Knapp 100.000 Frauen in Deutschland entscheiden sich jedes Jahr gegen eine Fortführung der bestehenden Schwangerschaft – und somit für einen Schwangerschaftsabbruch. Dies ist eine Entscheidung, die wohl keine betroffene Frau leichtfertig fällt. Bisher wurden Frauen von der Gesetzgebung viele Hürden in den Weg gestellt. Die neue Regierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, den Weg zum Abbruch zu erleichtern.
Bisher ist das alles nämlich gar nicht so einfach. Stellt eine Frau in Deutschland fest, dass sie ungewollt schwanger ist, muss sie zunächst einige Stationen durchlaufen:
Zumindest eine dieser Hürden soll von der neuen Ampelkoalition nun aus dem Weg geräumt werden. Im Koalitionsvertrag haben sich die Parteien darauf verständigt, dass der Paragraf 219a StGB gestrichen werden soll. Das heißt: Ärzte sollen künftig über die Methoden und die Kosten von Abtreibungen auf ihrer eigenen Webseite informieren dürfen. Frauen können sich also im Vorhinein erkundigen, zu welchem Arzt sie gehen können.
Dieser Paragraf soll von der Ampelkoalition nun also gekippt werden. Wörtlich heißt es dazu im Koalitionsvertrag:
Watson hat mit verschiedenen Experten zu diesem Thema gesprochen und zu den Konsequenzen befragt, die dieses Gesetzes-Vorhaben mit sich bringt.
Pro Familia ist ein Verbund von Beratungsstellen in Deutschland. Sie können also den Beratungsschein ausstellen, den die Frauen für einen Eingriff benötigen.
Regine Wlassitschau von Pro Familia begrüßt den Vorstoß der Ampelkoalition zur Abschaffung des Paragrafen 219a. Damit würde eine Lücke geschlossen, die selbsternannte "Lebensschützer" ausgenutzt hatten, um "Ärztinnen und Ärzte anzuzeigen und somit unter Druck zu setzen." Weiter sagt sie: "Wir sind sehr froh, dass dies nun bald nicht mehr der Fall sein wird."
Aus Sicht von Wlassitschau ist die Arbeit der Koalition damit aber noch nicht getan. Auch die anderen Regelungen erschwerten den Frauen die ohnehin schon schwierige Situation. So sieht die Sprecherin von Pro Familia einen Widerspruch zwischen einer Beratung und einer gesetzlichen Verpflichtung: "Wir gehen davon aus, dass die Frauen das gut selbst entscheiden können. Wenn sie eine Beratung benötigen, dann sollten sie selbstverständlich eine Beratung haben. Aber eben auf freiwilliger Basis."
Neben der noch bestehenden Drei-Tage-Bedenkzeit und der Beratungspflicht sieht Pro Familia ein weiteres Problem, welches sich in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen wird: Es gibt immer weniger Ärzte, die Schwangerschaftsabbruch anbieten. "Diese engagierten Ärztinnen und Ärzte gehen jetzt nach und nach in Rente. Und die Frage ist, was kommt danach?", sagt Wlassitschau. Viele Ärztinnen und Ärzte, die den Abbruch anbieten, gehören nämlich in die Protestgeneration der Siebzigerjahre. Später ist das Thema in der Öffentlichkeit lange nicht mehr so präsent gewesen. Das räche sich nun.
Wlassitschau sagt:
Es gebe auch Frauen, die Angst hätten, bei ihrem Arzt in der Kleinstadt erkannt zu werden und daraufhin Diskriminierung zu erfahren. "Das alles zeigt, dass wir noch weit davon entfernt sind, dass der Schwangerschaftsabbruch einfach als eine Tatsache akzeptiert wird, die im Leben einer Frau passieren kann", schließt Wlassitschau.
Die Bundesbeauftragte für Medizinethik des humanistischen Verbands, Gita Neumann, ist ebenfalls nicht komplett von dem Vorstoß überzeugt. Gegenüber watson kritisiert sie: "Für mehr hat's nicht gereicht".
Ethische Bedenken sieht Neumann bei der Abschaffung von Paragraf 219a nicht, im Gegenteil:
Bereits in der Vergangenheit hatte es Vorstöße gegeben, den Paragrafen 219a streichen zu lassen. Neumann erinnert: "Im ersten Anlauf ist es nicht zur Streichung gekommen, da die SPD in der Großen Koalition umgefallen ist. Es kam nur zur unsinnigen Kompromissvariante, die niemandem hilft."
Bereits von Anfang an sei die Regelung der Schwangerschaftsabbrüche ein fauler Kompromiss gewesen, so Neumann. Seit 1995 habe niemand die Gesamtregelung anfassen wollen. Und auch jetzt, so kritisiert Neumann, ist lediglich von einem Prüfauftrag die Rede. "Die Beratungspflicht und die Regelung der drei Tage Bedenkzeit bringen genauso wenig wie 219a, sie sind nur Kosmetik."
Ob sie glaubt, dass sich durch die Ankündigung im Koalitionsvertrag, Schwangerschaftsabbrüche im Medizinstudium zu integrieren, etwas ändern wird? "Es steht bereits genauso im Schwangerschaftskonfliktgesetz, in der Sondergesetzgebung zum Strafrechtsparagrafen. Getan hat sich bisher nichts. Wünschenswert wäre es jedoch."
Aus Sicht von Sönke Rix, dem frauenpolitischen Sprecher der SPD, ist es höchste Zeit, den Paragrafen endlich zu streichen. Er sagt:
Deshalb begrüße er es, dass die Koalition sich nun dieser Problematik annehmen wolle.
Auch für Ulle Schauws, die frauen- und queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, ist klar, dass Frauen frei zugängliche und schnelle Informationen brauchen, wenn sie einen solchen Eingriff erwägen.
Gegenüber watson sagt Schauws:
Sie zeigt sich optimistisch, dass die neue Ampel-Regierung einen Unterschied zur vorangegangenen Politik machen werde.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe befürwortet die Pläne der neuen Regierung. Es sei offensichtlich, dass die Abschaffung des Paragrafs 219a für Ärztinnen und Ärzte sowie für betroffene Frauen eine positive Entwicklung darstelle, heißt es vonseiten der Gesellschaft.
Wie eine Sprecherin gegenüber watson ausführt:
Experten und Politik scheinen sich also einig zu sein, dass der Vorstoß der Koalition ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wie schnell diese Entwicklung eintreten und gesetzlich festgezurrt werden wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt wird aber auch in Zukunft die Entscheidung über einen solchen Abbruch weiterhin mit Hürden verbunden sein.