Das Jahr 2021 ist in Deutschland ein Superwahljahr. Nicht nur der Bundestag wird im Herbst neu gewählt, auch in sechs Bundesländern werden die Landesparlamente neu besetzt. Der Auftakt ist an diesem Wochenende: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz finden am Sonntag Landtagswahlen statt.
Unter den Wählern sind rund drei Millionen junge Menschen bis 35. In Rheinland-Pfalz können über 900.000 Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren ihre Stimme abgeben, in Baden-Württemberg sind es sogar über zwei Millionen.
Aber welche politischen Themen sind jungen Menschen eigentlich wichtig? Und wen wollen sie am Sonntag wählen – und warum?
Wer an junge Wähler und Wählerinnen denkt, denkt häufig an Klimastreiks, an die Grünen, an Aufstand gegen die spießigen Eltern oder die alten weißen Männer.
Aber: Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass die junge Generation konservativer ist, als viele vielleicht vermuten würden. Für die Shell-Jugendstudie wurden im Jahr 2019 Zwölf- bis 25-Jährige zu ihrer Lebenswelt befragt. 87 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen Tugenden wie "die Respektierung von Gesetz und Ordnung" wichtig seien. 77 Prozent befürworteten, "nach Sicherheit zu streben". Diese Antworten klingen nicht unbedingt nach linken Revoluzzern. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nach der letzten Bundestagswahl zeigte: Die meisten Wahlberechtigten zwischen 18 und 24 Jahren, nämlich rund 25 Prozent, wählten damals die CDU.
Auch Marvin* findet nicht, dass sich jung und konservativ sein gegenseitig ausschließt. Der 20-Jährige hat vor einem halben Jahr angefangen, in Koblenz auf Lehramt zu studieren. Für die Landtagswahlen habe er bereits per Briefwahl abgestimmt, erzählt er. Und zwar für die CDU. "Die CDU legt einen Schwerpunkt auf Bildungspolitik und will zum Beispiel kleinere Klassen einführen, das finde ich gut."
Außerdem sei er mit der Corona-Politik in Rheinland-Pfalz unzufrieden. "Ich war seit dem Beginn meines Studiums kaum an der Uni. Und was mich dann richtig aufgeregt hat: Es gab quasi keine Präsenzveranstaltungen und trotzdem sollten wir im Januar plötzlich Klausuren vor Ort mit 100 Leuten in einem Raum schreiben." Für Marvin ist das auch ein Politikversagen: "Die Regierung in Rheinland-Pfalz hätte die Unis mehr unterstützen müssen."
Bei den letzten Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz schnitt bei jungen Leuten die SPD am besten ab: Über 30 Prozent der 18- bis 34-Jährigen stimmten damals für die Sozialdemokraten.
Auch insgesamt räumte die SPD 2016 mit 36 Prozent von allen Parteien das beste Ergebnis ab. Der Landtag wählte Malu Dreyer später zur Ministerpräsidentin. Diesmal könnte es knapper für die Sozialdemokraten werden. Seit Wochen liefern sich SPD und CDU in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Aktuell liegt die SPD jedoch in den Umfragen ein paar Prozentpunkte vorne.
Petra* wird die SPD bei diesem Rennen unterstützen. Sie ist Ende 20 und arbeitet im Marketing-Bereich. Vor einigen Jahren zog sie nach Mainz, obwohl ihr Unternehmen damals in Frankfurt am Main beheimatet war. Die Stadt hat ihr so gut gefallen, dass sie das Pendeln in Kauf nahm.
Inzwischen ist sie dort auch Mutter geworden. Lieber Rheinland-Pfalz als Hessen. Viele ihrer ehemaligen Kollegen taten es ihr gleich und zogen die ruhigere Stadt am Rhein der Main-Metropole vor. Für Petra und ihren Freund war klar, dass sie SPD wählen würden. Ausschlaggebend war Malu Dreyer. Petra findet, dass die Ministerpräsidentin gut ist für Rheinland-Pfalz. "Sie setzt sich viel für Familie und bezahlbaren Wohnraum ein. Für mich als junge Mama auf der Suche nach einer größeren, bezahlbaren Wohnung ist das die erste Wahl."
Winfried Kretschmann könnte man als den politischen Titan Baden-Württembergs bezeichnen. Er hat es als erster Grüner ins Amt des Ministerpräsidenten geschafft und ist beliebt. Trotz der Herausforderungen der Corona-Krise sind noch immer 69 Prozent der Baden-Württemberger mit Kretschmanns Arbeit zufrieden.
