Wenige Sekunden Bewegtbild haben der CDU den Vorwurf des Rassismus beschert – und eine Debatte um den Umgang mit der sogenannten Clankriminalität. Auf dem kurzen Video, das die CDU vor wenigen Tagen über ihren offiziellen Account auf Instagram gepostet hatte, waren zwei Männer am Steuer eines Sportwagens zu sehen, einer davon dunkelhäutig. Eine Szene später werden beide von einem Einsatzwagen der Polizei überholt. Der Text über dem Video: "Damit kriminelle Clans nicht mehr Ferrari fahren, sondern Mercedes". Die CDU machte mit dem Clip darauf aufmerksam, dass der Bundestag unter anderem mit den Stimmen ihrer Abgeordneten mehrere Gesetze gegen Geldwäsche verschärft hatte.
Sogenannte Clankriminalität ist eine Form von organisierter Kriminalität, die einerseits seit Jahren wegen spektakulärer Taten für Aufsehen sorgt: Dazu gehören der Diebstahl einer riesigen Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum im Jahr 2017 und der Diebstahl von Juwelen aus dem "Grünen Gewölbe" in Dresden im November 2019. Regelmäßig finden Razzien der Polizei bei Verdächtigen aus der sogenannten Clankriminalität statt, zuletzt am Donnerstagmorgen in Berlin.
Über die Darstellung dieser Form von Kriminalität in Medien und Politik wird andererseits gestritten: Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren, erheben den Vorwurf, die Art, wie Clankriminalität thematisiert wird, sei teilweise rassistisch – oder befördere zumindest rassistische Stereotypen. Ein Teil der Kritiker findet das Wort an sich rassistisch.
Beispielhaft zeigten sich die Konfliktlinien in dem Streit um das Phänomen vor Kurzem in der Berliner SPD: Die Arbeitsgruppe AG Migration und Vielfalt LDK forderte im Oktober 2020 in einem Antrag zum Landesparteitag, der Begriff "Clankriminalität" solle nicht mehr verwendet werden. Die Forderung wurde später aus dem Antrag gestrichen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die für die SPD im Herbst Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden will, sagte stattdessen auf dem Parteitag: "Gute Politik beginnt mit dem Aussprechen von dem, was ist. Wir haben hier organisierte Clankriminalität in der Stadt, die macht den Leuten das Leben schwer".
Der Streit um das von der CDU gepostete Video hat nun wieder deutlich gemacht, wie kontrovers das Thema ist.
Clankriminalität definiert das Bundeskriminalamt (BKA) im jüngsten "Bundeslagebild organisierte Kriminalität" so:
In der Praxis werden damit kriminelle Organisationen bezeichnet, die aus Mitgliedern von Familien mit Wurzeln in den kurdischen Gebieten des Libanon, in arabischen Ländern, der Türkei, dem Maghreb oder dem Westbalkan bestehen. Laut BKA-Bundeslagebild machen die Verfahren wegen sogenannter Clankriminalität 7,8 Prozent aller Verfahren im Bereich organisierte Kriminalität aus.
Die wissenschaftliche Definition von "Clan" umfasst einen Familienverband, der sich von gleichen Vorfahren ableitet. In einem Beitrag der Rubrik "Faktenfinder" der ARD-Tagesschau wird der Ethnologe Thomas Zitelmann dazu zitiert. Er sagt: "Wichtig ist, dass die Verwandtschaft meist fiktiv – also konstruiert – ist. Clan-Mitglieder berufen sich auf Urväter, die es so gar nicht gegeben haben muss." Zittelmann sagte laut "Tagesschau.de" weiter, in Bezug auf arabische Großfamilien habe sich der Begriff durchgesetzt, ohne dass es dafür eine wissenschaftliche Begründung gebe.
Den Begriff lehnen manche Politiker aus SPD, Grünen und Linkspartei ab – sowie antirassistische Organisationen und die Polizisten-Berufsvereinigung "PolizeiGrün".
Problematisch am Begriff Clankriminalität ist laut Kritikern zum einen, dass dadurch auch jene Mitglieder bestimmter Großfamilien ins Zwielicht gerückt werden, die sich nie kriminell verhalten haben. Diese Menschen, so die Kritik, hätten es dadurch viel schwerer, an Jobs, Ausbildungsplätze oder Wohnnungen zu kommen.
Der zweite Kritikpunkt: Durch die Verwendung des Begriffs würden rassistische Klischees bestätigt. Die falsche Vorstellung mancher Menschen, dass aus bestimmten Kulturkreisen stammende Menschen ausschließlich in Parallelgesellschaften lebten und sich von der Mehrheitsgesellschaft abschotteten, werde dadurch verstärkt – was zu Diskriminierung führe und bis hin zu rassistischem Terror wie beim Anschlag von Halle im Februar 2020 führen könne.
Watson hat zwei Menschen um ihre Einschätzung zu dem Instagram-Post gebeten, die stark unterschiedliche Meinungen zur Darstellung von sogenannter Clankriminalität durch die CDU haben.
Autor Ralph Ghadbhan beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen. Ghadbhan, der selbst im Libanon geboren ist und seit knapp 50 Jahren in Berlin lebt. Er hat 2018 das Buch "Arabische Clans – Die unterschätzte Gefahr" veröffentlicht und seither Todesdrohungen aus dem Milieu der sogenannten Clankriminalität erhalten. Aus Ghadbhans Sicht ist die Kritik an dem Instagram-Video der CDU ein Beispiel der "üblichen Dummheit" im Umgang mit dieser Form der Kriminalität.
Gegenüber watson sagt Ghadbhan:
Wer die CDU für das Video kritisiere, orientiere sich an einer "falschen Moral" und habe "die Orientierung verloren", sagte Ghadbhan weiter.
SPD-Politikerin Derya Türk-Nachbaur hält das Video hingegen für problematisch. Türk-Nachbaur ist für die Sozialdemokraten Bundestagskandidatin für den Wahlkreis Schwarzwald-Baar und Ortenau im Südwesten von Baden-Württemberg. Sie engagiert sich gegen Rassismus – und hat das Instagram-Video der CDU nach dessen Veröffentlichung auf Twitter kritisiert.
Gegenüber watson erklärte Türk-Nachbaur, sie wolle "nicht die sogenannte Clankriminalität kleinreden". Die gebe es und sie sei auch ein Problem. Problematisch ist für sie allerdings der Kontext des Clips. "Die CDU wollte laut Überschrift einen Clip zum Geldwäschegesetz drehen und hat dafür ausdrücklich 'arabisch aussehende Männer' gesucht", erklärt Türk-Nachbaur. Die sogenannte Clankriminalität mache aber nur einen kleinen Teil des Geldwäsche-Problems aus. Wörtlich meint die SPD-Politikerin:
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung, wenige Tage vor dem ersten Jahrestag des rassistischen Attentats von Hanau, mache das Video besonders problematisch. Türk-Nachbaur meint dazu: "Während Menschen wie ich mit Einwanderungsgeschichte noch in Schockstarre sind und trauern, während wir seit einem Jahr intensive Gespräche über Stigmatisierungen und Alltagsrassismus führen, zeugt es von fehlender Sensibilität einer CDU, die Menschen mit arabischem Aussehen per se als Kriminelle zu stigmatisieren." Sie ergänzt: "Diese Bilder sind es, die sich bei Rassisten einbrennen."
Die CDU hat eine Nachfrage von watson zum Clip und zu dessen Löschung nicht beantwortet.