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Wagenknecht zieht sich aus BSW-Spitze zurück: Experte warnt vor Risiko

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Sahra Wagenknecht will öffentlich in den Hintergrund des BSW rücken. Bild: dpa / Michael Kappeler
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Rückzug mit Risiko: Was Sahra Wagenknechts Schritt für das BSW bedeutet

Sahra Wagenknecht will die Parteiführung abgeben und Platz für eine neue Doppelspitze machen. Droht dem BSW damit das endgültige Aus? Politikwissenschaftler Thorsten Holzhauser spricht auf Anfrage von watson von einem riskanten Schritt, der Parteienforscher Gero Neugebauer sieht darin weniger Machtverzicht als Neujustierung.
10.11.2025, 20:4910.11.2025, 22:30

Sahra Wagenknecht tritt ab, zumindest offiziell. Die Gründerin und Galionsfigur des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will die Parteiführung abgeben und sich künftig auf eine Grundwertekommission konzentrieren. Eine Entscheidung, die das Machtgefüge ihrer Partei auf den Kopf stellt.

Zwar verkauft Wagenknecht es als strategischen Neuanfang. Doch dieser könnte sich als kritischer Balanceakt erweisen. Denn das BSW war bisher mehr Bewegung um eine Person als eine Partei mit gefestigten Strukturen. Politikwissenschaftler Thorsten Holzhauser bewertet den Schritt gegenüber watson als riskanten Einschnitt, dessen Ausgang offen ist. Der Parteienforscher Gero Neugebauer sieht in dem Rückzug weniger einen Machtverzicht als eine Neujustierung.

BSW: Neue Doppelspitze soll Partei führen

Nach dem Streit über einen neuen Parteinamen (Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft) folgt nun der nächste Einschnitt: eine neue Spitze.

Auf dem Parteitag im Dezember in Magdeburg sollen Amira Mohamed Ali und Fabio De Masi das BSW künftig gemeinsam führen. Ali, bislang Co-Vorsitzende, und De Masi, früherer Linken-Politiker und Finanzexperte, präsentierten sich bei der gemeinsamen Pressekonferenz als Team, das Stabilität verspricht. Dabei vertreten sie eine Partei, die davon bislang wenig hatte.

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Mohamed Ali, Wagenknecht, Haghsheno, Geisel und De Masi (v.l.)Bild: imago images / future images

"Der Parteitag im Dezember wird sehr wichtig", sagte Mohamed Ali. Das BSW sei in einem "schwierigen Fahrwasser", habe aber in den vergangenen Monaten viele neue Mitglieder gewonnen. De Masi, der für die Linke im Bundestag und im Europaparlament saß, sprach von einer "großen Verantwortung".

BSW: Wagenknecht zieht sich zurück – aber nicht ganz

Wagenknecht erklärte auf der Pressekonferenz, sie wolle sich künftig auf Inhalte konzentrieren und der Partei "den Kopf für andere Aufgaben freihalten".

An ihrer Machtbasis will sie dennoch nicht rütteln. Wagenknecht bleibt Mitglied im Parteivorstand und im Präsidium, leitet künftig eine neu geschaffene Grundwertekommission. Zudem kündigte sie an, das BSW "in künftigen Wahlkämpfen mit aller Kraft" zu unterstützen.

Neugebauer hält das für konsequent: "Ihre – wodurch auch immer legitimierte – Position als Vorsitzende einer Grundkommission sichert ihr Einfluss auf Profil und Programm des BSW", sagt er auf Anfrage von watson.

Die von Wagenknecht gegründete Partei BSW diente ihm zufolge vor allem dazu, "einem Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit" nach ihrem umstrittenen Austritt aus der Linken entgegenzuwirken. Nach Einschätzung des Parteienforschers konzentrierte sich die Gründung massiv auf die Bedürfnisse Wagenknechts, die es verstand, ihre mediale Präsenz als zentrales Machtinstrument zu nutzen.

Ihr öffentliches Angebot, bei einem möglichen Bundestagseinzug Fraktionsvorsitzende werden zu wollen, zeige, dass sie politische Sichtbarkeit keineswegs aufgebe – im Gegenteil: "Das wie ihre wahrscheinliche Rückkehr in diverse Talkshows verschaffen ihr die von ihr gewünschte maximale Aufmerksamkeit."

13.09.2025, Berlin: Sahra Wagenknecht, BSW-Vorsitzende, steht bei der Demonstration unter dem Motto «Stoppt den Völkermord in Gaza! Keine Waffen in Kriegsgebiete! Frieden statt Wettrüsten!» winkend au ...
Wagenknecht gründete das BSW als Ein-Personen-Partei.Bild: dpa / Fabian Sommer

Seiner Ansicht nach ist der jetzige Schritt "nicht als politischer Rückzug zu werten". Vielmehr sichere Wagenknecht ihre Position, indem sie mit der Leitung der Grundwertekommission Einfluss auf Profil und Programm der Partei behalte.