Auch für Michael* ist Kretschmann letztlich ausschlaggebend für die Wahlentscheidung. Michael ist Anfang 30 und Realschullehrer im Schwarzwald. Erst vor Kurzem wurde sein zweites Kind geboren. Er und seine Frau haben sich ein Einfamilienhaus gekauft, in dem die junge Familie nun wohnt. Beide sind verbeamtete Lehrer an derselben Schule.
Es gab eine Zeit, in der solche Beamten-Familien im ländlichen Raum zum Stammwählerklientel der CDU gehörten. Damals, als die Union noch den Ministerpräsidenten stellte. Heute sieht das anders aus. Michael fühlt sich von der Kultusministerin Susanne Eisenmann vergessen. Sie habe offensichtlich komplett dabei versagt, Hygiene-Konzepte für Schulen zu erarbeiten und wollte dann trotzdem schnell wieder öffnen. Die Lehrer würden als Versuchskaninchen verheizt, findet er.
Wählen würde er die CDU nur, um dafür zu sorgen, "dass Susanne Eisenmann als Ministerpräsidentin nicht mehr Kultusministerin ist", meint er lachend. So wie ihm gehe es vielen im Lehrerkollegium. Für sie sei die CDU durch das Versagen ihrer Kultusministerin als Partei unwählbar geworden. An ihre Stelle treten nun die Grünen. "Kretschmann ist ein sympathischer Typ, war ja selbst mal Lehrer und er macht auch einfach einen guten Job", sagt Michael. Richtig überzeugt ist er von den Grünen nicht. Aber besser, als die CDU zu wählen, sei eine Stimme für die Grünen allemal. Ob er sie auch ohne Winfried Kretschmann als Spitzenkandidat wählen würde, weiß er nicht.
Nicht alle jungen Wahlberechtigten fühlen sich allerdings von der Politik abgeholt. Rund jeder fünfte Deutsche zwischen 16 und 26 Jahren ist laut einer Studie der TUI-Stiftung unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland. Und nur knapp ein Viertel der jungen Befragten hatte das Gefühl, dass ihre Interessen im Parlament vertreten werden.
Das zeigt sich auch in der Wahlbeteiligung. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte die Altersgruppe der 21- bis 24-Jährigen mit 67 Prozent die niedrigste Wahlbeteiligung. Und auch insgesamt lag die Wahlbeteiligung zwischen 18 und 34 Jahren mit 69,4 Prozent deutlich niedriger als die bei den höheren Altersgruppen. Dort lag die Wahlbeteiligung durchschnittlich bei 77,6 Prozent.
Ein anderer Weg, seine Unzufriedenheit auszudrücken, ist der, den Tim* geht. Tim ist Ende 20 und lebt in der Nähe von Stuttgart. Er ist enttäuscht von der Politik der großen Parteien. Sie seien zu weit weg von den Wählern und hätten keine Zukunftskonzepte, gerade für junge Menschen. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg will Tim deshalb zum ersten Mal die Satirepartei Die Partei wählen. Die machen inzwischen eben auch richtige Politik und die Arbeit von Martin Sonneborn im Europa-Parlament findet er gut.
Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg bilden den Auftakt zum Superwahljahr 2021: Im Juli wird in Sachsen-Anhalt gewählt, im September voraussichtlich in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen. Und dann ist da noch die Bundestagswahl im September: Über 60 Millionen Deutsche können dieses Jahr ein neues Parlament wählen.
Über acht Millionen von ihnen sind noch jünger als 30 Jahre. Wie sie jetzt am Wochenende abstimmen, könnte für die Parteien ein wichtiges Indiz dafür sein, wie sie die jungen Wähler in den nächsten Monaten ansprechen müssen – und wie sie junge Menschen auch wieder für Politik begeistern können.
Junge Wählerinnen und Wähler einfach zu ignorieren, das kann für Parteien schmerzhaft werden, wie die Europawahl 2019 gezeigt hat. Damals haben die Unter-30-Jährigen mit über 30 Prozent die Grünen gewählt und die sogenannten Volksparteien SPD und CDU massiv abgestraft. Verantwortlich dafür war auch das Video des Youtubers Rezo, der insbesondere die Union für ihre Klimapolitik hart anging.
Die CDU hat sich seither große Mühe gegeben, dem Eindruck entgegenzuwirken, digital abgehängt zu sein und keinen Kontakt mehr zu jungen Leuten zu haben. Ob sie damit erfolgreich war, wird sich an diesem Wochenende zeigen.
* Da die im Text genannten Personen lieber nicht öffentlich machen wollen, wen sie wählen, haben wir ihre Namen geändert.