Es ist die Zeit der Krisen: Krieg, Klima, Corona. Deutschlands Krisenmanager sind das Kabinett sowie die Politikerinnen und Politiker der Ampel. Und die haben Streit. So zumindest wirkt es, scrollt man sich aktuell durch Twitter. Vorwürfe sind dort zu finden, Sticheleien und Streitereien.
Im vergangenen Herbst, als die Sondierungen langsam anliefen, gab es ein Selfie. Es stand für die vertrauensvollen Vorgespräche von Grünen und FDP. Die Kanzlermacher. Geheimhaltung und Vertrauensverhältnis wurden die Begriffe für die Verhandlungen. Auch, als die SPD mit eintrat. Bis zur Veröffentlichung des Koalitionsvertrages drang so gut wie nichts nach außen. Streitereien – und die muss es gegeben haben – blieben hinter verschlossenen Türen.
Ein neuer Politikstil. So hatte es den Anschein. Doch mittlerweile wird auch wieder öffentlich gestritten. Die Plattform der Wahl: Twitter. Was bedeutet das für die Politik der Ampel? Handelt es sich um einen Zoff zwischen einzelnen oder um einen konkreten Ampel-Streit? Darüber hat watson mit dem Kommunikationsexperten Bendix Hügelmann gesprochen. Er betreibt den Blog "Political Influencers" und analysiert die politische Kommunikation.
Auf Hügelmann machen einige Politiker und Politikerinnen den Eindruck von Getriebenen, wie er es nennt. Es gehe darum, den Führungsanspruch auszuführen. "Da sind Hohlräume entstanden", sagt Hügelmann und verweist auf die Gruppe Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD), die bereits im April in die Ukraine reisten. Vor allem Hofreiter und Strack-Zimmermann forderten daraufhin schwere Waffen für das angegriffene Land. Kritisierten den Kanzler Olaf Scholz (SPD) öffentlich.
Kritik aus der Koalition ließ damals nicht lange auf sich warten: Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, nannte die Forderungen "falsch" und "verantwortungslos". Die FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann konterte prompt und warf Mützenich vor, die Zeitenwende zu verpassen.
Wenig später stritt Strack-Zimmermann mit der Grünen-Politikerin Renate Künast. Wieder öffentlich. Wieder wegen Forderungen an Olaf Scholz. Grund der Debatte: Eine schriftliche Einladung in den Verteidigungsausschuss an den Bundeskanzler. Künast nannte die Einladung "Show" und warf Strack-Zimmermann Scheinheiligkeit vor.
Speziell bei der Social-Media-Rezension der "Causa Steinmeier" (so nennt Hügelmann den geplanten, aber nicht stattgefundenen Ukraine-Besuch des Bundespräsidenten) und der Reise des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz sei aufgefallen, dass diejenigen, die am lautesten kritisierten, das Geschehen selbst nicht maßgeblich mitentschieden. "Ich bin mir nicht sicher, ob das die dominante Strategie ist, hier nach innenpolitisch verwertbaren Spins zu suchen", gibt der Kommunikationsexperte zu bedenken.
Dass gerade Strack-Zimmermann die Rolle der Regierungskritikerin eingenommen hat, lässt bei Beobachtenden zumindest den Gedanken aufkommen, die FDP versuche ihr Profil nach außen geschärft zu halten. Der Parteitag der Liberalen hatte gezeigt, dass ein Großteil der Parteimitglieder die Ansichten der Verteidigungsexpertin teilt. Nach der letzten Regierungsverantwortung der Partei unter der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die FDP 2013 aus dem Bundestag geflogen.
Ganz so einfach ist das Verhalten aus Sicht von Hügelmann nicht zu erklären. Er sagt:
Aber nicht nur das Internet und die sozialen Medien hätten sich in den vergangenen neun Jahren verändert. Auch die Dreierkonstellation der Ampel-Koalition ist ein Phänomen, für das noch keinen Vergleichswert gibt. Hügelmann sagt: "Wir wissen also gar nicht, ob das Anzeichen für einen Streit sind oder normales Verfahren in einer ohnehin sehr unübersichtlichen Lage."
Klar sei, dass die Regierungsparteien in den vergangenen Wochen große inhaltliche Zugeständnisse und Veränderungen geleistet hätten. Die von Scholz angekündigte Zeitenwende in der deutschen Sicherheitspolitik, die Lieferung schwerer Waffen und gerade bei den Grünen auch das Thema Energiewirtschaft.
Hügelmann ist davon überzeugt, dass sich die Mitglieder des Ampel-Kabinetts weiter aufeinander einstimmen und an sich arbeiten. Gleichzeitig verweist der Kommunikationsexperte aber auf eine besondere Gemengelage:
Problematisch werden könnte der Twitter-Streit, wenn die "Diskussionskultur so raumgreifend wird, dass die Regierungsfähigkeit in Zweifel gestellt werden kann", sagt Hügelmann. Für ihn sei beispielsweise ein Interview grenzwertig gewesen, in dem Strack-Zimmermann Olaf Scholz durch die Blume als lahme Ente betitelt hat. "So etwas zieht Machtfragen nach sich und es kann nicht im Interesse von Koalitionären sein, dass solche Fragen öffentlich ausgetragen werden", fasst Hügelmann zusammen.
Trotz all der Zankerei auf Twitter sieht Hügelmann die Ampel nicht auf ein Scheitern zusteuern. Zwar sei die aktuelle Situation, mit der sich die relativ frisch vereidigte Regierung konfrontiert sieht, eine Zerreißprobe per se. Großen Zoff sieht Hügelmann aktuell trotzdem nicht auf die Ampel zukommen. Die Zukunft werde zeigen, wie die Kommunikation untereinander weiter verlaufen wird.