In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Protesten gegen die derzeitige Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Bild: www.imago-images.de / bStefan Boness/Ipon
Analyse
13.12.2021, 15:5113.12.2021, 16:09
Knapp 100.000 Frauen in Deutschland entscheiden sich jedes Jahr gegen eine Fortführung der bestehenden Schwangerschaft – und somit für einen Schwangerschaftsabbruch. Dies ist eine Entscheidung, die wohl keine betroffene Frau leichtfertig fällt. Bisher wurden Frauen von der Gesetzgebung viele Hürden in den Weg gestellt. Die neue Regierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, den Weg zum Abbruch zu erleichtern.
So kompliziert ist bisher der Ablauf
Bisher ist das alles nämlich gar nicht so einfach. Stellt eine Frau in Deutschland fest, dass sie ungewollt schwanger ist, muss sie zunächst einige Stationen durchlaufen:
- Ein verpflichtendes Beratungsgespräch mit einer unabhängigen Beratungsstelle. Dort erhält sie dann auch den Beratungsschein, ohne den sie eine Abtreibung nicht vornehmen lassen darf. Zusätzlich erhält die ungewollt Schwangere eine Adressliste mit Ärzten, die einen solchen Eingriff anbieten.
- Nach der Beratung ist eine dreitätige "Bedenkzeit" gesetzlich vorgeschrieben. Erst nach Ablauf dieser Frist darf ein Arzt die Abtreibung vornehmen.
- Erst nach diesen Stationen kann eine Frau den Eingriff vornehmen lassen, vorausgesetzt, die Schwangerschaft besteht erst seit höchstens zwölf Wochen.
Zumindest eine dieser Hürden soll von der neuen Ampelkoalition nun aus dem Weg geräumt werden. Im Koalitionsvertrag haben sich die Parteien darauf verständigt, dass der Paragraf 219a StGB gestrichen werden soll. Das heißt: Ärzte sollen künftig über die Methoden und die Kosten von Abtreibungen auf ihrer eigenen Webseite informieren dürfen. Frauen können sich also im Vorhinein erkundigen, zu welchem Arzt sie gehen können.
Was besagt der Paragraf 219a StGB eigentlich?
Der Paragraf 219a trägt den Titel "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft". Darin heißt es, dass es Ärzten verboten ist, einen Schwangerschaftsabbruch "anzubieten, anzukündigen, anzupreisen" und Erklärungen dazu abzugeben. Sollten sie dies tun, droht ihnen eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Seit einer Reform des Paragrafen im Jahr 2019 dürfen Ärzte zumindest darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten – nicht jedoch, mit welchen Methoden oder welche Kosten damit verbunden sind.
Dieser Paragraf soll von der Ampelkoalition nun also gekippt werden. Wörtlich heißt es dazu im Koalitionsvertrag:
"Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB."
Watson hat mit verschiedenen Experten zu diesem Thema gesprochen und zu den Konsequenzen befragt, die dieses Gesetzes-Vorhaben mit sich bringt.
Pro Familia befürwortet das Vorhaben, sieht aber weiteren Änderungsbedarf
Pro Familia ist ein Verbund von Beratungsstellen in Deutschland. Sie können also den Beratungsschein ausstellen, den die Frauen für einen Eingriff benötigen.
Regine Wlassitschau von Pro Familia begrüßt den Vorstoß der Ampelkoalition zur Abschaffung des Paragrafen 219a. Damit würde eine Lücke geschlossen, die selbsternannte "Lebensschützer" ausgenutzt hatten, um "Ärztinnen und Ärzte anzuzeigen und somit unter Druck zu setzen." Weiter sagt sie: "Wir sind sehr froh, dass dies nun bald nicht mehr der Fall sein wird."
"Frauen können gut selbst entscheiden."
Regine Wlassitschau von Pro Familia
Aus Sicht von Wlassitschau ist die Arbeit der Koalition damit aber noch nicht getan. Auch die anderen Regelungen erschwerten den Frauen die ohnehin schon schwierige Situation. So sieht die Sprecherin von Pro Familia einen Widerspruch zwischen einer Beratung und einer gesetzlichen Verpflichtung: "Wir gehen davon aus, dass die Frauen das gut selbst entscheiden können. Wenn sie eine Beratung benötigen, dann sollten sie selbstverständlich eine Beratung haben. Aber eben auf freiwilliger Basis."
Proteste in München im Oktober diesen Jahres. Bild: www.imago-images.de / Sachelle Babbar
Neben der noch bestehenden Drei-Tage-Bedenkzeit und der Beratungspflicht sieht Pro Familia ein weiteres Problem, welches sich in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen wird: Es gibt immer weniger Ärzte, die Schwangerschaftsabbruch anbieten. "Diese engagierten Ärztinnen und Ärzte gehen jetzt nach und nach in Rente. Und die Frage ist, was kommt danach?", sagt Wlassitschau. Viele Ärztinnen und Ärzte, die den Abbruch anbieten, gehören nämlich in die Protestgeneration der Siebzigerjahre. Später ist das Thema in der Öffentlichkeit lange nicht mehr so präsent gewesen. Das räche sich nun.
