentschaft einer überlegten und unaufgeregten Angela Merkel zu sehr an besonnenes Verhalten gewöhnt hat – darüber hat watson mit Experten gesprochen.
Nach Einschätzung des Wahlkampfexperten Frank Stauss, dürfte für Laschet nicht alles verloren sein, zumindest dann nicht, wenn keine weiteren Pannen passieren. Stauss hat unter anderem die frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), Olaf Scholz (SPD) und Malu Dreyer (SPD) in ihren Wahlkämpfen begleitet. "Als Ministerpräsident und Kanzlerkandidat weiß er natürlich, wie wichtig gerade in einer solchen Situation die Bildsprache ist", sagt der Experte gegenüber watson. Insofern könne man von ihm mehr Professionalität erwarten.
Klar sei auch, dass alle Menschen, die auf dem Bildausschnitt zu sehen seien, genau dort zu sehen sein wollten. "Aber es sind im Gegensatz zu Armin Laschet nicht alle Profis. Daher wäre es seine Aufgabe gewesen, den anderen zu signalisieren: Jetzt hören wir dem Bundespräsidenten zu – unterhalten können wir uns später", sagt Stauss. Dieser Ausrutscher alleine wird dem Kandidaten der Union nach Ansicht des Experten aber nicht schaden. Sollte daraus aber eine Serie werden, könne diese das Vertrauen in ihn erschüttern.
Ein angemessenes Verhalten sei hingegen auch kein Alleinstellungsmerkmal der amtierenden Kanzlerin. Vielmehr sei es Laschet, der nach Ansicht des Wahlkampfexperten, aus dem Rahmen falle. "Angela Merkel, Malu Dreyer, Olaf Scholz, Markus Söder und viele mehr wissen, wie man sich in einer so dramatischen Lage verhält", erklärt er. Die Entschuldigung auf Twitter sei seiner Ansicht nach besser als keine: "Wenn keine weiteren Pannen passieren, wird es den meisten Menschen auch reichen", fasst er zusammen.
Die Annahme, dass von einem erfahrenen Politiker mehr zu erwarten wäre, teilt auch Christian von Sikorski. Er ist Professor für politische Psychologie an der Universität Koblenz-Landau und forscht zu den Themen politische Kommunikation und Medienwirkungen. Denn auch wenn die heitere Stimmung mit großer Sicherheit nichts mit dem eigentlichen Anlass zu tun gehabt hätten, könne es als ungeschickt bezeichnet werden, sich im Rahmen des Ortsbesuches so zu verhalten.
Von Sikorski zufolge schaden Laschet solche Bilder im Zeitalter der sozialen Medien besonders. Er meint gegenüber watson:
Mediennutzer reagierten auf die visuellen Hinweisreize und nutzten diese für die Beurteilung von Politikern. "Es erzeugt den Eindruck von Scheinheiligkeit", sagt von Sikorski. Und zwar auch, wenn sich das Verhalten des Unionskandidaten nicht auf den eigentlichen Anlass der Veranstaltung bezog. Bei Wählern könne der Eindruck entstehen, dass sich Laschet vor den Kameras betroffen und trauernd zeige, sein vermeintlich "wahres Gesicht" aber offenbare, wenn er sich unbeobachtet fühle.
Statt die Katastrophe für seinen Wahlkampf zu nutzen, dürfte sich Laschet durch diese Aktion in den Köpfen einiger Wähler als "rheinische Frohnatur" festgesetzt haben, der die "notwendige Ernsthaftigkeit vermissen lässt". "Die Fotos und Videos werden sich auf sozialen Medien weiter verbreiten und könnten ihm weiter schaden", fürchtet der Experte. Gerade im Vergleich mit dem Kommunikationsstil Angela Merkels stehe ihr potenzieller Nachfolger besonders schlecht dar.
Ob eine Entschuldigung reicht, bleibt nach Ansicht von Sirkoskis abzuwarten. "Vermutlich warten Laschet und sein Team erst einmal ab, ob sich die Wogen so glätten lassen", schätzt er. Die Hoffnung könnte sein, dass der Vorfall durch ein anderes Thema zeitnah überlagert werde.