Wagenknecht bleibt beim BSW die Sonne, um die alles kreist

Ungefährlich ist dieser Schritt für die Partei nicht, wenn es nach dem Politikwissenschaftler Thorsten Holzhauser geht. "Der Rückzug von Sahra Wagenknecht kommt nicht unerwartet und hat sich länger angedeutet", sagt der Geschäftsführer der parteiunabhängigen Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus auf Anfrage von watson. "Für das BSW ist diese Neuausrichtung mit neuer Spitze und neuem Namen hochriskant."

Holzhauser ordnet die Entscheidung in ein größeres Muster ein: Bewegungen, die um eine einzelne Persönlichkeit herum entstehen, geraten in der zweiten Phase ihres Bestehens in eine Identitätskrise. "Ein-Personen-Parteien wie das BSW hängen meist so stark von einer Figur ab, dass sie deren Rückzug nur schwer überleben", erklärt er.

Mit anderen Worten: Wer Wagenknecht wählte, tat das meist nicht wegen eines Programms, sondern wegen Wagenknecht selbst. Der Historiker sieht daher ein Dilemma: "Viele Wähler:innen könnten den Schritt als Zeichen deuten, dass das Projekt gescheitert ist."

Wagenknechts Versuch, den Eindruck eines endgültigen Abgangs zu vermeiden, empfindet er als nachvollziehbar. Doch damit bleibt auch die Frage offen, wie viel Macht sie wirklich abgibt. "Ob sie die neue Parteiführung auch führen lässt oder im Hintergrund weiter die Fäden in der Hand halten will, ist unklar", sagt Holzhauser. Zumal "ihre Differenzen mit einigen Landesverbänden, gerade in Thüringen, bekannt sind."

Experte: Die Partei hat wohl schwere Zeiten vor sich

Mit der neuen Doppelspitze soll das BSW moderner wirken, breiter aufgestellt und weniger abhängig von seiner Gründerin. Doch gerade die Formulierung "Doppelspitze" wirkt hier mehr symbolisch als real.

Fabio De Masi gilt als kluger Kopf mit Erfahrung, aber nicht als Charismatiker. Mohamed Ali wiederum hat in der Partei nicht den Rückhalt, den Wagenknecht einst besaß. Beide betonen Geschlossenheit. Doch unter der Oberfläche bleibt vieles ungelöst: der Streit um Inhalte, um den Kurs gegenüber Russland, um die Ansprache unzufriedener Wähler:innen zwischen Protest und Pragmatismus.

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De Masi, Wagenknecht und Mohamad Ali äußerten sich zur Neuaufstellung des BSW.Bild: dpa / Michael Kappeler

Und immer schwingt die Frage mit, ob das BSW ohne die, durchaus fragwürdige, Aura seiner Gründerin überhaupt Wähler:innen mobilisieren kann. Holzhauser interpretiert mit Blick auf den personellen Umbruch und die Unklarheit über Wagenknechts Rolle die Lage in der Partei so: "Beides in Kombination deutet eher darauf hin, dass die Partei schwere Zeiten vor sich hat."

Wagenknecht: Der Fixstern, um den alles kreist

Auch der geplante neue Parteivorstand wirkt wie ein Versuch, die Last zu verteilen. Statt drei sollen künftig bis zu sieben Vizechef:innen das BSW leiten. Neben den bisherigen Landesvorsitzenden Friederike Benda und Amid Rabieh sollen etwa die Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti, Nahostexperte Michael Lüders, Christian Leye und Oliver Skopec hinzukommen. Damit will die Partei nach außen Vielfalt zeigen und nach innen den Machtfaktor Wagenknecht abmildern.

Doch schon bei der Besetzung wichtiger Posten hakt es. Der neue Generalsekretär? Fehlanzeige. "Berechtigte Frage", räumte Co-Chefin Mohamed Ali auf der Pressekonferenz ein. "Wir hoffen, dass wir Ihnen das im Laufe der Woche mitteilen können." Unter den gehandelten Namen: Oliver Ruhnert, früherer Sportdirektor von Union Berlin und inzwischen Chefscout des Vereins. Er war beim Bundestagswahlkampf 2025 Spitzenkandidat des BSW in Berlin. Doch ob er tatsächlich ins Parteimanagement wechselt, ist offen.

So steht das Bündnis, kaum ein Jahr nach seiner Gründung, an einem entscheidenden Punkt.

Experte Neugebauer schätzt, dass Wagenknecht selbst von der Dynamik am ehesten profitieren dürfte: "Weniger das BSW als Frau Wagenknecht werden angesichts der wichtigen Rolle der Medien für die Wahrnehmung von Politiker:innen von ihrer Entscheidung profitieren."

Ob daraus eine Stärkung des BSW resultiere, hänge schließlich davon ab, wie relevant die politischen Positionen der Partei für die Wähler:innen bleiben. "Ob es letztlich mehr bedeutet als das Erscheinen einer Schwalbe für die Ankunft des Sommers, muss sich erst zeigen", so Neugebauer.

(Mit Material der dpa)

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