Bei Lars Klingbeil wirkt alles weich, wolkig und fluffig. Seine Stimme, sein Lachen, sein Aufstieg innerhalb seiner Partei, der SPD. Andererseits ist diese Partei gerade von Umfrageergebnissen um die 15 Prozent zum Wahlsieg katapultiert worden. Mit am Hebel des Katapults saß Klingbeil selbst. Er war der Architekt der SPD-Wahlkampagne. Er saß gefühlt täglich in sämtlichen Talkrunden, machte Werbung für seinen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Jetzt hat der (noch) Generalsekretär der Sozialdemokraten seine Kandidatur für den Vorsitz der Partei erklärt.
Aber wer ist dieser Lars Klingbeil eigentlich?
Der "Spiegel" zeigt den 43-Jährigen, wie er lässig die Gitarre zupft und titelt dabei "Teddybär braucht Killerinstinkt". Die Bilder auf Klingbeils Website zeigen ihn in gemütlichen Kuschel-Wollpullis vor weichgezeichneten Hintergründen. Aber Klingbeil hat sich auch einmal vom "Spiegel" beim Crossfit-Training begleiten und fotografieren lassen. Er steht für eine freundliche Politik – ohne Lästern, dafür mit Inhalten. Aber er weiß auch genau, wo der Weg zur Macht verläuft. "Einer, der gewinnen kann", so schreibt es das Erste auf der Tagesschau-Website.
Klingbeils Geschichte beginnt am 23. Februar 1978 im niedersächsischen Soltau. Geboren als Sohn einer Einzelhandelskauffrau und eines Berufssoldaten wächst Klingbeil in der 20 Kilometer entfernten Kleinstadt Munster auf. Geht man nach der Zahl der in Munster stationierten Soldatinnen und Soldaten, dann ist die Kleinstadt der größte Standort des deutschen Heeres – und der viertgrößte Standort der Bundeswehr überhaupt.
Stolz präsentiert sich die Stadt als Militärstandort. "Munster kann mittlerweile auf 125 Jahre Militärgeschichte zurückschauen" – so steht es auf der Internetseite der Stadtverwaltung. 7.000 Soldatinnen und Soldaten werden hier jährlich ausgebildet. Bis zu 1.500 Soldatinnen und Soldaten sind hier stationiert.
Klingbeil selbst hat den Wehrdienst verweigert. Er fühlt sich trotzdem wohl in Munster. Lebt auch heute noch dort. Ist politisch engagiert, schon in der Schulzeit. Er setzt sich eigenen Angaben zufolge schon in jungen Jahren für einen Diskobus ein, demonstriert gegen Nazis und streikt für eine bessere Bildung.
Trotzdem geht Klingbeil nach dem Abitur erst einmal weg. Er studiert in Hannover – Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte. Während des Studiums arbeitet er für den damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder im Wahlkreisbüro. Gleichzeitig sitzt er seit 2006 als Abgeordneter im Kreistag seiner Heimat, des Heidekreises.
2009 kommt dann der Sprung in die bundesweite Berufspolitik. Klingbeil schafft es für die SPD in den Bundestag gewählt zu werden. 2005 ist er allerdings schon kurz im Parlament gesessen – als Nachrücker für seinen zurückgetretenen Parteikollegen Jann-Peter Janssen. Klingbeil engagiert sich seit 2009 im Verteidigungsausschuss. Versteht sich aber auch als Netzpolitiker. "Ich konnte dabei mithelfen, dass sich die Digitalpolitik im Deutschen Bundestag etabliert hat", schreibt Klingbeil auf seiner Website.
Schon in der Schulzeit ist Klingbeil ein Musikliebhaber, spielt Gitarre und singt in einer Rockband – Sleeping Silence nennt sie sich. Noch heute, so sagt es Klingbeil, spielt er Gitarre. Selbst in seinen Büros stünden Instrumente bereit, "auf denen ich zum Nachdenken auch ab und zu spiele".
Seine politische Grundhaltung ist nicht immer ganz deutlich zu erkennen – beziehungsweise ändert Klingbeil während seiner Jahre in der Berufspolitik seine Haltung. Bis 2015 ordnet man den heute 43-Jährigen eher dem linken Flügel der SPD zu. Heute gehört er dem sogenannten Seeheimer Kreis an – ein Zusammenschluss von Bundestagsabgeordneten der SPD, die sich selbst als undogmatisch und pragmatisch beschreiben. Grundsätzlich vertreten sie die konservativen Meinungen bei den Sozialdemokraten.
Laut dem Portal abgeordnetenwatch.de will sich Klingbeil für mehr Transparenz einsetzen. Das Portal gibt Bundestagsabgeordneten die Möglichkeit, bestimmte Fragen zu beantworten – was Klingbeil auch tut. Er verspricht darin, er werde sich dafür einsetzen, dass Lobbyisten und Lobbyistinnen ihre Kontakte mit Bundesregierung und Mitgliedern des Bundestags im Lobbyregister dokumentieren müssen. Er verpflichtet sich selbst, während seiner Mandatszeit jährlich die Steuermittel, die für seine Abgeordnetentätigkeit zur Verfügung stehen, offenzulegen, will Treffen mit Lobbyistinnen und Lobbyisten offenlegen.
Ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien lehnt er allerdings ab – genauso wie eine Unabhängige Prüfinstanz für Abgeordneten- und Lobbytransparenz.
Klingbeil gilt also heute als Pragmatiker, als konservativ für SPD-Verhältnisse. Ein Mann, der aber gleichzeitig Brücken schlagen kann. Ein politisches Zugpferd, das alle mitnimmt. Mit SPD-Vize und Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert, der bekanntlich dem linken Parteiflügel angehört, pflegt er ein enges Vertrauensverhältnis, ist regelmäßig live auf Instagram mit ihm zu sehen. Selbst gegenüber Querdenkerinnen und Querdenkern zeigt er sich versöhnlich. "Ich würde gerne auf jeden einzelnen zugehen und mit ihm diskutieren", sagt er im Januar gegenüber watson.
Gegenüber dem politischen Gegner zeigt sich Klingbeil im Wahlkampf aber auf kampfeslustig: "Jemand, der dünnhäutig ist und in Kinder-Interviews Kinder anpampt, darf nicht Kanzler werden", sagt er in einem späteren Interview mit watson kurz vor der Bundestagswahl. CDU und CSU hätten Anstand und Würde verloren.
2017 schlägt der damalige SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz (konservativer SPD-Flügel) Klingbeil als Generalsekretär vor. Kurz darauf wirft Schulz hin – unter anderem wegen vieler Zerwürfnisse innerhalb der Partei, nachdem sich die SPD-Spitze für ein Weiterführen der großen Koalition entscheidet. Andrea Nahles (linker Flügel) übernimmt, wird aber kurze Zeit später aus dem Amt gedrängt.
Die SPD steht führungslos da. Monatelang dauert die Suche nach dem neuen Chef-Duo. Eine Wahl, die Lars Klingbeil als Generalsekretär maßgeblich mitorganisiert. Die beiden Parteilinken Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, kurz NoWaBo, gewinnen diese Wahl. Aber nicht nur ihnen wird es zugeschrieben, die tief zerstrittene und in den Umfragen extrem abgerutschte SPD wieder zu einen. Auch Klingbeil hat einen maßgeblichen Anteil daran.
Jetzt also soll, so will es zumindest der SPD-Vorstand, die Parteispitze aus Esken und Klingbeil bestehen, nachdem NoWaBo überraschend seinen Rückzug bekannt gegeben hat. Der scheidende Chef will, dass jetzt die Jüngeren zum Zug kommen. Klingbeil ist 43 – was für die deutsche Spitzenpolitik ziemlich jung ist.
In einem Video – wieder trägt er einen Kuschelpulli, diesmal mit Jackett – erklärt Klingbeil am Montag seine Kandidatur. Erklärt, dass er sich beim Parteitag im Dezember zum neuen Co-Vorsitzenden wählen lassen möchte. "Am 26. September haben wir die Bundestagswahl gewonnen", sagt er darin. "Und wenn man mal ganz ehrlich ist, dann haben uns das nicht viele zugetraut." Immer wieder fällt das Wort "gemeinsam" in dem Video.
Ein Teamplayer, dieser Klingbeil – so will er gesehen werden.
Ein Wahlsieg, so sagt es Klingbeil in dem Video, reicht ihm aber nicht. "Wir haben noch viel vor uns als SPD". Er will die Sozialdemokraten als "moderne Volkspartei" positionieren. Diversität, Parität, junge SPD-Abgeordnete im Bundestag – all diese Themen habe man bereits vorangetrieben. "Aber dieser Weg muss weitergehen", so Klingbeil. "Meine Aufgabe in der SPD ist noch lang nicht erledigt."
Experten sagen Klingbeil gute Chancen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem womöglich bald zum Kanzler ernannten Finanzpolitiker Olaf Scholz voraus. Aber wie sieht es mit Esken aus?
Die designierte Doppelspitze stammt aus zwei Lagern. Links und konservativ. Doch weder Klingbeil noch Esken gehören zu denen, die draufhauen. Klingbeil ist eher der Versöhner, der Vermittler. Esken irgendwie auch. Obwohl sie und NoWaBo eigentlich aus der Groko rauswollten – mehrfach sogar – und sie deshalb Scholz auch nicht besonders nahesteht: Die Kanzlerkandidatur hatte Esken Scholz vor der Wahl sogar angeboten.
Trotzdem: Als SPD-Chef wird Klingbeil als Brückenbauer gefordert. Vor allem, wenn es darum geht, die Partei-Linke mit Blick auf Scholz' Kanzlerschaft zu bändigen. Hört man sich bei den Jusos um – die viel mit der Grünen Jugend und auch mit den Klimaaktivisten von Fridays for Future zusammenarbeiten – schwingt Verunsicherung mit: Ist Scholz nun wirklich der Klimakanzler, den man sich wünschte? Und die Jungen in der SPD haben seit der Wahl deutlich mehr Macht als früher. 33 Prozent der Abgeordneten der neuen SPD-Fraktion im Bundestag sind unter 40.
Viel zu tun für den Mann im Kuschelpulli.