Wlassitschau sagt:
"Wir haben in Deutschland bereits die Situation, dass es in manchen Regionen so gut wie keine Ärztinnen und Ärzte gibt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Da muss man als Frau erstmal wissen, wohin man gehen kann und wie man dorthin kommt. Das ist ja manchmal auch eine logistische Herausforderung. Wir haben viele ungewollt schwangere Frauen, die schon Kinder haben. Die müssen erst mal organisieren, wie sie dann vielleicht 100 Kilometer zum Schwangerschaftsabbruch kommen."
Es gebe auch Frauen, die Angst hätten, bei ihrem Arzt in der Kleinstadt erkannt zu werden und daraufhin Diskriminierung zu erfahren. "Das alles zeigt, dass wir noch weit davon entfernt sind, dass der Schwangerschaftsabbruch einfach als eine Tatsache akzeptiert wird, die im Leben einer Frau passieren kann", schließt Wlassitschau.
Medizinethikerin sagt: "Für mehr hat's nicht gereicht"
Die Bundesbeauftragte für Medizinethik des humanistischen Verbands, Gita Neumann, ist ebenfalls nicht komplett von dem Vorstoß überzeugt. Gegenüber watson kritisiert sie: "Für mehr hat's nicht gereicht".
Ethische Bedenken sieht Neumann bei der Abschaffung von Paragraf 219a nicht, im Gegenteil:
"Wenn er nicht abgeschafft worden wäre, hätte ich eher Bedenken gehabt. Denn auch in seiner reformierten Form von 2019 ist er unsinnig. In der bisherigen Form bringt er nicht einmal etwas für die Menschen, die ethische Bedenken haben. Es handelt sich nur um schikanöse Maßnahmen, um es allen Beteiligten am Schwangerschaftsabbruch schwerer zu machen."
Bereits in der Vergangenheit hatte es Vorstöße gegeben, den Paragrafen 219a streichen zu lassen. Neumann erinnert: "Im ersten Anlauf ist es nicht zur Streichung gekommen, da die SPD in der Großen Koalition umgefallen ist. Es kam nur zur unsinnigen Kompromissvariante, die niemandem hilft."
Bereits von Anfang an sei die Regelung der Schwangerschaftsabbrüche ein fauler Kompromiss gewesen, so Neumann. Seit 1995 habe niemand die Gesamtregelung anfassen wollen. Und auch jetzt, so kritisiert Neumann, ist lediglich von einem Prüfauftrag die Rede. "Die Beratungspflicht und die Regelung der drei Tage Bedenkzeit bringen genauso wenig wie 219a, sie sind nur Kosmetik."
Ob sie glaubt, dass sich durch die Ankündigung im Koalitionsvertrag, Schwangerschaftsabbrüche im Medizinstudium zu integrieren, etwas ändern wird? "Es steht bereits genauso im Schwangerschaftskonfliktgesetz, in der Sondergesetzgebung zum Strafrechtsparagrafen. Getan hat sich bisher nichts. Wünschenswert wäre es jedoch."
"Ein gutes Signal": SPD und Grüne zeigen sich optimistisch
Aus Sicht von Sönke Rix, dem frauenpolitischen Sprecher der SPD, ist es höchste Zeit, den Paragrafen endlich zu streichen. Er sagt:
"Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch sorgt für Rechtsunsicherheit unter Ärztinnen und Ärzten. Es ist höchste Zeit, dass Ärzt:innen öffentlich Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Der freie und einfache Zugang zu sachlichen medizinischen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche muss gewährleistet sein."
Deshalb begrüße er es, dass die Koalition sich nun dieser Problematik annehmen wolle.
Sönke Rix ist seit 2005 Mitglied des Bundestags.Bild: IMAGO / Future Image
Auch für Ulle Schauws, die frauen- und queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, ist klar, dass Frauen frei zugängliche und schnelle Informationen brauchen, wenn sie einen solchen Eingriff erwägen.
Gegenüber watson sagt Schauws:
"Dass wir den Paragrafen 219a StGB in der neuen Ampelregierung endlich streichen, ist ein gutes Signal. Damit schaffen wir Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und darüber informieren. Für Patientinnen und Patienten schaffen wir die Möglichkeit, sich zu informieren, wer Abbrüche anbietet und mit welchen Methoden."
Sie zeigt sich optimistisch, dass die neue Ampel-Regierung einen Unterschied zur vorangegangenen Politik machen werde.
Ulle Schauws ist seit 2013 Mitglied des Bundestags. Bild: IMAGO / Revierfoto
Gesellschaft für Gynäkologie: "Politisches Gezerre in der Vergangenheit war dem Ernst der Sache nicht angemessen"
Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe befürwortet die Pläne der neuen Regierung. Es sei offensichtlich, dass die Abschaffung des Paragrafs 219a für Ärztinnen und Ärzte sowie für betroffene Frauen eine positive Entwicklung darstelle, heißt es vonseiten der Gesellschaft.
Wie eine Sprecherin gegenüber watson ausführt:
"Das politische Gezerre der jüngeren Vergangenheit war dem Ernst der Sache nicht angemessen, respektlos gegenüber uns Frauenärztinnen und Frauenärzten und zutiefst verantwortungslos gegenüber Frauen in Schwangerschaftskonflikten."
Experten und Politik scheinen sich also einig zu sein, dass der Vorstoß der Koalition ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wie schnell diese Entwicklung eintreten und gesetzlich festgezurrt werden wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt wird aber auch in Zukunft die Entscheidung über einen solchen Abbruch weiterhin mit Hürden verbunden sein.