"Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin." Giorgia Meloni steigerte sich bei ihrer Wahlkampfrede. Sie machte klar, dass sie für ein traditionelles Familienbild stehe. Damit war sie erfolgreich: Giorgia Meloni ist die erste Ministerpräsidentin Italiens.
Bei der Parlamentswahl im September dieses Jahres tönte sie mit Parolen gegen LGBTIQ+-Personen, machte mit einer kruden Formulierung konservativen Wähler:innen Angst vor einem "Abtreibungs-Zwang" und forderte "das Recht, nicht abtreiben zu müssen" und vertritt auch seit ihrer Wahl zur Regierungschefin ein erzkonservatives bis rechtspopulistisches Familienbild.
Weshalb propagiert Meloni eine Politik, die frauenfeindlich ist? Dabei ist sie nicht die einzige Frau, die einer rechtspopulistisch bis rechtsextremen Partei vorsteht. In Europa werden mehrere Parteien aus dem rechten Spektrum von Frauen angeführt.
Bis 2022 führt Marine Le Pen rund ein Jahrzehnt die Partei Rassemblement National (früher Front National) an. Bei der Stichwahl zur Präsidentschaftswahl in Frankreich stimmten mehr als 41 Prozent der Wähler:innen für die rechtsextreme Kandidatin. Sie unterlag dem liberalen Konkurrenten Emmanuel Macron.
In Finnland steht die Politikerin Riikka Purra der rechtsextremen Die Finnen (früher die Wahren Finnen) vor und in Rumänien ist mit Adela Mirza eine Frau Vorsitzende der rechtsextremen Die rechte Alternative. Und in Deutschland ist Alice Weidel seit 2022 eine der beiden Vorsitzenden der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD).
Wie kommt es, dass Frauen vermeintlich Politik gegen ihre eigenen Interessen vertreten und betreiben?
Wenn es um das Beispiel Weidel und die AfD geht, fällt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder ein deutliches Urteil. Der Wissenschaftler, der an der Universität Kassel unter anderem zum Thema Rechtspopulismus und -extremismus forscht, sagt dazu gegenüber watson:
Weidel lebt privat in einem Familienmodell, das die AfD in ihren Programmen und ihrer Propaganda diametral entgegensteht. Sie hat eine Partnerin, die zudem Migrationsgeschichte aufweist, wie im Artikel der "Südwest Presse" zu lesen ist.
Einen Erklärungsansatz, weshalb sich Frauen rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien anschließen, ist laut Schroeder, weil sie dort angenommen und gefordert würden. Er sagt:
Frauen an der Spitze suggerieren zudem, dass diese Parteien Politik für Frauen machen würden. So sollten vor allem auch Wählerinnen angesprochen werden. Schroeder sagt dazu: "Zur Profilbildung setzen sie Frauen ins Schaufenster. Das ist ein bildhaftes Moment ihrer Selbstverharmlosung."
Für Schroeder ist der weibliche Vorstand eine strategische Außendarstellung. Man zeichne bewusst ein Bild für die Wähler:innen – dem tatsächlichen Wirken der Partei entspreche dieses Bild allerdings nicht. Sie hätten insgesamt das Bemühen, sich als Anwalt der Mehrheit zu begreifen. Er sagt:
Es sei paradox, dass sich diese Parteien und Frauen an der Spitze als bürgerlich identifizierten, dies aber keineswegs seien. "Sie inszenieren sich als Anwalt der kleinen Leute, was sie nicht sind", sagt Schroeder weiter.
Wenn es um den Erfolg rechter Parteien gehe, werde viel zu oft nur auf das Thema Migration geschaut und die Geschlechterdebatte außen vor gelassen, meint Angelika von Wahl, Professorin für Internationale Beziehungen am Lafayette College in Pennsylvania. In der "Berliner Zeitung" sagt sie: "Ich glaube, sie ist ganz zentral für rechte Parteien."
Die AfD nenne die Debatte um Geschlecht und Identität "Gender-Gaga" und heize diese durch "provokative Sprache" zudem noch an. Von Wahl sagt weiter: "So kann man Wähler, die davon verwirrt sind, motivieren, zur Wahl zugehen." Und: Es erscheine Wähler:innen glaubwürdiger, wenn es Frauen äußerten.
"Rechte Parteien warnen vor dem Zwang zur Erwerbstätigkeit und Doppelbelastung", sagt die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer von der Uni Wien im Interview mit der "Berliner Zeitung". Sie würden zwar in die Erwerbsarbeit eingegliedert, aber das Familienmodell mit dem Mann als "Ernährer" sei immer noch institutionalisiert, meint die Wissenschaftlerin. Damit einher gehe bei Frauen "das schlechte Gewissen, keine gute Mutter zu sein."
Politikerinnen wie Weidel oder Meloni stünden selbst außerhalb der klassischen Mutterrolle. Doch sie könnten gewisse Forderungen glaubhafter verkörpern als Männer, meint Wissenschaftlerin von Wahl im Interview mit der "Berliner Zeitung". Sie sagt: "Die Wähler glauben das eher, wenn man tatsächlich Mutter ist." Das trifft sowohl auf Meloni zu, als auch auf Weidel, die mit ihrer Partnerin zwei Kinder großzieht.
Die AfD und andere rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Parteien nutzten antifeministische Politik als Argument, um Wähler:innen anzusprechen, die gegen eine Frauenquote, gegen das Gendern, gegen Abtreibung sind.
Und das mit Erfolg: Birgit Sauer macht im Interview mit der "Berliner Zeitung" klar: Deutlich mehr Männer als Frauen wählten die Rassemblement National. Doch unter der Führung Le Pens hat sich der Abstand verkleinert. Das zeige, meint Sauer: Weibliche Führung kann zur Erweiterung der Wählerklientel rechter Parteien beitragen.
Indem sie Frauen an die Spitze ihrer Parteien stellen, erwecken sie den Eindruck, eine Politik zu machen, die auch für Frauen gut sei.