Eine 23 Jahre alte Frau stirbt an einem Kopfschuss. Eine 19- und eine 20-jährige Frau sowie ein 20-jähriger Mann werden durch Schüsse leicht verletzt. Das alles geschieht in einem Hörsaal im Neuenheimer Feld an der Universität Heidelberg. Ein Amoklauf. Der mutmaßliche Täter: ein 18-jähriger Biologie-Student aus Berlin – auch er ist tot.
Der junge Mann hatte am Montag in einem Heidelberger Hörsaal auf Kommilitonen geschossen. Die Polizei geht davon aus, dass sich der Schütze, der im knapp 20 Kilometer entfernten Mannheim wohnte, vor dem Gebäude selbst tötete. Die Gewehre soll er vor wenigen Tagen im Ausland gekauft haben.
Weltweit geschehen solche Taten. Morde, bei denen der Täter oder die Täterin kein bestimmtes Opfer angreifen, sondern meist in Bildungseinrichtungen wahllos Menschen töten und verletzen.
Wie vor knapp 13 Jahren an einer Realschule im baden-württembergischen Winnenden. Im März 2009 hatte dort ein ehemaliger Schüler 15 Menschen und anschließend sich selbst getötet.
Wie sieht die Sicherheitslage in Bildungseinrichtungen heute aus? Was hat sich seit 2009 verändert?
An Schulen gibt es individuell eingerichtete Alarmsysteme und Notfallpläne. Diese Pläne werden etwa in Baden-Württemberg laut dem Stuttgarter Innen- und dem Kultusministerium an die örtlichen Gegebenheiten angepasst.
Nach dem Amoklauf von 2009 in Winnenden hat das baden-württembergische Wissenschaftsministerium, das für die Hochschulen im Land zuständig ist, ebenfalls reagiert. Laut einer Sprecherin wurde noch im Jahr der Tat eine Arbeitsgruppe mit den Hochschulen und dem Innenministerium eingerichtet, die Leitfäden zur Vorbeugung von und zum Umgang mit Gewaltvorfällen an Hochschulen erarbeitet hat. Dabei sei es auch um bauliche und organisatorische Maßnahmen gegangen.
"Die Hochschulen haben auf dieser Basis ihre eigenen Krisenpläne überarbeitet und passen diese auch weiterhin bei Bedarf an", schreibt die Sprecherin auf Anfrage von watson. Details dazu nennt sie nicht und ergänzt: "Da es sich um sensible Informationen handelt, werden die Hochschulen keine konkreten Angaben zu ihren internen Krisenplänen machen."
Angaben des Wissenschaftsministeriums zufolge gibt es also solche Alarmsysteme auch an Hochschulen und Universitäten. Allerdings könnten diese Krisenpläne nicht genauso umgesetzt werden wie an Schulen.
Wörtlich heißt es aus dem Ministerium auf watson-Anfrage:
Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) sagte außerdem auf watson-Anfrage, dass die Einrichtungen weiterhin frei und offen sein sollten: "Hochschulen sind weltoffene Einrichtungen, sie sind Orte der Freiheit, Offenheit und Begegnung. Wir wollen und wir werden sie nicht zu Trutzburgen oder Festungen machen."
Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, erklärt das baden-württembergische Wissenschaftsministerium. "Zum Beispiel einen stillen Alarm oder, wie von der Arbeitsgruppe 2009 empfohlen, Durchsagen durch Lautsprecheranlagen", schreibt eine Sprecherin des Wissenschaftsministeriums.
Die Hochschulen erarbeiteten solche Pläne gemeinsam mit den auf den Objektschutz spezialisierten polizeilichen Einrichtungen. Wie diese Systeme im Einzelnen genau aussähen, gäben Schulen und Universitäten der Öffentlichkeit aber nicht preis.
Grundsätzlich gibt das Bundeskriminalamt (BKA) zu Ermittlungen beim Thema Waffenkäufen – vor allem bei laufenden – keine Informationen preisgibt.
