Als Anhänger Donald Trumps am 6. Januar 2021 das US-Kapitol stürmten, gingen nicht nur Fensterscheiben zu Bruch. Auch das Vertrauen in die Stabilität der US-amerikanischen Demokratie wurde schwer beschädigt.
Für viele Linke und Liberale steht Trump seitdem für einen nie dagewesenen, undemokratischen Politikstil, der selbst die Watergate-Affäre in den Schatten stellt.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums, bei den Republikanern, laufen sich seitdem Unterstützerinnen und Unterstützer des ehemaligen Präsidenten für dessen Wiederwahl 2024 warm.
Wie geht es dem Land ein Jahr nach dem Sturm auf den US-Kongress – und was bedeutet dies für die Beziehungen zu Deutschland? Watson hat mit Vertretern beider Lager gesprochen.
Der 30-jährige New Yorker David Katz erinnert sich: "Ich habe mich gefragt, was ist das endgültige Ziel dieser Aktion? Ihr stürmt das Kapitol, und was soll dann genau passieren?", erzählt er im Gespräch mit watson.
Katz ist Mitglied der Democratic Socialists of America, einer linkssozialistischen Organisation, die im Vorwahlkampf 2016 den Demokraten Bernie Sanders unterstützt hat.
"Bei den Menschen haben sich eine Menge Wut und Ressentiments angestaut, weil sie während der Covid-Pandemie von der Regierung vernachlässigt wurden", sagt David Katz, der als Fotograf arbeitet und zu einem Viertel deutsche Wurzeln hat.
Die von Donald Trump verbreiteten Verschwörungstheorien über einen angeblichen Wahlbetrug hätten dem Vertrauen in das Wahlsystem erheblich geschadet. "Dieses ist tatsächlich in bestimmter Hinsicht kaputt, aber nicht so, wie Trump und seine Wähler behaupten."
Es sei nun Aufgabe der jungen Generation, sich gegenseitig politisch aufzuklären und zu informieren und alle Ansichten zu berücksichtigen.
"Je früher wir erkennen, dass wir grundsätzlich das Gleiche wollen, desto eher können wir gemeinsam auf ein Land hinarbeiten, das seinen Menschen effektiver dient", sagt David Katz.
Benjamin Wolfmeier steht als Sprecher der Republicans Overseas Germany auf der anderen Seite des politischen Spektrums.
Die Organisation vereint in Deutschland lebende Amerikaner, die sich der Grand Old Party zugehörig fühlen, wie die Republikaner auch bezeichnet werden. Er selbst ist Deutscher, die Familie seiner Mutter stammt aus den USA.
"Die Republikanische Partei hat sich durch Donald Trump positiv verändert", sagt Wolfmeier. "Die Partei ist durch ihn und sein Team die Partei der Schwarzen und der Arbeiter geworden, was ihm Wahlerfolge beschert hat."
Die am Ende in Gewalt ausgearteten Proteste lehne er grundsätzlich ab, ergänzt er, aber das sei von den deutschen Medien zum Teil auch aufgebauscht worden. Trump selbst habe nie dazu aufgerufen.
Dass die Präsidentschaftswahl zu Gunsten des Demokraten Joe Biden gefälscht worden sei, glaubt auch er. "Wenn man sich mit dem Wahlsystem auskennt und die einzelnen Bundesstaaten versteht, sieht man, dass einiges nicht zusammenpasst."
Die Ergebnisse in manchen Bundesstaaten wirkten, als ob man dreimal hintereinander im Lotto gewinnen würde. "Für mich ist ganz klar, dass die Wahl gestohlen wurde."
Juristisch sei Joe Biden legitim im Amt, sagt Benjamin Wolfmeier. Die Republikaner müssten sich nun auf die Präsidentschaftswahl 2024 konzentrieren.
Dafür, dass diese nicht wieder an Donald Trump oder die Republikaner geht, arbeitet Stefan Liebich. Bis zum vergangenen Jahr saß er für die Linke im Bundestag und war 12 Jahre lang Vize-Vorsitzender der Parlamentariergruppe USA.
In der Funktion hat er die Vereinigten Staaten immer wieder bereist und zahlreiche politische und zivilgesellschaftliche Kontakte geknüpft. Auf Anfrage von watson erinnert er sich an die Ereignisse 2021:
Er habe geglaubt, dass sich nach dem Schock der Kapitol-Erstürmung auch bei den Republikanern etwas bewegt habe.
Einige von ihnen hätten die Taten verurteilt und es habe für kurze Zeit die Hoffnung gegeben, dass sie sich nun wieder auf ihre Aufgabe als konservative, aber demokratische Partei besinnen.
"Das war eine falsche Hoffnung, die Stimmen wurden sehr leise und heute sind sie vor allem eine autoritäre Trump-Sekte", sagt Liebich.
Seit seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im vergangenen Jahr widmet sich der Politiker ganz der US-amerikanischen Politik. Zum einen mit seinem Blog-Projekt "progressive-america.de", mit dem er nach eigenen Angaben die bunte, weltoffene Seite der USA zeigen will.
Zum anderen ist er seit Jahresbeginn Fellow der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung für transatlantische Themen und wird 2022 insgesamt sechs Monate in den USA und Kanada in gleicher Mission verbringen.
"Auf der politisch progressiven Seite existiert ein unheimlich großer Aufschwung, das ist faszinierend", sagt Liebich. In Deutschland höre man vor allem negative Geschichten über Donald Trump, den 6. Januar, Kriege und so mehr.
Die US-Linke habe zuletzt völlig am Boden gelegen. "Aber dann kam wieder Schwung in die Bewegung."
Bei den Vorwahlen der Präsidentschaftswahl 2016 seien zehntausende Menschen auf den Beinen gewesen, um den demokratischen Sozialisten Bernie Sanders bei seinen Kundgebungen zuzujubeln.
"Diese Bewegung ist immer noch da und aktiv, mittlerweile auch als Mitarbeitende im US-Kongress oder als Abgeordnete. Es gibt also Hoffnung."
Auch Außenministerin Annalena Baerbock hat sich jüngst öffentlich zu dem Sturm auf das Kapitol geäußert. Während ihres Antrittsbesuches in Washington am Mittwoch sagte die Grünen-Politikerin:
"Wir haben vor einem Jahr als Deutsche, als Europäer, alle in tiefer, tiefer Freundschaft und erschüttert nach Washington geschaut." Das sei nicht nur an der US-Hauptstadt, sondern auch an vielen Menschen in Deutschland nicht spurlos vorbeigegangen.
Sie bewegt sich damit auf sensiblem Terrain. Denn dass Donald Trump in zwei Jahren erneut als Präsident kandidiert – und gewinnt – ist ein realistisches Szenario.