Politische Einflussnahme auf Programminhalte und Korruption in der Führung von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten: Gleich zwei Sender der ARD stehen in der Kritik. Erst die ehemalige Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) und nun laut einem Stern-Bericht auch der Norddeutschen Rundfunk (NDR) in Schleswig-Holstein. Dort sollen leitende Redakteur:innen kritische Berichte über die schleswig-holsteinische CDU unterbunden haben.
Kontrollgremien wie Verwaltungsrat und Rundfunkrat haben die Aufgabe, solche Fehlverhalten zu erkennen und zu unterbinden. Bei der Verwendung von Mitteln ist es der Verwaltungsrat – also im aktuellen Fall des rbb. Rundfunkräte sind für die Inhalte der öffentlich-rechtlichen Anstalten, also vor allem zum Programm im Fernsehen und im Radio zuständig. Das ZDF hat einen Fernsehrat. Der ARD gehören neun Rundfunkanstalten an. Diese haben jeweils einen Rundfunkrat.
Die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Christiane Eilders von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf erklärt auf watson-Nachfrage:
Die Staatsferne der Massenmedien sollte gewährleistet sein: Bei Zeitschriften und Zeitungen ist die Vielfalt durch unabhängige, miteinander konkurrierende Verlagshäuser gewährleistet. Bei Radio und Fernsehen muss die Diversität durch Vielfalt und Ausgeglichenheit im Inneren ausgeübt werden.
Es ist also falsch, von Staatsfunk zu sprechen, wie das Verschwörungs-Anhänger:innen tun. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind kein Staatsfunk, betont Eilders, "gleichwohl sind Parteien als gesellschaftlich relevante Gruppen in unterschiedlichen Anteilen irgendwie repräsentiert."
Der Rundfunkrat hat die Funktion, im Programm die Qualität und den Pluralismus zu kontrollieren, sagt Eilders. Aber auch, ob Werberichtlinien eingehalten werden. "Das macht er, indem er Beschwerden bearbeitet. Das macht er aber auch, indem er selber sich die Fernseh- und Radioprogramme anschaut."
In den Rundfunkrat werden gesellschaftliche Akteur:innen von Parteien, Gewerkschaften, Vereinen und auch Kirchen entsandt. Das soll für einen Pluralismus im Inneren sorgen, sagt Eilders.
Die Zusammensetzung dieser Gremien steht immer wieder in der Kritik. Das verwundert die Wissenschaftlerin nicht. Es stellt sich die Frage: "Welche gesellschaftlichen Gruppen sollen repräsentiert sein?" Das war in den vergangenen Jahrzehnten andere als jetzt. Beispielsweise waren in den 1950er und 1960er noch Vertreter:innen von Vertriebenenverbände in den Rundfunkräten vertreten.
Eilders sagt:
Und wenn eine neue gesellschaftlich relevante Gruppe reinsoll, müsste entweder eine andere dafür wieder raus – oder der Rundfunkrat dementsprechend vergrößert werden. "Das ist immer ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess", erklärt Eilders. Dazu müssten sich die Gruppierungen erst mal organisieren und zu Wort melden. Wer gilt als eine gesellschaftliche Gruppierung, die Anspruch auf Vertreter:innen in Rundfunkräten anmelden könnte?
Da kann sich Eilders vieles vorstellen. "Das könnten beispielsweise auch Hausfrauen oder Hausmänner sein. Entscheiden wird sein, dass diese ein gemeinsames Anliegen formulieren." Das hieße aber nicht, dass sich einfach einige Menschen zusammentun, nur um eine Vertretung bei einem Rundfunkrat einzufordern. "Wenn es kein gemeinsames Anliegen gibt, dann sind sie auch keine so wichtige Stimme in der Gesellschaft. Es muss schon auch ein Anliegen und eine Perspektive dahinter stehen."
Konkret kritisiert der Verein "Neue deutsche Medienmacher:innen" (NdM), dass einige Gesellschaftsgruppen überhaupt nicht in den Rundfunkräten repräsentiert seien. Der Verein bemängelt, dass die Entsendung der Vertreter:innen in die Rundfunkräte fernab der Öffentlichkeit entschieden würde.
Bäuer:innen seien in den Räten genauso gut vertreten wie Eingewanderte und ihre Nachkommen – dabei machen Bäuer:innen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus und Menschen mit Migrationsgeschichte machen mehr als 27 Prozent der Bevölkerung aus.
In ihren Untersuchungen haben sie festgehalten, dass beispielsweise weniger als die Hälfte der ARD-Rundfunkräte eine:n Vertreter:in von Muslim:innen vorweisen kann. Und nur im Südwest-Rundfunk (für die Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) gibt es überhaupt eine Person, die Sinti:zze und Rom:nja vertritt, in allen anderen acht Rundfunkräten der ARD-Anstalten fehlt diese Gesellschaftsgruppe gänzlich.
Weitere Kritikpunkte: Queere Menschen sind erst seit 2015 in Rundfunkräten vertreten und fehlen in der Hälfte aller Rundfunkräte. Menschen mit Behinderung haben nur in sieben Rundfunkräten einen festen Sitz. Im Durchschnitt sind in den Rundfunkräten 44 Prozent Frauen vertreten. Außerdem bilden staatsnahe Mitglieder, wie beispielsweise Regierungsmitglieder oder Landrät:innen, die mit Abstand größte Gruppe in den Rundfunkräten. Das sei nicht mit dem gesetzlichen Gebot der Staatsferne vereinbar, so der Verein.
"Alle Rundfunkräte sind stark überaltert: Auf jede Person unter vierzig Jahren kommen zwei, die älter sind als siebzig", heißt es in der Untersuchung des Vereins. Und auch Kommunikationswissenschaftlerin Eilders kritisiert die Unterrepräsentanz junger Menschen, und zwar auch aus dem Nicht-Akademiker-Milieu: "Eine andere Perspektive ist noch die von den Berufen und Ausbildung." Es könnten beispielsweise Handwerksverbände eine Repräsentanz in den Rundfunkräten einfordern, sagt Eilders.