Bekannt ist, dass der mutmaßliche Täter die Waffe wohl aus dem Ausland besorgt hat.
Das Bundeskriminalamt sagte auf watson-Anfrage:
Weitere Fragen zum Fall wollte das BKA nicht beantworten.
In einer Dokumentation, die zehn Jahre nach dem Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden veröffentlicht wurde, teilte der heutige Schulleiter Sven Kubick mit, sowohl das Land als auch der Bund hätten damals dazu beigetragen, dass dort ein neuer Gebäudekomplex entstehen konnte."
Die Schule an sich sei ebenfalls verändert worden. Es gebe dort bestimmte Sicherheitseinrichtungen. "Ein Gebäude etwa mit Türen, die man nur mit dem Chip öffnen kann, wo man nicht einfach reingehen kann, die auch automatisch verschlossen werden." Zudem habe man viele transparente Bereiche eingerichtet, also viele Glasfronten und offene Bauweisen eingeführt, damit "man einfach sieht: Wer geht ins Gebäude rein und raus".
Nach Winnenden 2009 haben das Land und der Bund einige Maßnahmen ergriffen, um in Baden-Württemberg für mehr Schutz zu sorgen. Eine Liste der Veränderungen hat watson vom baden-württembergischen Kultusministerium auf Anfrage bekommen.
Darin heißt es zunächst: "Das Kultusministerium Baden-Württemberg hat eine Reihe von Maßnahmen getroffen sowie Unterstützungssysteme aufgebaut, um Schulen dabei zu unterstützen, sich auf Krisensituationen und Gefahrenlagen vorzubereiten und im akuten Fall schnell und angemessen reagieren zu können."
Das sind sie Maßnahmen:
Auch die Polizei wurde seit dem Amoklauf von 2009 besser ausgestattet als früher. Das baden-württembergische Innenministerium hat dazu auf watson-Anfrage Stellung bezogen.
Grundsätzlich lasse sich die Zusammenarbeit der Polizei Baden-Württemberg mit Schulen oder Universitäten im Zusammenhang mit Amoktaten und Androhungen von Amoktaten in zwei Bereiche unterteilen:
Für den Bereich der Krisenintervention sei eine Verwaltungsvorschrift über das Verhalten an Schulen bei Gewaltvorfällen und Schadensereignissen erlassen worden, sagte der Sprecher.
Die bereits damals existierenden Amok-Konzepte und die Ausstattung der Polizei seien damals überprüft worden. "In der Folge wurden alle operativen Kräfte – beginnend in der Ausbildung und dem Studium – regelmäßig geschult. Wichtig ist auch eine geeignete Ausstattung der Einsatzkräfte."
Seit 2011 wurde dem Innenministerium zufolge bei der Polizei in Baden-Württemberg die Amok-Zusatzausstattung eingeführt, bestehend aus Helm-, Schulter-, Hals- und Tiefschutz – in Ergänzung zu den persönlich zugeteilten Schutzwesten.
"Darüber hinaus – unter dem Eindruck internationale terroristischer Taten – wurden ballistische Plattenträgersysteme beschafft, welche den Schutz der Beamtinnen und Beamte weiter optimiert", so der Sprecher weiter. Und: "Auch das Waffensystem wurde mit dem MP 7 (ein Maschinengewehr, Anm. d. Red.) ergänzt, um ein täterorientiertes Vorgehen in Gebäuden zu ermöglichen."
Wesentlicher Kernpunkt der Einsatzkonzepte vor Ort sei auch die Betreuung von Opfern und Beteiligten. Der handlungsleitende Grundgedanke laute hierbei: "Der (betroffene) Mensch steht im Mittelpunkt staatlichen Handelns". Dabei stimme man sich immer mit Hilfsorganisationen ab, die etwa Seelsorge anböten.